The Ghost and Mrs. Muir – Bernard Herrmann: „Vom Leben einer Frau“

Wenn man die feministischen Stimmen im Kino der letzten Jahre beobachtet und die Kritiken zu Barbie, The Substance oder Promising Young Women liest, könnte man manchmal den Eindruck gewinnen, dass Hollywood über die vergangenen Jahrzehnte ausschließlich konservative Rollenbilder propagiert hat und nun Frauen auf dem Regiestuhl erstmals das Bild geraderücken. Dass dies bestenfalls eine grob vereinfachende Sicht auf die Filmgeschichte ist, beweist The Ghost and Mrs. Muir, ein fast vergessener Filmklassiker von 1947. In Deutschland lief der Film von Joseph L. Mankiewicz nie in den Kinos, feierte stattdessen erst ein halbes Jahrhundert später im Fernsehen seine Premiere – unter dem selten dämlichen Titel Ein Gespenst auf Freiersfüßen. Warum der Film im jungen Nachkriegsdeutschland keine Chance bekam, weiß man nicht. Es ist aber durchaus vorstellbar, dass dies nicht nur mit den Fantasy-Elementen, sondern auch mit dem für die damalige Zeit ungewöhnlich progressiven Frauenbild zu tun hatte.

Denn gleich die Eröffnungsszene bricht mit den üblichen Rollenvorstellungen im klassischen Hollywood-Kino: Die verwitwete Lucy Muir (Gene Tierney) sitzt zusammen am Tisch mit ihrer Schwiegermutter und Schwägerin, in dessen Haus sie lebt. Ihr Mann ist seit einem Jahr tot und nun will sie mit ihrer Tochter Anna ausziehen, um fortan ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Schnell entwickelt sich darum ein böser Streit. Es stellt sich heraus, dass Lucy den verflossenen Mr. Muir nicht wirklich geliebt hat und die ständigen Einmischungen in ihr Leben und die Kindeserziehung nicht mehr aushält. Entsprechend ist alles Bitten und Flehen vergeblich. Lucys Entschluss, London zu verlassen, steht unverrückbar fest. Alles erscheint besser, als nur auch noch einen Tag länger mit der eiskalten Schwägerin und der biederen Schwiegermutter unter einem Dach zu verbringen. Und so nimmt sie in dem britischen Hafenstädtchen Whitecliff-by-the-Sea sogar ein preiswertes Cottage in Kauf, von dem der Makler ihr nachdrücklich abrät. Denn wie sich alsbald herausstellt, haust darin ein ruppiger Geist namens Gregg, ein Seemann, der angeblich Selbstmord begangen hat. Doch davon lässt sich die resolute Lucy nicht abschrecken. Dass sie nicht, wie ihre Vormieter, angesichts des Übersinnlichen sofort das Weite sucht, mag man sogar als Zeichen dafür deuten, was sie in ihrer Ehe bereits durchmachen musste. Ihre ungewöhnliche Beharrlichkeit nötigt selbst dem Geist (Rex Harrison) Respekt ab. Sie darf bleiben und zwischen beiden entwickelt sich eine zarte Bande. Als Lucy in Geldsorgen gerät, diktiert er ihr seine bewegte Lebensgeschichte, sodass sie zur erfolgreichen Schriftstellerin aufsteigt. Doch zwangsläufig hat das Paar im Diesseits keine echte Zukunft, was einen anderen Bewerber um die Liebesgunst der jungen Witwe auf den Plan ruft.

Auf dem Papier mag dieser Plot eher nach melodramatischem Kitsch klingen und wurde seinerzeit auch tatsächlich genau so rezipiert. Doch in Wahrheit ist The Ghost and Mrs. Muir ein wunderschönes romantisches Drama, das auf mehreren Ebenen funktioniert, sei es als charmante Geisterkomödie, feinfühliges Liebesdrama oder als pointierte Gesellschaftskritik. Kaum zu übersehen sind die feministischen Untertöne. So lotet das Drehbuch mit feinsinnigem Humor die Rolle von Frauen in der Gesellschaft aus. Dies zeigt sich in vielen kleinen Szenen, etwa wenn der Verleger Lucy, als sie ihm ihr Manuskript vorliegt, fragt, ob sie denn ein Kochbuch geschrieben habe oder auch in den entsetzten Reaktionen der Menschen auf Lucys Wunsch, für sich selbst sorgen zu wollen – ein zur Jahrhundertwende unerhörter Gedanke. Die Männer kommen hier in der Regel gar nicht gut weg: Ihr Ehemann brachte ihr nur ein ungewolltes Abhängigkeitsverhältnis, der geschäftstüchtige Vermieter nimmt ihre Wünsche nicht ernst und auch der eloquente Heiratsanwärter Miles Fairley entpuppt sich als fürchterlicher Aufschneider. Bezeichnend zudem, dass der einzig respektable Mann der Geschichte ein Geist ist. Wenn dann im letzten Filmdrittel die Jahre vergehen, erstaunt der Film weiter. Lucy bleibt alleinstehend und führt ein selbstbestimmtes Leben. Ihre Erfüllung liegt nicht in einer bürgerlichen Ehe, und das unterscheidet The Ghost and Mrs. Muir merklich von vielen anderen Hollywood-Filmen – damals wie heute.

Nicht minder faszinierend ist die Filmmusik von Bernard Herrmann, die er selbst zu seinen persönlichen Favoriten zählte. Herrmann, der heutzutage vor allem für seine ikonische Zusammenarbeit mit Alfred Hitchcock bekannt ist, schuf für The Ghost and Mrs. Muir eine für ihn ungewöhnlich lyrische, impressionistische Filmmusik, die zudem – auch das gibt es bei ihm nur selten – leitmotivisch organisiert ist. Gleich die Prelude startet mit dem mysteriösen Meeres-Thema für den Geist, einem rollenden Motiv für Holzbläser und wird von der lyrischen Streichermelodie für Lucy abgelöst (ca. 0:22-0:38), die dann in die alles transzendierende Streicher-Kantilene für das Cottage (ab 0:38 Min.) aufgeht. Der Geist – Lucy und das gemeinsam bewohnte Haus – das ist das zentrale Themendreieck des Filmes und seiner Musik. Wie die Vorlage ist auch die Herrmanns Komposition mehrschichtig angelegt: Das „rollende“ Geist-Thema steht etwa gleichzeitig für das Unheimliche im Haus als auch für die Meereswellen und den Wechsel der Gezeiten. Es ist bemerkenswert: Obwohl es in The Ghost and Mrs. Muir keine einzige Szene gibt, die auf hoher See spielt, bleibt das Meer allein durch Herrmanns Musik in nahezu jeder Sekunde omnipräsent. Dies zeigt sich selbst in den verspielten Momenten, wie die, in denen sich der Kapitän an seine Zeit auf hoher See zurückerinnert: Die Klarinetten spielen in About Ships/Bedtimes ein fröhliches Shanty-Motiv, in dem die Lebenslust des Seemanns noch einmal aufblitzt, bei dem aber durch die reduzierte Besetzung gleichzeitig ein Gefühl von leiser Wehmut mitschwingt. Wie geschickt Herrmanns Musik agiert, zeigt sich auch im innig-zärtlichen Liebesthema (The Spring Sea, ab 0:48), das suggeriert, dass Lucy endlich ihr großes Lebensglück gefunden hat und damit auch den Zuschauer in vermeintlicher Sicherheit wiegt. Doch wenn sich diese Hoffnung dann mit einem Mal zerschlägt, erscheint der Schock darüber umso größer.

Lucy gescheiterte Liebe zu Mr. Miles bildet den letzten zentralen Wendepunkt des Drehbuchs. In Zeitraffer sehen wir – ein langsam verwitterndes Holzbrett mit dem eingravierten Namen ihrer Tochter Anna dient dafür als Symbol – wie die Jahre ins Land ziehen. Vor allem das schwermütige Andante Cantabile, welches Herrmann in seiner Oper Wuthering Heights (an der er parallel arbeitete) wieder verwendete, begleitet diese Szenen mit hohen Streichern – berührender Ausdruck einer zutiefst empfundenen Melancholie und Sehnsucht. Ohnehin zieht die Musik in diesen glühend-hochromantischen Stücken am Ende noch einmal alle Register der Vertonungskunst. Die große melodramatische, aber nie kitschige Emotionalität des Finales trägt da ganz allein den Film. Und wenn in Forever ein letztes Mal Lucys Thema in den Streichern mit Harfenbegleitung erklingt, finden Lucy und Greg im Jenseits schließlich ihre späte Erfüllung.

Bernard Herrmann hat The Ghost and Mrs. Muir immer halb-spöttisch als seine Steiner-Musik bezeichnet – sicherlich in Bezug auf die Leitmotivik als auch die direkt an die klassische Hollywood-Sinfonik des Golden Age anknüpfende Klangsprache. Doch davon sollte man sich nicht täuschen lassen. Die Handschrift des Komponisten ist trotzdem in jeder Note spürbar. Was seine Komposition aber wirklich von vielen anderen Filmmusiken der Zeit absetzt, ist das herausragende Gespür für Klangwirkungen – für kleine Nuancen, die nicht nur präzise psychologisieren, sondern zugleich metaphorisch weit über die Bilder hinausreichen. The Ghost and Mrs. Muir ist damit nicht nur eine herausragende Filmmusik in dem an Höhepunkten nicht armen Werk Bernard Herrmanns, sondern zugleich auch eine der berührendsten Musiken der Kinogeschichte.


Diskografische Notizen:

The Ghost and Mrs. Muir gibt es mittlerweile dreimal auf CD. 1997 veröffentlichte Varèse Sarabande die von Bernard Herrmann selbst dirigierte Originalaufnahme, die auf Magnettonbändern in Stereo aufgenommen wurde. Dies ist die einzige Fassung, die auch heute noch relativ preiswert gebraucht zu bekommen ist. Auch wenn man der Einspielung ihr Alter bisweilen anhört, klingt diese doch erstaunlich frisch. Allerdings: die knapp 52-minütige CD besteht aus 33(!) Einzelstücken. Bei Bernard Herrmann ist diese Kleinteiligkeit allerdings keine Seltenheit und tut dem Musikfluss im Großen und Ganzen auch keinen sonderlichen Abbruch.

1975 wagte sich Elmer Bernstein im Rahmen seiner Filmmusic Collection, an eine Neueinspielung von Herrmanns meisterhafter Filmmusik. Diese Fassung wurde 1985 von Varèse Sarabande wiederveröffentlicht und ist auch in der ersten FSM-Box von 2006 (die alle Alben der Filmmusic Collection umfasst) enthalten. Bernstein fasste wesentliche Teile der Komposition zu Suiten zusammen, ließ allerdings mit Andante Cantabile eines der wichtigsten Stücke weg (womöglich weil es auch in der Oper Wuthering Heights vorkommt). Die Einspielung klingt naturgemäß deutlich frischer als das Original und besticht zudem dadurch, dass Bernstein Herrmanns Dirigat hier doch sehr nahekommt. Die Einzel-CD von Varèse Sarabande ist allerdings nur noch gebraucht zu bekommen und die FSM-Box leider seit vielen Jahren ausverkauft.

2011 brachte Varèse Sarabande im Rahmen des streng limitierten und ebenso seit Langem ausverkauften Box-Sets Bernard Herrmann at 20th Century Fox eine nochmals verlängerte Fassung der Originalaufnahme auf den Markt. Inklusive alternativer Stücke kommt The Ghost and Mrs. Muir hier nun auf rund 66 Minuten, wobei die reine Originalaufnahme um etwa fünf Minuten an zusätzlicher Musik ergänzt wurde. Dazu gehört auch eine Reprise des Stücks Local Train, in dem ein Streicherostinato einen fahrenden Zug imitiert und Lucys Reisen begleitet. Dies sind feine, aber letztendlich nicht essenzielle Ergänzungen zur CD von 1997. Klanglich gesehen gibt es zudem keine markanten Unterschiede zwischen beiden Veröffentlichungen.

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