Carry-On, Lorne Balfe: „Fast-Food an der Fast-Lane“

Filmische Weihnachts-Klassiker wachsen nicht auf Bäumen. Es braucht das gewisse Etwas, eine besondere, meist nicht planbare, Magie, um unverwüstliche Evergreens zu schaffen. Zu denen gehören unbedingt die ersten beiden Teile der Stirb langsam-Reihe, auch wenn das frohe Fest damals nur am Rande eine Rolle spielte. Die in einem Deal mit dem Dreamworks-Studio entstandene Netflix-Produktion Carry-On versucht nun ausgerechnet an diesen großen Publikumshit der 80er anzuknüpfen: Die Parallelen im Plot sind offensichtlich: Abermals stehen die Feiertage an und abermals kämpft ein Einzelner am Flughafen gegen übermächtig erscheinende Schurken, um das Leben seiner Frau zu retten. Doch der Film von Jaume Collet-Serra (Jungle Cruise) variiert das Grundprinzip von Die Harder deutlich und knüpft zudem an Gegen die Zeit von John Badham an: Taron Egerton spielt den Security-Mitarbeiter Ethan Kopek, der am LA Airport zum ersten Mal bei der Gepäckkontrolle das Handgepäck der Reisenden durchleuchten darf. Doch sein Tag wird zum Albtraum: Ein Unbekannter erpresst ihn: Wenn er nicht einen Koffer mit unbekanntem Inhalt beim Check passieren lässt, stirbt seine schwangere Frau Nora (Sofia Carson).

Aus dieser Prämisse entwickelt sich ein klassisches Katz-und-Maus-Spiel, bei dem die Machtverhältnisse zu Beginn klar sind: Der Terrorist (Jason Bateman), der Kopek über einen kleinen Kopfhörer Anweisungen ins Ohr flüstert, besitzt die Kontrolle über den jungen Security-Mitarbeiter. Doch es steht nicht nur der potenzielle Anschlag auf ein Flugzeug auf dem Spiel: Kopek, der insgeheim so gerne Polizist wäre, aber abgelehnt wurde, hat, in den Augen Noras, sein Lebensziel aus den Augen verloren und ist nicht mehr der Mann, der er einmal war. Und damit ist auch die Zukunft der jungen Familie infrage gestellt. Wenn sich im Laufe der Filmhandlung das Blatt wendet und Kopek anfängt, sich zu wehren, dann geht es nicht nur darum, das Leben seiner Frau, sondern auch die gemeinsamen Ehe zu retten.

Mit dieser zweiten Ebene, die in der Exposition der Handlung viel zu viel Raum einnimmt, beginnen allerdings die vielen Probleme von Carry-On: Dass sich Kopek seiner Frau als würdig erweisen muss, indem er sein Potenzial ausschöpft und Verantwortung übernimmt, was hier gleichbedeutend damit ist, einen Terror-Anschlag zu verhindern, ist eine problematische, aber nie ernsthaft hinterfragte Prämisse des Drehbuchs. Sie steht auch der Spannungskurve entgegen, wenn der Terrorist und sein Opfer absurde Dialoge über Kopeks private Probleme führen. Das ist deshalb schade, weil es auch einen anderen Anknüpfungspunkt gegeben hätte, den das Drehbuch sogar in Ansätzen aufgreift. Eine kleine Montage-Sequenz zeigt nämlich den Alltag an der Sicherheitskontrolle: gestresste Reisende mit bisweilen verrückten Vorstellungen und wiederkehrende Herabwürdigungen des Personals. Doch statt dies zu vertiefen und beiläufig mit satirischer Schärfe bissig vom Mikrokosmos Flughafen zu erzählen, bleibt der Film stattdessen in einer banalen Hochglanzoptik gefangen.

Carry-On ist gekennzeichnet von einer Oberflächlichkeit auf nahezu allen filmischen Ebenen. Da gibt es zahllose Logikfehler. Warum der Computer beim Durchleuchten des kritischen Koffers keinen Alarm auslöst, warum es trotz des hohen Passagieraufkommens kein Gedränge an den Kontrollen gibt, wie der Terrorist sich derart frei im Gebäude bewegen kann oder am Ende mitsamt Schusswaffe ins Flugzeug kommt – das alles bleibt ein Geheimnis des Drehbuchs. Das wäre verzeihbar, wenn sich der Film nicht derart ernst nehmen würde. Die selbstironische Überzeichnung der Stirb langsam-Reihe geht Carry-On aber völlig ab. Es geht stattdessen um die großen Gefühle, Aufopferung für Familie und Staat. Erstaunlicherweise ist davon in der Filmmusik von Lorne Balfe (Dungeons & Dragons – Honor among Thieves) nur wenig zu spüren. Statt auf Weihnachten, die Liebesgeschichte oder den Schauplatz Flughafen einzugehen, konzentriert sich seine Arbeit ganz auf die Spannungsdramaturgie. Sie wird dominiert von anonymen elektronischen Rhythmen und Texturen, wie sie mittlerweile seit zwei Jahrzehnten aus dem Blockbuster-Kino kaum mehr wegzudenken sind. Zwar kommt auch ein Orchester zum Einsatz, bleibt aber weitgehend im Hintergrund. Das Hauptthema (Ethan’s Theme), ein einfaches Klaviermotiv, dient als melodischer Ankerpunkt der Komposition. Die damit verbundene konzeptuelle Idee ist interessant: So wie das Thema isoliert in der kühlen, technisierten Klangsprache steht, wird auch Kopek in der Filmhandlung, trotz der vielen Menschen um ihn herum, angesichts der Bedrohung auf sich selbst zurückgeworfen. Schade ist aber nur, dass das Thema – obwohl omnipräsent – nicht prägnant genug in Erscheinung tritt, um diesen Gedanken dem Zuschauer plastisch zu vermitteln. In schöner Form erklingt es zumindest aber zum obligatorischen Happy End (Runway Aftermath) – in einem reizvollen Arrangement mit Streichern und Klavier, das ein wenig an Ramin Djawadis Westworld erinnert.

Dennoch steht am Ende eine fast ausschließlich funktionale Musik, die im Film zuverlässig ihren Dienst verrichtet, aber wie die Vorlage eigentlich nur altbekannte Elemente in vorhersehbarer Weise rekombiniert. Carry-On ist trotzdem rasant und professionell genug inszeniert, um solide zu unterhalten. Nicht mehr und nicht weniger. Im kommerziellen Sinne mag der Erfolg bei den Aufrufzahlen Netflix sogar recht geben. Doch die seelenlose Ambitionslosigkeit von Drehbuch und Inszenierung ist im Grunde schon ziemlich ärgerlich. Mehr als schnelllebiges Streaming-Fast Food bietet Carry-On nämlich nicht. Insofern macht es auch Sinn, dass sich die Filmmusik auf der Tonspur dieser gesichtslosen Haltung anpasst bzw. anpassen muss. Ein neuer Weihnachts-Klassiker kann so aber natürlich nicht entstehen.

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