Fallout – Ramin Djawadi: „Inmitten der Ödnis“

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Besondere Filmkulissen verlangen nach besonderen Sounds. Selten war das so wahr wie im Fall der HBO-Fernsehserie Chernobyl, für die Hildur Guðnadóttir 2019 das Knattern der Geigerzähler, die Strahlung und den beklemmenden Ausnahmezustand angesichts des Reaktorunfalls in bleierne Töne fasste. In der dystopischen Amazon-Serie Fallout, die auf der erfolgreichen Computerspiel-Serie gleichen Namens basiert, tauchen diese schwermütigen Bass-Sounds nun wieder auf. Das ergibt Sinn. Denn auch hier geht es um eine nukleare Katastrophe. Doch damit enden bereits alle Vergleiche. Die Handlung beginnt nämlich in einer alternativen Version der 50er-Jahre, in der sich die Menschheit mit Atombomben beinahe komplett ausgelöscht hat. 200 Jahre später ist die Oberfläche der Erde ein verstrahltes Ödland, bevölkert von Banden, Untoten, Monsterkakerlaken und anderen Mutationen. Im Untergrund haben sich derweil die Überlebenden in „Vaults“ genannten Sicherheitsbunkern ein künstliches Paralleluniversum geschaffen, ein fröhlich-buntes Paradies, in dem alle blaue Anzüge tragen und ständig bester Laune sind. Eine Bewohnerin ist die naive Lucy (Ella Purnell), deren Hochzeitsnacht jäh in einem brutalen Überfall endet, bei dem ihr Vater verschleppt wird. Gegen allen Widerstand in der Gemeinschaft macht sich Lucy auf, ihn zu befreien. Unterwegs trifft sie auf Maximus, einem abtrünnigen Mitglied der sogenannten stählernen Bruderschaft, der sich ihrer Mission anschließt.

Eigentlich ein ernster Hintergrund. Doch Fallout zeigt kein realistisches Endzeitszenario, sondern eine comichaft überdrehte Atompunk-Welt, in der alles und alle neben der Spur zu laufen scheinen. Ziemlich verstrahlt eben. Die Naivität der 50er-Jahre, die in sentimentalen Popsongs omnipräsent ist, lässt Westworld-Macher Jonathan Nolan auf den harten, oft zynischen Überlebenskampf der Post-Apokalypse prallen. Er inszeniert diese Welt mit viel lakonischem Humor und einer überzeichneten Gewaltdarstellung, die an die frühen Filme von Quentin Tarantino erinnert. Natürlich schielen Szenen, in denen Köpfe oder Finger abgetrennt oder Augen ausgestochen werden, auf krasse schwarzhumorige Effekte, die das Zielpublikum der Gamer bei Laune halten sollen. Doch die Aneinanderreihung solcher vermeintlichen Schockmomente, zu denen auch schräge Monster, ein Organhandel betreibender Roboter oder eine Vault-Sekte, die Nudismus-Rituale praktiziert, gehören, ist nicht neu. Derartiges war schon in Fernsehserien wie The Boys oder The Witcher eines der bestimmenden Grundprinzipien.

Viel interessanter sind die unterschwelligen gesellschaftspolitischen Bezüge: Da dudeln immer und überall die biederen Schlager der 50er. Noch in der letzten Bruchbude läuft stets ein Schwarzweiß-Fernseher. Und in den, Sicherheit vorgaukelnden, Bunkern haben sich die Reichen ein kostspieliges Plätzchen gesichert im festen Irrglauben moralischer Überlegenheit gegenüber der realen Welt, ohne jemals einen Fuß in sie hinein gesetzt zu haben. Es ist bemerkenswert: Auch in einer Welt nach dem Atomkrieg funktionieren Eskapismus und Zweiklassengesellschaft offensichtlich bestens. Doch es gibt noch andere Facetten: Die faszinierendste Hauptfigur von Fallout ist der „Ghoul“, ein untoter Cowboy ohne Nase, seit über 200 Jahren künstlich am Leben erhalten. Einst war er Hollywood-Westernstar, der seine Seele verkaufte, indem er für die Vaults warb. Nun läuft er als brutal-zynischer Loner durch das verseuchte Ödland, entstellte Karikatur seiner früheren Filmrollen. Die Traumfabrik hat sich überholt angesichts des Wahnsinns der Apokalypse.

Solche Gesellschaftskritik bleibt allerdings im Ansatz stecken, weil Fallout selbst zum medialen Eskapismus-Angebot gehört und der riesige Streaming-Erfolg wohl unweigerlich in vielen weiteren Staffeln münden wird. Daraus resultiert ein irritierender Widerspruch zwischen dem kritischen Kommentar der Serie zu den Gegenwartskrisen unserer Zeit einerseits und anderseits der Notwendigkeit, „cooles“ Entertainment für ein junges Publikum zu kreieren, weil Fallout auch als Fan-Service für Gamer funktionieren muss. Diese Inkonsistenz überträgt sich zwangsläufig auf die Filmmusik von Ramin Djawadi. Der gebürtige Duisburger knüpft zunächst unmittelbar an Hans Zimmers Dune an: Wenn zu Beginn von Brotherhoof of Steel der Flügelschlag der Rotoren eines Helikopters zu hören ist, zielt die Musik offensichtlich auf einen vergleichbaren Weltenbau ab. Metallische Klänge, Sirren und Klackern deuten zudem immer wieder Richtung Chernobyl. Doch Fallout schlägt dann doch eine etwas andere Richtung ein, ist viel stärker auf thematisch-melodische Akzente ausgerichtet: Klanglich faszinierend etwa das rein elektronische Hauptthema für die Bruderschaft, dessen eingängige heroische Qualitäten genauso verschwommen wirken, wie es die Motivationen der religiös beseelten Armeetruppen wohl tatsächlich sind. Lucys Thema kontert das Düstere mit fröhlicher Naivität (Ice Cream and Apple Pie) und der Ghoul bekommt schleifende Sounds, knarzende Rhythmik und amerikanischen Jodelgesang zur Seite gestellt. Wunderbar auch die Western-Ouvertüre im Mariachi-Stil in Feo Fuerte y Formal oder die schöne Streichermelodik in Rebuild Together oder dem zutiefst melancholischen All the Answers.

So stark diese melodischen Akzente jedoch sind, so kurzatmig bleiben sie. Fallout trägt zum Teil Züge eines Roadmovies, in der der Zuschauer zusammen mit Lucy, die ihr Leben bis dahin unter der Erde verbracht hat, die trostlose Welt des Ödlands durchstreift. Entsprechend episodenhaft fällt die Musik aus – was auch daran liegt, dass sie sich den vielen Songs unterordnen muss. Viele Elemente bleiben singulär, wie das Stück Surface Dweller Tradition, das mit seinem Stakkato-Gesang nochmals Richtung Zimmers Dune schielt, eine Idee, die danach aber wie viele andere nicht wieder aufgegriffen wird. Viel zu oft sind es auch generische Vertonungslösungen, die eine tiefere Immersion wie bei Zimmers Dune verhindern. Da klingt Fallout mal verdächtig nach Djawadis Westworld oder bemüht elektronische Effekte, die weniger nach charismatischer Klangwelt als nach unter Zeitdruck entstandenen Serienstandards klingen. Bis zu einem gewissen Grad funktioniert das trotzdem erstaunlich gut. Dennoch: So wie die Serie bei allem Unterhaltungswert einen zwiespältigen Eindruck hinterlässt, vermag auch die Musik von Ramin Djawadi nicht gänzlich zu überzeugen. Im Ödland von Fallout gibt es zwar einige Highlights, am Ende bleibt es aber ein Ödland.

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