Dune – Hans Zimmer: „Klänge aus dem Schatten“

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Dune ist ein Film über die Mächte im Verborgenen. Im Schatten. Hinter den Wänden. Die Welt, vor der sich Frank Herberts epische Fantasy-Geschichte abspielt, wirkt kühl, fremdartig und abweisend zugleich. Der trockene Wüstenplanet Arrakis, der für seine wertvollen Spice-Vorräte geplündert wird, ist ein ganz und gar lebensfeindlicher Ort. In der Wüste lauern monströse Würmer und die Sandstürme erreichen apokalyptische Dimensionen. Entsprechend monumental steht dieser widrigen Umwelt die verschachtelte Architektur der Hauptstadt mit ihren massiven Wänden gegenüber, deren einziger Zweck der Schutz vor Sand und Angreifern zu sein scheint. Die Familie Atreides wird als neuer Hüter des begehrten Spice, das für den Machterhalt des Imperiums von strategischer Bedeutung ist, nach Arrakis berufen. Sie sollen die brutalen Vorgänger, die martialischen Schergen der Harkonnen, ablösen. Mit dabei ist Paul (Timothée Chalamet), der designierte Thronfolger des Adelshauses. In seinen Träumen vermeint er die Zukunft zu sehen und dank seiner besonderen Fähigkeiten gilt er als „Kwisatz Haderach“, als Auserwählter, um das Schicksal des Wüstenplaneten, hauptsächlich das der unterjochten, in der Wüste lebenden Fremen zu verbessern.

Doch das ist nur der Vordergrund eines perfiden Machtkampfes, der aus den Hinterzimmern gelenkt wird und in der jede Partei ihre ganz eigenen Interessen verfolgt. Ob die spirituelle Schwesternschaft der Bene Gesserit, die Truppen des Imperators, die Harkonnen, die ihre Macht um jeden Preis erhalten wollen oder die Fremen, deren Existenz ständig von der Auslöschung durch die Besatzer bedroht ist. Wie in allen großen Königsdramen gilt auch in Dune, dass man niemanden trauen darf. Alles ist ein Widerhall archaischer Traditionen, unsichtbarer Fäden der Macht, erbarmungslos wütender Naturgewalten und dem erdrückenden Gefühl einer ständig lauernden Bedrohung im Dunkeln, bei der nie ganz sicher ist, ob der Feind von außen oder doch von innen kommt.

In seiner beeindruckenden Dune-Interpretation reduziert Denis Villeneuve Frank Herberts komplexe politische Ränkespiele zu einem bizarr-exotischen Weltenbau, der das audiovisuelle Erleben des Wüstenplaneten vor Dialoge und Plot stellt. Entsprechend interessiert sich auch die Filmmusik von Hans Zimmer weniger für die narrative Ebene des Filmes. Ein Nacherzählen oder eine Illustration der Handlung könnte ihm kaum ferner liegen. Seine Komposition eröffnet stattdessen vielfältige Klangräume, in denen Architektur und Geografie resonieren. Die schweren Mauern der Hauptstadt werden durch sich auftürmende Klangwände gespiegelt, in denen Bassfundament, Schlagwerk und E-Gitarren kulminieren. Die Einfluss nehmenden Parteien flüstern oder schreien im Stakkato aus dem Off. Zimmer Musik überträgt den Flügelschlag der Ornithopter in seine Musik, die Sandwürmer brodeln sich aus der Tiefe des Sandes hervor. Flöten wie das Duduk verströmen exotisches Flair; stets vermeint man das Rauschen des unbarmherzigen Windes zu hören. Und das Hauptthemafür Paul Atreides (zu Beginn von Herald of the Change zu hören) wirkt undurchdringlich, verweigert sich mit seinen eigenwilligen Harmonien jeglichen heroischen Zuschreibungen.

Musikalisch ist das ein ziemlich dicker Brocken, den der Deutsche da seinem Publikum zumutet. Er wirft sehr unterschiedliche Stilelemente in eine Art experimentelle Waagschale, um einen fremdartigen Sound für Arrakis und seine Konfliktparteien zu kreieren. Natürlich klingt das bisweilen nach vertrautem Zimmer. Der Umgang mit den Vokalanteilen, das bombastische Bassfundament, die Art und Weise, wie es tackert, zischt und rattert – vieles erkennt man aus früheren Musiken wie Wonder Woman 1984, Dunkirk, Inception & Co. wieder. Und doch geht er hier einen Schritt weiter: Zimmer verfolgt sein kühl-archaisches Vertonungskonzept nämlich mit einer derart radikalen Kompromisslosigkeit und Ambition, dass die Musik trotz der Bezugnahme zu vorangegangenen Werken auf schillernde Weise fremdartig, mysteriös und hypnotisierend zugleich wirkt.

Dieser Effekt gelingt durch gleich mehrere bemerkenswerte Detail-Einfälle: Gleich der Beginn des Filmes verstört: Es erklingt keine klassische orchestrale Ouvertüre, sondern eine Art mysteriöser Kehlkopfgesang, der für die Saurokar (die Elitetruppe des Emperators) steht: Die verzerrt klingende Stimme entstand, indem sie von Zimmer durch den Kompressor gejagt wurde. Von Sekunde eins an macht die Tonspur damit deutlich, dass dem Zuschauer eine andersartige Kinoerfahrung bevorsteht – visuell ebenso wie akustisch. Die Vokalanteile bleiben ein bestimmendes Element der Komposition: Die Sängerin Loire Cotler (mit der Zimmer bereits bei X-Men: Dark Phoenix zusammengearbeitet hat) steuert mit ihrem elektrisierenden Klagegesang die Stimme für den Orden der Bene Gesserit bei. Zur Ankunft des Hauses Atreides (House of Atreides/Armada) als neue Wächter über das Spice auf Arrakis, lässt Zimmer hingegen 30 Dudelsäcke einen archaischen Marsch spielen. Und die Präsenz des immerwährenden Windes auf dem Planeten symbolisieren vielfach übereinander gelegte Flöten unterschiedlichster Bauart (von Duduk bis Piccolo), bei denen der Solist Pedro Eustache die Anweisung hatte, mit seinem Spiel den Wind zu imitieren.

Zusammen mit Musiker und Instrumentenbauer Chas Smith hat Zimmer über viele Monate am reichhaltigen Instrumentarium für die Filmmusik getüftet, wobei immer wieder manipuliert, verfremdet und rekombiniert wurde, um Dune seine charismatische, nie ganz fassbare Klanglandschaft zu geben. In Interviews hat er betont, wie wichtig es ihm war, als Ausdruck für eine vollkommen fremde Kultur weit in der Zukunft einen „neuen unerhörten“ Sound zu finden, der sich nicht wie in vielem anderen Genrefilmen in der europäischen Klassik begründen sollte. Das liegt nahe. Doch zeigt sich darin auch sein Sinn für geschicktes Selbst-Marketing. Denn wenn er kritisch fragt, warum Science-Fiction-Welten ansonsten fast immer nach europäischer Spätromantik klingen, unterschlägt er natürlich den vollkommen konträren Vertonungs-Ansatz in Filmen wie Star Wars, in denen die Musik eine ganz andere Funktion besitzt. Und natürlich ließe sich genauso gut zurückfragen, warum die Welt des Wüstenplaneten zwangsläufig nach Hans Zimmer klingen muss. Letztlich ist es aber eher müßig, beide Herangehensweisen gegeneinander auszuspielen. Dune ist auch ohne Vergleich außergewöhnlich genug und in seiner Fusion von Musik und Sound Design ein cineastischer Meilenstein in der Entwicklung hin zur atmosphärischen Filmmusik. Selten gab es in der Kinogeschichte auf der Tonspur einen so präsenten, die immersive Filmerfahrung bereichernden Klangraum wie ihn Zimmer hier bietet. Und auch wenn es Liebhaber klassischer Filmmusik vielleicht ungern hören mögen: Für Dune hat der Deutsche deshalb seinen zweiten Oscar mehr als verdient gewonnen.

Die Musik auf CD

Nicht minder bemerkenswert wie die Filmmusik ist auch ihre Zweitverwertung auf Tonträger: Dune gibt es nämlich gleich in drei Fassungen: Neben dem Original-Soundtrack, der über 74 Minuten die Musik im Film nachzeichnet, empfiehlt sich das zwei CDs umfassende Dune Sketchbook, auf dem Zimmer die zentralen Ideen der Filmmusik zu konzertanten Suiten weiterentwickelt hat. Spätestens in dieser äußerst hörenswerten Form fällt ein weiterer Bezugspunkt der Komposition auf: Denn beim Hören kommen etwa die instrumentalen avantgardistischen Konzept-Alben von Künstlern wie Jean-Michel Jarre, Mike Oldfield, Vangelis und Tangerine Dream aus den 70er- und 80er-Jahren in den Sinn. Und das waren genau jene Jahrzehnte, in denen Frank Herberts Romane endgültig Kultstatus erlangten. 1984 hatte David Lynchs unglückliche Erstverfilmung den Hype damals nochmals befeuert. Reichlich clever also von Zimmer, sich musikalisch auf die damaligen Elektronik-Pioniere zu beziehen, bei denen er davon ausgehen konnte, dass sie zumindest beim älteren Publikum sinnfällige Assoziationen auslösen würden. Das Sketchbook bietet trotz der ausschweifenden Länge von über 100 Minuten sogar die beste Repräsentation der Musik, weil die Bearbeitungen es Zimmer erlauben, musikalische Gedanken zu vertiefen und reizvoll mit Elementen des Minimalismus zu spielen. Das Hören der 5– bis 18-minütigen Stücke lassen Zeit und Raum in einem Maße vergessen, wie es der kurzatmigere Original-Soundtrack nicht zu leisten vermag. Für das ebenfalls üppig bestückte Konzeptalbum The Art and Soul of Dune, welches Zimmer für einen den Kinostart begleitenden Bildband geschaffen hat, gilt das aber leider weniger: Der Filmbezug ist hier nur noch lose vorhanden und die Musik verliert sich in sphärischen Ambient-Sounds, die nicht nur deutlich weniger experimentell gehalten sind, sondern auch musikalisch eher blass ausfallen.

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