True-Crime-Formate erfreuen sich in den letzten Jahren großer Beliebtheit – als Podcast, Dokumentation oder Serien-Adaption. Insofern überrascht es auch nicht, dass Streaming-Portale wie Netflix schon lange auf diesen Erfolgszug aufgesprungen sind. Mit Dahmer – Monster:
Die Geschichte von Jeffrey Dahmer gelang dem Sender 2022 trotz durchwachsener Kritiken ein beachtlicher Publikums-Hit. Der war sogar so groß, dass sich nun eine neue Miniserie weiteren „Monstern“ widmen darf: In der zweiten Staffel, mit dem Titel The Lyle and Erik Menendez Story, wird die Geschichte zweier Brüder nacherzählt, die 1989 die eigenen Eltern auf brutalste Weise mit Schrotflinten niederstreckten. Die Tat und die nachfolgenden Prozesse sorgten damals in den USA für ein gewaltiges Medienaufsehen. Nicht nur, aufgrund des drastischen Gewaltaktes, sondern auch weil Lyle und Erik Menendez später angaben, die Tat aus Notwehr begangen zu haben. Ihr Vater, José Menendez, habe beide von Kindheitstagen an systematisch sexuell missbraucht und geschlagen. Die Mutter hätte davon zwar gewusst, letztendlich aber geschwiegen. Bis heute konnten dieser Vorwurf nicht zweifelsfrei bewiesen werden. Im Gegenteil: Vor Gericht bezichtigte die Staatsanwaltschaft die Angeklagten, es lediglich auf das üppige Erbe der Familie abgesehen zu haben. Am Ende wurden beide Brüder deshalb zu lebenslanger Haft ohne Bewährung verurteilt.
Was wahr ist und was gelogen, vermag auch die neunteilige Netflix-Serie, prominent besetzt mit Javier Bardem (Skyfall) und Chloë Sevigny, nicht eindeutig zu klären. Gleich in der ersten Folge sehen wir Lyle und Erik, wie sie im Auto die 1989 angesagten Hits von Milli Vanilli singen. Es ist ein ziemlicher Wink mit dem Zaunpfahl dafür, dass Schein und Sein hier weit auseinander liegen und der sichtbaren Oberfläche kaum zu trauen ist. Trauen sollte man allerdings auch der Netflix-Serie selbst nicht. Denn die einzelnen Folgen lassen meist offen, wie viel fiktiv hinzugedichtet wurde, ob eine Szene gerade eine echte Zeugenaussage bebildert oder sie dem Blick eines allwissenden Erzählers entspringt. Diese Uneindeutigkeit mag zwar in gewisser Weise die Umstände des realen Falls abbilden, führt aber gleichzeitig dazu, dass man als Zuschauer zwingend darauf angewiesen ist, weitere Quellen zu bemühen, um die erhaltenen Informationen richtig einordnen und bewerten zu können.
Für eine Serie, die ausschweifende neun Folgen benötigt, um den kompletten Fall bis zur Urteilsverkündung auszurollen, ist das allerdings ein Armutszeugnis. Wie willkürlich die Inszenierung die Geschichte der Menendez-Familie aufarbeitet, zeigt auch die viel gepriesene fünfte Episode: In einer 35-minütigen Plansequenz sehen wir, wie Erik seiner zunehmend fassungslosen Anwältin in allen Einzelheiten vom systematischen Missbrauch des Vaters berichtet. Es ist ein intensives, nahe gehendes Kammerspiel – exzellent gespielt und dabei so eindringlich inszeniert, dass man sich kaum vorstellen kann, dass jemand dies alles erfunden haben könnte. Doch die Serie konterkariert diesen Eindruck in den umrahmenden Folgen durch Szenen, die nicht in dieses Opfer-Bild passen: Mit spöttisch-ironischem Blick begleiten wir die versnobten „rich kids“ in ihren zahllosen Lügen, bei diversen Gaunereien, dem Verprassen des Erbes und ihrer zum Narzissmus neigenden Selbstinszenierung.
Doch wenn die Serie allein widersprüchliche Signale sendet und die Wahrheit ohnehin nicht bekannt ist, welchen Erkenntnisgewinn kann sie dann wirklich bringen? Aus diesem Grund stellt sich beim Sehen von Monsters leider schnell ein Gefühl von schulterzuckender Beliebigkeit ein. Zumal die Netflix-Produktion auch ein wichtiges Detail unter den Tisch fallen lässt: José Menendez war in den 80er-Jahren in einer Führungsposition bei der Plattenfirma RCA Records tätig. Ein Mitglied der von ihm in dieser Zeit unter Vertrag genommenen Band Menudo hat nun kürzlich ihrerseits Missbrauchsvorwürfe erhoben. Diese Aussage würde also in das Bild passen, das die Brüder vom eigenen Vater zeichnen und, sollte sich der Missbrauch bestätigen, gleichzeitig diejenigen Szenen, die ihn nicht ernst nehmen oder verwässern, in einem unangenehmen Licht erscheinen lassen.
Es ist also ein ziemliches Minenfeld, in dem sich die Netflix-Serie bewegt. Kein Wunder also, dass hier vieles vage bleibt und die mutlose Inszenierung meist ironische Distanz zu ihrem Sujet wahrt. Die Filmmusik von Thomas Newman, dieses Mal in Zusammenarbeit mit Tochter Julia entstanden, passt zu dieser Haltung wie die Faust aufs Auge. Flirrende Klanggebilde und rhythmische Spielereien, wie sie so typisch für viele Arbeiten des Komponisten sind, bilden ein perfektes Spiegelbild für die lakonische, sich nicht festnageln lassende, Erzählung. Dazu erzeugen kühle Soundeffekte und das gewohnt exotische Instrumentarium einen musikalischen Schwebezustand, der nie ganz greifbar ist. Entsprechend fehlen auch thematisch-melodische Akzente. Die einschmeichelnden Newman-Streicher sucht man hier ohnehin vergeblich. Lediglich das non-chalant bis spöttisch über Klavierbegleitung gehauchte Hum oder Haha setzt immer wieder einen melancholisch-nachdenklichen Kontrapunkt zur Handlung. Erwartungsgemäß begleiten von Dissonanzen durchsetzte klirrend-metallische Klänge die Szenen, die die Ereignisse der Tatnacht rekapitulieren. Doch größtenteils tut der Beitrag von Julia & Thomas Newman kaum mehr, als das eigenwillige Spannungsfeld der Serie zu illustrieren. Dabei wären durchaus auch andere Abzweigungen denkbar gewesen: eine ironisch-lakonische Überzeichnung durch geschickte Verarbeitung der Themen aus den seichten Milli-Vanilli-Songs etwa oder eine präzise psychologisierende Musik, die den Figuren und ihren Abgründen näher kommt, um hinter den medialen Rummel zu blicken. Doch das war offensichtlich zu keinem Zeitpunkt gewünscht. Deshalb kratzt die Musik bei aller perkussiver Detailverliebtheit allein an der Oberfläche. Das Gleiche gilt für die richtungslose Serie, bei der man sich am Ende fragt, warum sie nach zahlreichen Dokumentationen und Büchern zum Fall eigentlich überhaupt existiert.