The Rings of Power, Season 2 – Bear McCreary: „Die Saat geht auf“

Als Howard Shore zwischen 2012 und 2014 vor der Aufgabe stand, die Musiken für die Hobbit-Trilogie zu komponieren, gab es ein großes Problem: Die Klangwelt von Mittelerde hatte er bereits beim Herr der Ringe über viele Stunden erschöpfend ausgelotet. Zum Zeitpunkt der Prequel-Trilogie bestand im Grunde kein echter Bedarf für „mehr“ Musik. So orientierte er sich damals zwar an der etablierten Klangsprache und kreierte zahlreiche neue Leitmotive. Doch die fielen im Allgemeinen eher blass aus. Es schien fast ein wenig so, als wäre die kreative Luft raus gewesen. Entsprechend konnten seine Werke auch nicht mehr eine ähnliche Begeisterung entfachen wie noch zu Zeiten der Urtrilogie von Peter Jackson. Trotzdem wurde Shore 2022 abermals verpflichtet, das Hauptthema für die Amazon-Serie Ringe der Macht zu schreiben. Das Ziel war klar: Es sollte eine Brücke zu Herr der Ringe und Hobbit geschlagen werden. Mit Folgen für den hauptverantwortlichen Serien-Komponisten: Bear McCreary war somit gezwungen, mit seiner Arbeit unmittelbar an die Klangwelt der Peter-Jackson-Filme anzuknüpfen.

Doch wie viel Mittelerde-Musik ist notwendig, bevor sich erste Abnutzungserscheinungen einstellen? McCreary ließ sich von solcherlei Gedankenspielen zumindest nicht beirren. Er schuf für die erste Staffel in einer monatelangen, geradezu beispiellosen Fleißarbeit siebzehn äußerst prägnante Leitmotive. Weil das üppige Budget ihm alle Freiheiten ließ, fuhr er das große Orchester, mehrere Chöre und unzählige Solisten auf, schuf für jedes Volk, jeden Handlungsort und jede Figur einen eigenen Sound. Mit dieser starken Basis an Leitmotiven gelang McCreary ein zumindest bezüglich der Filmmusik viel umjubelter Neustart in Sachen Herr der Ringe. Die filmische Dramaturgie schien er beim starken Fokus auf tragfähige Themen freilich ein wenig vernachlässigt zu haben. Denn die banale, wenig fesselnde Handlung und der maßlose Bombast auf der Tonspur klafften leider weit auseinander. So stellte sich trotz attraktiver Melodien schnell mehr Erschöpfung denn Begeisterung ein. Glücklicherweise fährt die zweite Staffel, die Ende August 2024 veröffentlicht wurde, den Bombast inszenatorisch als auch filmmusikalisch deutlich zurück. Die anfängliche Euphorie ist in Mittelerde ohnehin längst gewichen. Sinnbildlich dafür steht das dreizehn-minütige, die erste neue Folge eröffnende und sehr düstere Dawn of the Second Age, welches tonmalerisch die Vorgeschichte Saurons bis zur ersten Begegnung mit Galadriel erzählt. Mit diesem ambitionierten Musikstück verdeutlicht McCreary zugleich, dass es ab sofort stärker um die Verarbeitung der etablierten Leitmotive geht. Auch wenn es durchaus sieben frischen Themen gibt, baut McCreary vor allem auf dem Fundament der ersten Staffel auf.

Im Mittelpunkt der neuen acht Folgen, die direkt an die Handlung der ersten Staffel anschließen, steht vor allem das Schmieden der zwanzig Ringe. Sauron wechselt seine Gestalt und tritt nun als Gesandter mit dem Namen Annatar auf. Inkognito nistet er sich in der Werkstatt von Celebrimbor, dem Kunstschmied von Eregion, ein. Durch seine Verführungskraft verleitet er den Elben dazu, immer weitere Ringe für die Zwerge und Menschen zu fertigen. Doch wenngleich diese Ringe ihrem Träger ungeahnte Macht verleihen, lastet auf ihnen der korrumpierende Schatten Mordors. Währenddessen tobt bei den Menschen in Númenor nach dem Tod des greisen Königs ein brutaler Machtkampf. Auch bei den Zwergen brodelt es: König Durin III. gräbt – unter dem Einfluss seines neu erhaltenen Ringes – immer tiefer in den Berg hinein, um Mithril zu fördern, und riskiert damit die Existenz seines Volkes. Der mysteriöse Fremde, Ishtar, wandert mit den beiden „Harfüßen“ Nori und Poppy nach Osten. In Rhûn erhofft er, seine Identität zu ergründen. Er trifft dort nicht nur auf einen dunklen Zauberer, sondern auch einen anderen alten Bekannten aus dem Herrn der Ringe-Universum: den skurrilen Tom Bombadil. Seine kleinen Gefährten lernen derweil ein neues Hobbit-Volk kennen. Und zum großen Finale tragen Orks, Elben und Zwerge eine verhängnisvolle Schlacht um Eregion aus. Viel Handlung ist das eigentlich nicht für acht Folgen. Und so verwundert es kaum, dass sich die Serie weiterhin sehr schwer damit tut, eine wirklich lebendige, schlüssige Erzählung auf die Beine zu stellen. Immerhin gibt es durchaus starke Einzelmomente: Wenn der von Annatar eingelullte Celebrimbor aus der Illusion einer heilen Welt erwacht und zum ersten Mal die wahre Zerstörung um ihn herum wahrnimmt, ist das äußerst beklemmend inszeniert. Und auch der Generationskonflikt zwischen König und Sohn bei den Zwergen in Khazad-Dum bietet einen durchaus interessanten Handlungsstrang. Doch abgesehen davon mangelt es weiterhin an Vielem: Die Dialoge bleiben flach und die Inszenierung lässt jegliches Gespür für Raum und Zeit vermissen. Dazu gesellt sich manche Unglaubwürdigkeit, wie der Umstand, dass die Elben ihren Ring-Schmied Celebrimbor nach den erschreckenden Ereignissen um Saurons Rückkehr derart ungeschützt in Eregion zurücklassen und sich lediglich auf einen einzelnen Boten verlassen, um ihn zu warnen. Und wie kann es sein, dass Galadriel und Elrond derartige Schwierigkeiten haben, Eregion zu erreichen, die Armeen von Zwergen und Elben allerdings später problemlos durchkommen? Trotz solcher gravierenden Probleme ist die zweite Staffel von Die Ringe der Macht aber dennoch ein Schritt in die richtige Richtung, zeigt sich stilsicherer – weg von der aseptischen Hochglanzoptik der ersten acht Folgen und zugleich mit deutlich mehr Gespür für Tolkiens reichhaltige Fantasiewelt.

Zu den Stärken der zweiten Staffel gehört auch die Filmmusik von Bear McCreary: Seine Vertonung wirkt dieses Mal viel organischer und sensibler an die Handlung angelehnt. Das zeigt sich insbesondere in den ruhigen Stücken: Das fröhliche, von Rufus Wainwright gesungene Old Tom Bombadil und vor allem das traurig-sehnsuchtsvolle Golden Leaves lassen die reichhaltige Liedtradition aus Tolkiens Romanen wieder aufleben. Dazu erinnert das pastorale Thema für Estrid (Estrid) in seiner Melancholie an die Fallhöhe, angesichts der Bedrohung durch Sauron. Wunderschön dazu das vom Kinderchor gesungene Thema für Eregion selbst. Und plötzlich ist mit diesen Stücken etwas da, was der ersten Staffel völlig abging: Die Musik lebt und atmet die weitreichende Geschichte Mittelerdes mitsamt ihren Bewohnern. Man fühlt sich als Zuschauer phasenweise sogar fast wieder in die Welt von Peter Jacksons Herr der Ringe-Filmen zurückversetzt. Und mit diesem Rückgrat als Basis öffnet sich auch der Raum für neue Ideen: Da gibt der Frauenchor „The Mystery Of Bulgarian Voices“ in bester Xena-Manier der sandigen Region Rhûn ein martialisches Hauptthema. Die Elben bekommen als Schlacht-Ruf einen mitreißenden Choral (The Sun yet shines) mit dem markigen Ausruf „Nolwa Mahtar’“ zur Seite gestellt. Und wenn im Kampf um Eregion ein sogenannter Damrod, ein massiver „Hügeltroll“ seinen Auftritt hat, schickt McCreary auf der Tonspur Jens Kidman von der schwedischen Heavy-Metal-Formation Meshuggah in den filmmusikalischen Ring. Man kann über diese stilistische Wahl, bei der der Metal-typische gutturale Gesang auf schweres Blech und Schlagwerk des Orchesters trifft, sicher geteilter Meinung sein. Fest steht aber: Die Idee ist mutig und illustriert die fatale Wendung im Kriegsgeschehen durchaus auf originelle Art und Weise.

Was The Rings of Power – Season 2 aber wirklich zu einer großartigen Filmmusik macht, ist der Umgang mit den etablierten Leitmotiven. Standen die Konzertfassungen der markanten Einzel-Themen bei der Doppel-CD zur ersten Staffel noch etwas willkürlich nebeneinander, geht die damals gelegte Saat nun in beeindruckender Weise auf. Virtuos und bruchlos jongliert McCreary mit den Motiven für Galadriel, Elrond, Númenor und Co. Da gibt es tolle Momente, wenn Galadriel davon berichtet, dass Sauron auf ihr wie einer Harfe gespielt habe und McCreary dies wörtlich nimmt und auf der Tonspur ihr Leitmotiv auf der Harfe erklingen lässt. Für den Auftritt der gigantischen Spinne Shelob ließ McCreary als Metapher für die acht Beine die Streicher im Pizzikato acht Noten spielen. Und wenn sich in die Musik für die Orks plötzlich unerwartete Flötentöne mischen, verleiht dies den finsteren Gesellen überraschend menschliche Züge. Diese liebe zum Detail sorgt in Kombination mit den prägnanten Themen für einen äußerst reichhaltigen musikalischen Kosmos, der den Weltenbau der Serie zu einem nicht geringen Teil ausmacht. Die verschiedenen Chöre, Sängerinnen und Sänger, aber auch exotische Instrumente wie etwa Yaylı tambur (eine türkische Laute), Gadulka (ein bulgarisches Streichinstrument), Nyckelharpa oder Dulcimer tragen viel zur besonderen Atmosphäre bei. Und wichtiger noch: Anderes als in der ersten Staffel gelingt McCreary dieses Mal eine starke Dramaturgie, die sich von den ruhigen atmosphärischen Musikstücken bis hin zu den massiven Action-Stücken entwickelt: Alles kulminiert schließlich im elfminütigen Battle for Eregion, einer bombastischen orchestralen Tour de Force, die noch mal viele der Leitmotive raffiniert miteinander verflechtet. So schafft Bear McCreary etwas, das nach seiner Arbeit zur ersten Staffel nicht unbedingt zu erwarten war: eine epische, prachtvolle Mittelerde-Filmmusik mit vielen melodischen Highlights, die den Werken Shores in nichts nachsteht und sich immer wieder traut, eigene Wege zu gehen. Mag sein, dass sich das Musikkonzept in Zukunft abnutzen mag. Im zweiten Jahr von The Rings of Power entpuppt sich diese Sorge aber noch als völlig unbegründet.


Diskographische Notizen

Wie schon bei der ersten Staffel von The Rings of Power ist Bear McCrearys Filmmusik in zwei Versionen erhältlich: zum einen als rund hundertminütige Doppel-CDs mit den Höhepunkten und via Download die komplette Musik jeder einzelnen Episode. Das oben erwähnte Dawn of the Second Age ist beispielsweise nur in der vollständigen Musik zur ersten Folge enthalten.

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