Es ist kein Geheimnis, dass so mancher Schauspieler in Hollywood fast alles dafür tun würde, um die eigene jugendliche Schönheit möglichst lange zu bewahren. Diejenigen, die sich noch nicht unter das Messer eines Beauty-Chirurgen gelegt haben, gehören – so erscheint es zumindest manchmal – einer schwindenden Minderheit an. Das Ziel ist klar: Es geht darum, im Casting für neue Rollen möglichst gute Karten zu besitzen und das Aussehen ist dabei oft eine ausschlaggebende Größe. In The Substance seziert Coralie Fargeat auf derbe satirische Weise die brutalen Mechanismen des Show-Geschäfts und den obsessiven Wahn einzelner, niemals altern zu wollen. Eine, auf die das zutrifft, ist die 50-jährige Elizabeth Sparkle (Demi Moore), einst umjubelte Schauspielerin mit Sternchen auf dem Walk of Fame. Doch bereits die wunderbare Eingangszene zeigt, wie im Laufe der Zeit ihr Ruhm verblasst. In Zeitraffer sehen wir aus der Vogelperspektive den zunächst makellosen Stern, wie er nach der Einweihung mit Blitzlichtgewitter über die Jahre zunehmend Risse bekommt, bis er von Passanten, die die Schauspielerin längst vergessen haben, schließlich mit Pizzaresten vollgekleckert wird. Der anfängliche Glanz & Glamour verwandelt sich in etwas eher Ekliges und das nimmt, wenn man so will, in Kurzform bereits die Filmhandlung vorweg.

The Substance erzählt vor allem von den Tagen nach dem Ruhm. Für Elizabeth Sparkle gibt es schon lange keine guten Rollen mehr. Im Fernsehen ist sie nur noch als Vortänzerin in einer Aerobic-Show zu sehen. Und der schmierige Produzent (Dennis Quaid) schiebt sie aufs Abstellgleis, beim letzten gemeinsamen Mittagessen lutscht er vor ihren Augen die Schrimps aus, ein Sinnbild dafür, wie er es wohl mit allen seinen „Opfern“ macht. Zum Abschied überreicht er ihr noch ein Kochbuch – gegen die Langeweile versteht sich. Die wutentbrannte Elizabeth will das nicht hinnehmen und so lässt sie sich auf das Heilsversprechen von „The Substance“ ein, einer Spritze, die eine bessere, schönere Version des eigenen Selbst verspricht. Plötzlich schlüpft Sue aus dem aufgebrochenen Rücken der Schauspielerin heraus. Sie ist Elizabeths jugendliches Alter Ego – begehrenswert und strahlend schön. Beide sind aber genetisch eins, wie der Beipackzettel der Substanz in Großbuchstaben erklärt. Zusätzlich gibt es strenge Regeln einzuhalten: immer im Wechsel darf für eine Woche Sue und eine Woche Elizabeth leben – eine sensible Balance, die – man ahnt es schnell – alsbald aus den Fugen gerät. Denn Sue fliegen alle Herzen zu. Sie macht in Windeseile Karriere und bekommt alles das, was Elizabeth gerne wieder zurück hätte. In ihrem eitlen Egoismus überzieht sie den streng vorgegebenen Wochen-Zyklus. Mit fatalen Folgen, denn als Ausgleich ist Elizabeth dazu verdammt, in rasantem Tempo zu altern.
Die Grundidee dahinter ist brillant: Dass Sue sofort wieder willfährig und trotz besseren Wissens das narzisstische Spiel um Ruhm, Glamour und Sex mitspielt, dessen Opfer ihr älteres Ich wurde, entlarvt die perfide Egozentrik, die sich ganz den Gesetzen des Business untergeordnet hat. Es ist ein System, das von Männern betrieben wird, das Frauen aber mittragen und das sich dadurch immer wieder selbst reproduziert. Elizabeth hechelt so sehr der eigenen Jugend hinterher, dass sie sogar ohne Skrupel bereit ist, ihr eigenes Selbst abzulösen. Bezeichnenderweise wird Sue auch nicht auf natürlichem Wege geboren, sondern bricht Elizabeth buchstäblich das Rückgrat. Visuell ist The Substance ohnehin großartig inszeniert: mit surrealen, Kubrick-verdächtigen Kamerafahrten, die durch die leeren Flure des Fernsehsenders gleiten. Elizabeths aseptisches Penthouse wird zu einem von der Wirklichkeit isolierten Albtraum-Ort mit langen Gängen, einer sich endlos in die Höhe schraubenden Dusche und einem weiß-gefliesten, klinisch sauberen Badezimmer. Es gibt Platz für doppelte Wände, hinter die sich leblose Körper schleifen und damit verstecken lassen. Und die riesige Fensterfassade mit Blick auf die Stadt könnte umgekehrt auch die Leinwand sein, mit der die Welt auf die öffentliche Elizabeth blickt. Es ist ein bizarres, abgeschottetes Gefängnis für den stattfindenden Exzess der körperlichen Verwandlung. Zu den bizarren elektronischen Sounds der Musik von Raffertie und harten Schnittfolgen, die an vergleichbare Montagen aus Requiem for a Dream erinnern, findet die bizarre genetische Transformation Elizabeths statt – ein drastischer wie schonungsloser Body-Horror mit schwarz-humorigen Zügen, der mitunter an die Grenzen des Erträglichen geht.
Doch auch wenn The Substance zum Teil bitterböse Allegorien für den Schönheitswahn findet und diesen mit einer lustvollen Drastik an den Pranger stellt, stolpert das Drehbuch doch häufiger über die eigene Plakativität. So gerät Dennys Quaids schmierig-misogyner TV-Produzent, mit dem wenig subtilen Namen Harvey, völlig überzeichnet. Überhaupt sind alle verantwortlichen Entscheider männlich, was anno 2024 wohl nur für die wenigsten Sender überhaupt noch zutreffen dürfte. Gleichfalls stellt sich auch die Frage, ob in der Realität Frauen ab 50 wirklich derart aus der medialen Wahrnehmung verschwinden, wie es die Regisseurin Coralie Fargeat selbst im Making-of noch behauptet. Denn zahlreiche Beispiele aus Kino und Fernsehen belegen eigentlich genau das Gegenteil: So sind etwa fünf der zehn Schauspielerinnen, die aktuell für die Oscars nominiert sind, weit über 40, wozu eben auch die 61-jährige Demi Moore und die über 70jährige Isabella Rossellini zählen. Die Gesellschaftskritik von The Substance besitzt selbstverständlich einen wahren Kern, wenn sie darüber reflektiert, wie Körper von Frauen ständig und überall bewertet werden. Dennoch erscheint die Realität weitaus komplexer, als es der Film über viel zu lange 140 Minuten suggerieren will.
Beachtlich ist aber, wie die Tonspur die Dekonstruktion der Körperlichkeit spiegelt: Der Brite Benjamin Stefanski begleitet unter seinem Künstlernamen Raffertie das Altern und die Deformation mit einem sperrigen elektronischen Sound Design, das sich nahezu komplett klassischen filmmusikalischen Dramaturgien verweigert. Dafür greift er tief in die Fundgrube gängiger Soundeffekte. Da gibt es wummernde Ambient-Klänge, harte Club-Beats für die ihren Ruhm genießende Sue. Ein Blubbern illustriert die durch die Ampulle der Spritze wandernde Substanz. Immer wieder gleitet die kühl-stilisierte Musik ins Geräuschhafte ab, verwendet scharrend-schleifende Effekte, die an eine Stichsäge erinnern. Dazu klackert vertrackte Rhythmik im Hintergrund, als wäre es die versteckte Mechanik des Alterns. Das alles zehrt ganz bewusst am Nervenkostüm des Zuschauers. Die enervierende Klangwelt scheint dabei vor allem das Ziel zu verfolgen, Unbehagen zu verbreiten. Das passt perfekt zu den Bildern, weil die Welt, in der Sue/Elizabeth leben, eine übersteigerte Hochglanz-Illusion ist – eine bizarre Bubble für Egomanen, die ihre eigenen Kinder frisst, nur um weiter bestehen zu können. Je mehr die Situation aber schließlich eskaliert und, umso mehr die Körper degenerieren, desto mehr verstärkt Raffertie auch seine musikalischen Effekte. Die Entmenschlichung der degenerierten Körper entsteht wird so quasi von einem akustischen Zersetzungsprozess begleitet.
Damit schafft er einen eindrucksvollen, charismatischen Klangraum, im Grunde gar nicht so unähnlich wie der, den vor einigen Jahren Geoff Barrow und Ben Salisbury zu Annihilation erzeugten. Da ging es bezeichnenderweise ebenfalls um die Transformation von Körpern. Doch beide Musiken eint ein ähnliches Problem: In ihrer metallischen Künstlichkeit dringen sie zu keinem Zeitpunkt wirklich zu dem Innenleben der Figuren vor. Im Gegenteil: Sie tragen eher sogar dazu bei, dass diese äußerst stereotyp und eher abstrakt bleiben. Das zeigt sich insbesondere auch kurz vor Ende, in einer Szene, in der sich die längst entstellte Elizabeth Ohrringe anlegt. Hier erklingt keine Originalmusik, sondern der ursprünglich von der Regisseurin angelegte Temp-Track: Bernard Herrmanns The Nightmare And Dawn aus Hitchcocks Vertigo. Es ist ein Moment, in dem die Musik zugleich abgründig und elegant wirkt und damit Elizabeth trotz ihres erbärmlichen Zustands eine gewisse Würde verleiht. Auch wenn das Stück eigentlich eine Spur zu prominent ist, um es hier einzusetzen, verdeutlicht es dennoch schmerzlich, was der Originalmusik und dem Film hinsichtlich der Psychologisierung fehlt. Denn gerade in der Charakterzeichnung wirkt The Substance seltsam inkonsequent: Einerseits soll die Reduzierung aufs Äußerliche angeprangert werden, gleichzeitig schafft es das Drehbuch aber nicht, seine Charaktere dreidimensional zu gestalten, ihnen Tiefe zu verleihen. Das ist auch deshalb so ärgerlich, weil die Kamera immer wieder hautnah die Körper der beiden Hauptdarstellerinnen und der Tänzerinnen in der Fitness-Show abfilmt und damit genau jenes Schönheitsideal bestätigt, welches eigentlich kritisiert werden soll.
Wenn Elizabeth-Sue am Ende in einer beispiellosen Farce als deformierte Monstrosität die Bühne betritt und das Publikum mit ihrem Anblick schockt, werden diese Hochglanzbilder dennoch wirkungsvoll dekonstruiert. Elizabeths von Selbsthass und Geltungssucht zerfressenes Inneres hat sich buchstäblich nach außen gekehrt. Es ist das bittere Ergebnis von dem, was „das System“ aus ihr gemacht hat. Gleichzeitig stellt sich dabei aber – vielleicht unbeabsichtigt – die Frage, welche Bedeutung die Hülle am Menschsein hat und ob nicht ein Mindestmaß an Äußerlichkeit Grundvoraussetzung für ein soziales Miteinander ist. Der verständliche Ekel der Zuschauer zeigt schließlich, dass innere Werte nur bis zu einem gewissen Grad zählen. Das muss auch Elizabeth erfahren, die noch verzweifelt „Ich bin doch hier“ ruft, aber längst nicht nur ihre Jugend, sondern auch ihren Körper verloren hat. Am Ende löst sie sich auf und allein der Stern am Boden des Walk of Fame bleibt zurück. Damit schließt sich auf fulminante Weise der Kreis zum Filmbeginn. Raffertie lässt seine Komposition im Abspann mit sanfter Klaviermusik ausklingen – ein eigenartiger Gegensatz zum verstörenden Sound Design, mit dem er einen Großteil des Filmes begleitet hat. Das wirkt wie ein grober Stilbruch, erinnert aber auch gleichzeitig daran, dass ein Leben jenseits Fargeats bizarrer Körperwelten existiert. Und das mutet dann doch irgendwie tröstlich an.