Die sechs Bücher über den machtvollen, unheilbringenden Ring gehören zusammen mit dem märchenhaften Vorspiel Der Hobbit vermutlich zu den einflussreichsten Werken des zwanzigsten Jahrhunderts. Praktisch die gesamte nachfolgende Fantasyliteratur und zahllose Rollenspiele wurden von der epischen Saga des Sprachwissenschaftlers J.R.R. Tolkien maßgeblich geprägt. Dies liegt vor allem daran, dass Der Herr der Ringe weit über ein reines Märchen hinausgeht. Die Geschichte, Geographie und die Wesen von Mittelerde, dem Schauplatz der Handlung, werden von Tolkien in einer Detailverliebtheit beschrieben, die ihres gleichen sucht. Das geht sogar so weit, dass er für die Elben, eines der Völker der Fantasywelt, eine eigene Sprache inklusive Grammatik erfand. Die Eigenschaften der verschiedenen Rassen, so wie er sie beschreibt, sind bis heute im Fantasygenre – ob nun Buch, Kino oder Rollenspiel – immer wieder anzutreffen. Der Herr der Ringe besitzt weltweit eine breite Anhängerschaft, die ihr Lieblingsbuch geradezu kultisch verehrt. Ideale Voraussetzungen also für eine erfolgreiche Verfilmung. Doch die erste, bereits 1977 von Ralph Bakshi als Zeichentrick auf die Leinwand gebracht, misslang völlig und wurde der Vorlage nicht einmal ansatzweise gerecht. Der Film floppte derart fürchterlich, dass es nicht einmal eine Fortsetzung gab und inhaltlich nur etwa die Hälfte der Bücher adaptiert wurde.
Rund 24 Jahre später wagte sich ausgerechnet der mit Splatterfilmen wie Bad Taste oder Braindead groß gewordene Regisseur Peter Jackson an eine Neuverfilmung. In einem gewaltigen logistischen Kraftakt hat er die sechs Bücher in einem Rutsch gestemmt. Der erste Teil mit dem Untertitel Die Gefährten seiner auf drei Filme angelegten Adaption startete Mitte Dezember 2001 weltweit in den Kinos. Dass ein so umfassendes Buch nicht vollständig oder gar 1 zu 1 auf die Leinwand übertragbar ist, dürfte in der Natur der Sache liegen. So musste auch Jackson zwangsläufig Kürzungen, Veränderungen und notwendige Dramatisierungen vornehmen, ohne die keine überzeugende Leinwandadaption auskommt. Und das ist auch gut so. Denn anders als Chris Columbus, der Harry Potter all zu sklavisch abgefilmt hat, gelingt ihm ein dreistündiges Epos von großer Bildgewalt.
Unabhängig davon, wie man die gegenüber der Vorlage vorgenommenen Änderungen beurteilt, (diese betreffen vor allem den erweiterten Part von Arwen, die Trennung der Gefährten und die unverhältnismäßige Betonung der Kampfszenen), ist Peter Jackson ein mitreißendes und stimmungsvolles Fantasykino gelungen, wie es so bislang selten im Kino zu sehen war. Es kann die Lektüre des Buches zwar nicht gleichwertig ersetzen, macht aber Lust, tiefer in die Welt von Mittelerde einzutauchen. Ebenso sehnsüchtig wie dem Film wurde auch der zugehörigen Vertonung von Howard Shore entgegen gefiebert. Der „Hauskomponist“ von David Cronenberg (Existenz, Crash) hatte in letzter Zeit mit seiner tollen experimentellen Arbeit zu The Cell einiges Aufsehen erregt. Mit Spannung, zum Teil aber auch einiger Skepsis, wurde erwartet wie sich Shore dem anspruchsvollen Mammut-Projekt konzeptuell als auch stilistisch nähern würde.
Für Die Gefährten entstanden insgesamt rund zweieinhalb Stunden Musik, für die ein eindrucksvolles Ensemble versammelt wurde: Ein hundertköpfiges Orchester, zwei große Chöre und zehn Gesangssolisten (u.a. Miriam Stockley und Enya) sind in der gewaltigen Tonschöpfung zu hören. Diese besitzt deutlich erkennbare Vorbilder: Wagnersche Opern, aber auch Carl Orffs Carmina Burana klingen an. Shore selber sieht seine Partitur als eine Art auf drei Akte angelegte Oper (vgl. [1]). Der erste Teil seiner „Ring“-Trilogie bereitet ein prächtiges Hörerlebnis. Mit dem verspielten, lyrischen Thema für die Hobbits, der noblen Fanfare der Gefährten und den sphärischen Vokalisen (für die Figuren Arwen und Galadriel) hat Shore markante, ohrwurmverdächtige melodische Einfälle geschaffen (Verblüffende Ähnlichkeit besitzt das Gefährten-Thema übrigens mit einem Nebenthema von Randy Newmans Musik zu Der Unbeugsame (1984) (vgl. [2])). Gewaltige, peitschende Choräle begleiten die schwarzen Reiter und die Armee Sauromans, wobei hier nicht nur die bereits erwähnte „Carmina Burana“, sondern auch Shores eigenes Filmmusik zu Al Pacinos filmischen Shakespeare-Essay Looking for Richard Pate standen. Als Schlusspunkt des „ersten Aktes“ dient der melancholische Enya-Song „May it be“, der die Komposition auf für die Sängerin charakteristisch melancholische Art abrundet.
Im Film funktioniert die Musik gut, ordnet sich der Handlung unter und findet stets den richtigen Ton, um die Wirkung der Bilder zu verstärken. Die beeindruckende Kamerafahrt in das Bergwerk Sauromans (wo dieser die Rüstung für eine neue Armee schmieden lässt) etwa: Neben dem düsteren Chor wird sie von metallisch klingendem Schlagwerk vorangetrieben, deren Rhythmus das Hämmern imitiert. Dieser Kunstgriff steigert die bedrohliche Intensität, die von der Szene ausgeht, auf faszinierende Weise.
Shore hat eine angemessene Vertonung geschaffen, die auch abseits vom Film prachtvoll anzuhören ist. Doch bei aller Begeisterung darf nicht übersehen werden, dass das Besondere des Stoffes keine musikalische Entsprechung findet. Shores Komposition hätte auch zu jedem anderen Fantasyfilm gepasst. Der Mut zum Ungewöhnlichen fehlt leider. Vielleicht hätte mittelalterliche Folklore gut zum Stoff gepasst oder die konsequentere Verwendung alter Instrumente eine eigentümlichere Atmosphäre entstehen lassen. Eine solche individuelle Note geht den Gefährten jedoch ein wenig ab. Als kleine weitere Schwäche erweist sich auch die leicht statische Melodieführung, die sich in den mitunter sehr gleichförmig anmutenden legato-Passagen der Streicher äußert. Doch diese Einwände können das Hörvergnügen kaum trüben. Insgesamt ist die Komposition von Howard Shore mehr als überzeugend geraten. Völlig zurecht erhielt er für sie den ersten Oscar seiner Karriere.
[1] vgl. Interview auf Soundtrack-Net
[2] vgl. The Natural – Original Music composed and conducted by Randy Newman (1984) (Warner Bros. 9 25116-2, Stücke: „The Natural“ (1:32), „The Final Game“ (3:20), „The End Title“ (2:15))