Barbie – Mark Ronson & Andrew Hyatt: „Pretty in Pink“

Wenn sich Konzerne mit der Filmindustrie zusammenschließen, um ihre Produkte auf der großen Leinwand zu inszenieren, ist stets Vorsicht geboten. Umso erstaunlicher mutet es an, wie kritiklos Greta Gerwigs Barbie-Film von Kritik und Publikum gleichermaßen gefeiert wurde. Den überraschenden weltweiten Siegeszug verdankt er nicht nur einer talentierten Regisseurin, sondern auch einem cleveren Drehbuch, das die Plastikpuppen raffiniert mit aktuellen Feminismusdebatten verknüpft und somit aus der Mottenkiste alter Rollenbilder entreißt. Hinzu kommt ein geniales Casting: Margot Robbie spielt die stereotype Barbie und Ryan Gosling tritt als muskelbepackter Ken auf. Billie Eilish singt dazu den Oscar-gekrönten Filmsong What Was I Made For? Beste Werbung für den Mattel-Konzern also. Der Film verschafft ihm ein positives Diversity-Image, ist gleichzeitig aber smart genug, durch selbstironische Dialoge jede aufkeimende Kritik präventiv zu entkräften. Wenn man darauf hinweist, dass der Konzern selbst über viele Jahre ein konservatives Frauenbild und ein toxisches Schönheitsideal befördert hat, lässt sich dieser Vorwurf eben leicht relativieren, indem man anführt, dass der Film nun genau diese Probleme zu seinem zentralen Anliegen macht. Dabei spielt dann auch gar keine Rolle mehr, ob Mattel es mit dieser Kehrtwende im eigenen Portfolio wirklich ernst meint oder nur sein Fähnchen Richtung Zeitgeist dreht.

Vielleicht ist es letztendlich auch egal, denn in Gerwigs Barbie ist ohnehin alles augenzwinkernd und meta. Im Barbieland regieren die Frauen. Alle gesellschaftlich relevanten Bereiche werden von ihnen besetzt. Selbst auf der Baustelle malochen ausschließlich Bauarbeiter-Barbies (die es tatsächlich gibt) und Oberhaupt dieser pinkfarbenen Wunderwelt ist die Präsidentin-Barbie (die passend zum Kinostart in einer eigenen Sammler-Edition veröffentlicht wurde). Für die Kens bleibt da nur noch der Strand übrig, an dem sie verzweifelt versuchen, den Barbies zu gefallen. Es könnte also jeden Tag ein wunderbarer „Girls’ Day“ sein. Doch so einfach ist es natürlich nicht: Eines Tages wird ausgerechnet die stereotype Barbie plötzlich von negativen Gedanken befallen: Sie beginnt, über die eigene Sterblichkeit nachzudenken, wacht mit Cellulitis und Plattfüßen auf. Zusammen mit Ken reist sie in die Realwelt, denn jede Barbie besitzt eine Verbindung zu der Person, der sie gehört. Irgendetwas muss da also schiefgegangen sein. Doch die Wirklichkeit ist kein pinker Ponyhof. Hier herrscht das „Patriarchat“. Der vormals nur Anhängsel von Barbie fungierende Ken ist davon naturgemäß begeistert. Er reist schnell zurück und führt beseelt von seinen Erfahrungen bei den „echten“ Menschen auch im Barbieland die Männerherrschaft ein. Der Frieden bei den Puppen ist akut gefährdet. Und so brechen Barbie, ihre „Besitzerin“ und deren Tochter zur Mission auf, die eigene Heimat zu retten.

Es ist schon völlig irre, was Greta Gerwig da mit ihrer Barbie auf die Leinwand bringt: Ein pinkfarbener Fiebertraum, bis in den letzten Winkel kunterbunt durchgestylt und glamourös. Sie nutzt das künstliche Setting für grandios choreografierte Musicalnummern, die sich ganz bewusst an das klassische Hollywood-Kino anlehnen. Diese ausschweifenden, selbstvergessenen Szenen bereiten einen Riesenspaß, wie etwa die finale Schlachtszene zwischen den Kens, bei der die verfeindeten Fraktionen mit Strandzubehör aufeinander losgehen (I am Ken). Wenn sich der Film so exaltiert seiner ironischen Musical-Extravaganz hingibt, ist er ganz bei sich, offenbart aber auch ein Problem: Wie ein Jahr später das Musical Wicked zelebriert Barbie viel selbstverliebten Oberflächenglanz, bei dem sich die Frage stellt, wie progressiv das alles wirklich ist. Zwar wird in den Dialogen oft kritisch über das Patriarchat und konservative Rollenbilder gesprochen und natürlich treten hier – Diversität sei Dank – viele Barbies jenseits der Norm auf. Die Botschaft: Sie alle dürfen und sollen mit dabei sein. Doch gleichzeitig besitzt diese Inklusivität deutliche Grenzen: Selbstverständlich bleiben sie stets nur Randfiguren und Stichwortgeber. Die meiste Screentime bekommen am Ende wieder diejenigen, die am ehesten dem klassischen Schönheitsideal entsprechen: Margot Robbies stereotype Barbie und Goslings muskelbepackter Ken.

Zu einer relevanten Gesellschaftskritik fehlt dann doch einiges, zumal der Film zum Feminismus nur wenig zu sagen hat, was nicht bereits in unzähligen Dokumentationen, Reportagen und Essays in den letzten Jahren immer und immer wieder durchdekliniert wurde. So wirkt das Sendungsbewusstsein oft zu krampfhaft gewollt, anstatt dass sich relevante Botschaften organisch aus der Handlung ergeben würden. Dem Unterhaltungswert tut das allerdings keinen Abbruch. Viele Detaileinfälle sind drollig, die Gags sitzen größtenteils. Charmant etwa die an 2001 angelehnte Eröffnungsszene, in der kleine Mädchen mit klassischen Puppen spielen, bis ihnen plötzlich Barbie als „Monolith“ erscheint und alles verändert. Und damit ist man auch direkt schon bei der Filmmusik. Denn logischerweise erklingt zu dieser Szene Also sprach Zarathustra von Richard Strauss. Doch das Zitat der Tondichtung geht schnell in den 80er-Jahre-Disco-Vibe über, mit dem das Duo Mark Ronson & Andrew Wyatt, einen Großteil ihrer Filmmusik gestaltet. Beide Komponisten entstammen eigentlich dem Pop-Musik-Umfeld. Ronson ist britischer Musikproduzent, Labelbetreiber und DJ, Wyatt arbeitet als Musiker, Songwriter und Produzent (u.a. von Lady Gagas Shallow aus A Star is Born).

Angesichts dieses Hintergrunds der beiden Komponisten überrascht es nicht, dass die zentralen Filmsongs in ihrer Musik eine große Rolle spielen, sei es Dua Lipas Pop-Hymne Dance the Night oder eine instrumentale Version des Oscar-Songs von Billie Eilish. Zur bunten Zusammenstellung gehören mitunter auch orchestrale Passagen. Im scharfen Kontrast zur restlichen Musik steht etwa das sentimental überbordende Meeting Ruth zur Szene, in der Barbie auf die Ur-Erfinderin der Puppe trifft. Originell auch das Arrangement von Dance the Night als Marsch in Mattel, der die trotteligen Vorstandsmitglieder aus der Konzernzentrale begleitet. Doch über weite Strecken überwiegt der fröhliche Plastik-Synth-Pop, der in Stücken wie Deprogramming und Stairway to Weird Barbie ein sympathisches Retro-Feeling verströmt. Die Stilrichtungen wechseln dabei allerdings eher willkürlich, ohne roten Faden, je nachdem, was gerade benötigt wird. Und das offenbart auch ein Problem von Gerwigs Film, der oft die Tonalität wechselt und Einzelideen nicht konsequent genug weiterentwickelt. Wenn zum Beispiel jede Barbie mit ihrer Besitzerin verbunden ist, warum gibt es dann nur genau eine stereotype Barbie? Und wenn die Barbies angeblich so smart sind, dass sie ihre eigene Welt am Laufen halten können, wie kann Ken dann so schnell und ohne jeglichen Widerstand das Patriarchat einführen? Und auch Barbies Gedanken zur eigenen Sterblichkeit und Vergänglichkeit sind im Verlauf der Handlung schnell vergessen. Alles das wirkt nicht wirklich durchdacht und so reiht Barbie unterhaltsame Szenen aneinander, ohne ein schlüssiges Story-Konzept vorzuweisen. Und das fällt dann unter dem Strich auch der Filmmusik von Mark Ronson & Andrew Wyatt auf die Füße. Die macht es sich zwischen den eingängigen Popsongs und Musical-Einlagen im funkelnden Disco-Glamour gemütlich. Doch mehr als ein professionell durchgestyltes Hochglanzprodukt ist das kaum. Für viele gilt Barbie schon heute entweder als Kultfilm mit Kult-Soundtrack oder ziemliches Hassobjekt. Die Wahrheit liegt letztendlich wie so oft irgendwo in der Mitte. Ob Greta Gerwigs Hit-Komödie aber wirklich das Zeug zum Kinoklassiker hat, das darf indes bezweifelt werden.

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