Nachdem die letzte Staffel von Games of Thrones bei vielen Fans gnadenlos durchgefallen war, wurde es etwas ruhiger um die Serienschöpfer David Benioff und D. B. Weiss. 2024 meldeten sie sich zurück – mit der Verfilmung der chinesischen Science-Fiction-Trilogie 3-Body-Problem von Liu Cixin. Im Mittelpunkt der Handlung steht die erste Kontaktaufnahme mit einer außerirdischen Macht: Nachdem ihr Vater während der Kulturevolution brutal ermordet wurde, landet die junge Wissenschaftlerin Ye Wenjie unter Zwang auf einer geheimen Militär-Radarbasis. Sie soll im Autrag des chinesischen Militärs Signale ins All senden. Eines Tages erhält sie überraschende Antwort: eine deutliche Warnung vor jeglicher weiterer Kontaktaufnahme. Traumatisiert und enttäuscht durch ihre Erfarhrungen schlägt Ye Wenjie die Warnung in den Wind. In ihrer Verzweiflung lädt sie das fremde Volk ein, trotzdem zu kommen, um die aus ihrer Sicht verlorene Menschheit vor sich selbst zu retten. Ein paar Jahrzehnte später mehren sich die Selbstmorde hochrangiger Wissenschaftler. Fünf von ihnen tun sich zusammen, um das Mysterium zu ergründen und sich der Bedrohung aus dem All entgegenzustemmen.
Ein bevorstehender Alien-Angriff und eine Menschheit, die sich für den Kampf rüstet – das ist in der Filmgeschichte natürlich keine sonderlich originelle Plotidee mehr. Doch die Netflix-Serie verleiht diesem Grundmotiv einen besonderen Twist: Denn die Trisolarier brauchen durch die große Entfernung von ihrer, dem Untergang geweihten Welt, rund vierhundert Jahre, um die Erde überhaupt zu erreichen. Daraus resultiert eine Bedrohung, die erst nachfolgende Generationen betreffen wird. Für diejenigen, die zum Widerstand aufrufen, wird das aber zu einem Dilemma, weil viele Menschen nicht bereit sind, einen Kampf gegen einen unsichtbaren Gegner zu führen, der noch nicht spürbar in Erscheinung getreten ist. Zugleich gibt es religiöse Fanatiker, die sich nichts sehnlicher wünschen als die Ankunft der Aliens und in der Zwischenzeit als ihre willfährigen Handlanger fungieren. Was 3-Body-Problem in der ersten Staffel vor seinem Publikum ausbreitet, ist deshalb eine äußerst komplexe Gemengelage, die interessante ethische Diskussionen aufwirft. So stellt sich in einer Folge die Frage, ob der Tod vieler Zivilisten zu rechtfertigen ist, um eine rein hypothetische Gefahr in der Zukunft zu bekämpfen.
Obwohl solche guten Ansätze faszinieren und ein solider Spannungsaufbau gelingt, gerät die Serie am Ende aber doch eher banal. Dies liegt nicht nur an den stereotypen Hauptfiguren – attraktive Jungwissenschaftler, die viel Zeit damit verbringen, ihre Beziehungsprobleme zu diskutieren und deren weltweit führende Kompetenz eine bloße Behauptung des Drehbuchs bleibt. Auch der Plot liefert einige Ungereimtheiten: Wenn die Erde für die Trisolarier noch unerreichbar ist, woher kommen dann die Videospiel-Helme? Und wie können die Aliens derartige virtuelle Welten erzeugen, wenn sie das Konzept von Märchen und Geschichten nicht verstehen? Selbst wenn die Folgestaffeln das noch erklären mögen: Absurderweise interessiert sich keiner der Hauptfiguren für den Ursprung der außergewöhnlichen Technologie. Und zu guter Letzt: Wie wahrscheinlich ist es, dass ein Freundeskreis ausschließlich aus herausragenden Wissenschaftlern besteht, die gemeinsam im Verlauf eine wichtige Rolle in der globalen Krise einnehmen?
Wie schon bei Game of Thrones schwächelt das Drehbuch immer dann, wenn die Autoren etwas hinzudichten oder die komplexe Romanhandlung für ein Mainstream-Publikum vereinfachen müssen. Etwas skurril mutet der aus Westeros übernommene Kunstgriff an, prominente Figuren unerwartet sterben zu lassen. Das überrascht zwar auch hier, funktioniert jedoch weitaus schlechter, weil man als Zuschauer vorher eine viel geringere Bindung zu den Charakteren aufgebaut hat. Dass 3-Body-Problem bisweilen etwas generisch wirkt, liegt leider auch an der Filmmusik. Der Duisburger Ramin Djawadi ist aktuell ein viel-gefragter Komponist, wenn es um ambitionierte Streaming-Projekte geht. Doch nach mehreren Staffeln von Westworld, House of the Dragon, Jack Ryan und Fallout fehlt ihm dieses Mal eine zündende konzeptuelle Idee, um der Serie eine besondere musikalische Stimme zu verleihen. In einem Hauptthema, das direkt an das zu Westworld anknüpft und einem kühlen Orchester-Synth-Mix mit viel Nachbearbeitung, nicht unähnlich dem Stil von Fallout, wirkt seine Komposition eher anonym, denn besonders stark auf die Filmhandlung Bezug zu nehmen.
Ein paar gute Ansätze gibt es dennoch: Beispielsweise erinnert der Klavier-Rhythmus im Serien-Hauptthema an einen Morse-Code und greift damit direkt das zentrale Thema der Kommunikation mit einer außerirdischen Macht auf. Doch weil diese Kontaktaufnahme eher beiläufig erzählt wird, spielt das Thema im Verlauf der Handlung nur eine geringe Rolle, zumal Netflix den Vorspann nach der ersten Folge radikal einkürzt. Sehr gelungen sind diejenigen Stücke, in denen der vom Krebs gezeichnete Will die letzten Tage im Kreis seiner Freunde verbringt und Cello-Soli stimmungsvoll die Melancholie und Vergänglichkeit der Strandszenen einfangen (One last Sunset, Origami Boats). Und auch das nachdenkliche Klavierthema für Ye Wenjie verleiht ihrer tragischen Figur eine gewisse Würde. Doch genau wie die Serie nur an der Oberfläche kratzt, bleibt auch die Musik über weite Strecken eher abstrakt. Durch das seltsam künstliche Klangbild und viel generische Spannungsuntermalung mit polterndem Schlagwerk und geräuschartigen Effekten, wie man sie bereits aus Fallout und Jack Ryan kennt, wirkt die Musik über weite Strecken eher austauschbar. Und wenn sie doch mal mit sphärisch-meditativen Klängen Richtung Interstellar schielt, dann scheitert sie auch daran, dass man das alles bereits bei Hans Zimmer viel eindrucksvoller gehört hat.
Am Ende schafft es die Serie trotz zum Teil beachtlicher Schauwerte nicht, die komplexe Buchhandlung zum Leben zu erwecken. Zu künstlich und plakativ wirkt dafür die Inszenierung. Sie leistet sich schließlich auch zu viele dramaturgische Schnitzer, wie die alberne Reduktion der handelnden Figuren auf eine Gruppe junger adretter US-Wissenschaftler oder die Verwässerung der cleveren Mischung aus Hard Science und philosophischen Fragestellungen, die die Romane auszeichnen. Ramin Djawadi begleitet die Serie zwar mit einer durchaus kompetenten Vertonung. Aber irgendwie wird man das Gefühl nicht los – und das gilt auch für die Serie selbst – dass mehr Inspiration und Kreativität notwendig gewesen wären, um mit 3-Body-Problem für eine ähnliche Furore zu sorgen, wie es einst Game of Thrones tat. Davon sind Musik und Serie dann doch einige Lichtjahre entfernt.