In den letzten Jahren gab es vermehrt Musiken, deren Klanglichkeit maßgeblich die Architektur innerhalb der Filmwelt spiegelte. Man mag da an Hans Zimmers Dune denken oder zuletzt The Substance. In The Brutalist spielt aber nicht nur die filmische Architektur eine entscheidende Rolle. Das epische Drama von Brady Corbet (Childhood of a Leader) handelt selbst von Architektur: Die Hauptfigur des epischen Dramas, der jüdische László Tóth (Oscar-gekrönt: Adrien Brody), ist nämlich ein Bauhaus-Architekt, dessen Werk zur Stilrichtung des Brutalismus zählt. Obwohl es sich um keine historische Figur handelt, inszeniert Corbet die Lebensgeschichte des ungarischen Künstlers im Stil einer epischen Filmbiografie: Als Holocaust-Überlebender wandert Tóth nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in die USA aus, in der Hoffnung, sich dort eine neue Existenz aufzubauen. Seine Frau Erzsébet, so der Plan, soll ihm später nachfolgen. Doch das Leben im Exil gestaltet sich schwierig. Als Einwanderer sieht man ihn – das galt damals schon genauso wie heute – überwiegend als Menschen zweiter Klasse an, der geduldet, aber nicht wirklich akzeptiert wird. László findet zwar zunächst bei seinem Cousin Attila, der ein Möbelgeschäft betreibt, Unterschlupf. Doch nachdem ein Auftrag beim launenhaften Millionär Van Buren (Guy Pearce) schiefgeht, landet er als Tagelöhner auf der Straße – ein absurdes Missverständnis, wie sich alsbald herausstellt. Denn Van Buren entpuppt sich als euphorischer Kunstmäzen, der Lászlós Talent erkennt und fördert. Auf einem Hügel soll dieser ein gigantisches Kultur- und Gemeindezentrum, bestehend aus Bibliothek, Sporthalle, Auditorium und Kapelle errichten. Doch das ist ein größenwahnsinniger Plan. László kämpft nämlich mit seinen inneren Dämonen: Das durch den Holocaust erlittene Trauma wiegt schwer. Zudem stehen ihm seine Drogensucht als auch Wutausbrüche im Weg. Und das Verhalten des in seinen Reichtum verliebten Van Burens bleibt weiterhin launenhaft. Anwälte und Bauunternehmer verfolgen zudem ihre ganz eigenen Interessen, die mit denen Lászlós kollidieren. Die Spannungen an der Baustelle nehmen tagtäglich zu. Als eines Tages ein Zug mit Baumaterialien entgleist, gerät das ehrgeizige Projekt zunehmend in Schieflage.
Brady Corbet dekonstruiert in The Brutalist eindrucksvoll den amerikanischen Traum und erzählt leidenschaftlich vom Spannungsfeld, in dem große Kunst entsteht. Gleich die Eröffnungsszene, in der László im Schiffsinnern auf die Ankunft in New York wartet, gerät wie die vergleichbare Szene in Childhood of a Leader in einen irritierenden Taumel. Die Freiheitsstatue steht auf dem Kopf. Und so feiert diese Szene das Glück des Neuanfangs in Freiheit gleichermaßen, wie es dieses infrage stellt. Die mit dem Oscar prämierte Filmmusik von Daniel Blumberg tut es dem in der Overture gleich. In den Bläsern erklingt eine markante Fanfare, doch ein nervöser Takt und dissonante Streicher-Klänge im Hintergrund kontrastieren diese sofort mit einer sich langsam aufbauenden Spannungsmusik, die die zurückliegenden Schrecken des Holocaust und Lászlós Ungeduld nachzeichnet, zugleich aber auch bereits das selbst-zerstörerische Potenzial seines neuen Lebens in den USA vorausahnt. Doch so früh in der Handlung hat die Hoffnung noch Vorrang. Der intensive Rhythmus entlädt sich abermals in der Fanfare vom Beginn, in einer noch euphorischer erscheinenden Variante, die die dissonanten Klänge in den Hintergrund zurückdrängt. Es ist ein furioser musikalischer Beginn, in dem sich alles vereint: die Hoffnung und die Lebenslust, die künstlerische Ambition und Besessenheit, aber in Ansätzen auch der bereits bröckelnde Traum von Freiheit und Unabhängigkeit, der die schwere Last der Vergangenheit trägt.

Doch es gibt noch eine zweite Overture, intimer und zärtlicher gehalten: Sie spiegelt Lászlós private Seite als liebender Familienmensch mittels einer ruhigen, eher konventionell anmutenden Klaviermelodie, deren Sanftheit im scharfen Kontrast zu expressiven Bläser-Fanfare steht. Beide Themen bilden die Basis der rund 80-minütigen Filmmusik, in der sie in unzähligen Variationen zu hören sind. Dabei kann Blumbergs die Intensität der starken ersten zehn Minuten, in denen der Film nach seiner Musik geschnitten wurde, leider aber nicht ganz durchhalten. Vielleicht passiert das aber bewusst, denn die Musik gibt sich genauso improvisiert, brüchig und experimentell, wie der Lebensweg Lászlós sich gestaltet: Da gibt es mal hitzigen New-Orleans-Jazz für eine Klubszene. Ein liebliches Klavierthema über Kinderstimmen begleitet fast ein wenig rührselig das heiß-ersehnte und doch schmerzliche Wiedersehen mit seiner Frau nach vielen Jahren zu Beginn des zweiten Aktes. Diese Melodie entwickelt Blumberg übrigens bereits in der elf-minütigen Intermission aus dem Fanfaren-Motiv. Die Idee für diese Pausenmusik ist originell: Wir hören hier einen Pianisten beim Ausprobieren und Improvisieren, inklusive Umgebungsgeräusche. Die Musik der zweiten Filmhälfte entwickelt sich quasi zwischen den Akten. Besonders stark ist Blumbergs Komposition immer dann, wenn sie die Räumlichkeiten des Filmes spiegelt: sei es, wenn die Anschläge des mit allerhand Gegenständen wie Schrauben präparierten Klaviers das Hämmern auf der Baustelle imitieren oder das Sopransaxofon durch die gespenstischen Marmor-Steinbrüche von Carrara hallt.
Auf eine seltsame Weise atmet die Musik in ihrer speziellen Tonalität diese inneren und äußeren Architekturen der Filmwelt. In Interviews hat Daniel Blumberg betont, wie wichtig es ihm bei der Einspielung gewesen sei, dass die Musik lebendig wirke. Tatsächlich – und deshalb hat sie vermutlich auch den Oscar gewonnen – gelingt ihm durch eine ausgetüftelte Aufnahmetechnik eine erstaunliche Bindung zu den Bildern, aber auch zur speziellen Metaphorik von Corbets Film. Wenn die Musik mitunter kühl und statisch wirkt, passt das perfekt zur Idee der brutalistischen Architektur. Die vielen kleinen nervös-dissonanten Percussion-Effekte heben dazu die feinen Risse hervor, bespielen die fatalen Abgründe, die hinter den Fassaden des amerikanischen Traums lauern. Eine letzte große Überraschung bietet der Epilogue bei der Viennale in den 80ern: Plötzlich erklingt ein Disco-Lounge-Stück, wie es gegensätzlicher kaum sein könnte. László Tóth und sein Werk sind posthum zu einer kuratierten Ausstellungssensation geworden. Was einmal mit vielen Qualen Wirklichkeit war, ist nun gefeierte Kunst. Es ist ein absurder Kontrast, der angesichts des Leids, das László erlitten hat, geradezu albern wirkt. Und dennoch erhält seine Kunst erst retrospektiv erstmals echte Anerkennung – ein letzter ironischer Twist des meisterhaften Filmes.
Blumbergs Filmmusik funktioniert zwar auch abseits der Bilder, leider aber längst nicht so gut. Die vollständigen 80 Minuten bieten eine musikalisch äußerst heterogene Reise, die in Teilen zwar durch ihre bizarren Klangwirkungen begeistert, gleichzeitig aber auch immer wieder stilistisch stark zerfasert. Die improvisiert wirkenden Freejazz-Stücke passen wenig zum thematisch starken Hauptthema mit seinem Architektur-Bezug. Und so originell die Idee mit der Intermission ist, trägt sie im Grunde kein mehrfaches Hören. Zwei Stücke (Monologue, New York) werden dazu von einem Monolog überlagert. Einmal wird ein jüdisches Lied gesungen und der erwähnte Discotrack lenkt nochmals in eine völlig andere Richtung. Das macht alles innerhalb des Filmes konzeptuell Sinn, ohne diesen Kontext aber deutlich weniger. Schlimmer wiegt, dass Blumbergs Komposition fast ihr ganzes Pulver in den ersten zehn Filmminuten verschießt. So charismatisch und aufregend wie der Beginn ist der Rest der Komposition dann abseits einzelner Momente schlichtweg nicht mehr. In seiner audiovisuellen Wirkung gehört The Brutalist dennoch zu den stärksten Musiken des Kinojahrgangs 2024 und zeigt mit dem 34-jährigen Daniel Blumberg einen äußerst vielversprechenden Newcomer bei seinem großen Durchbruch. Doch eine Filmmusik, die auch autonom durchgängig funktioniert, ist sein Brutalist leider nur sehr begrenzt. Ausgerechnet die formale musikalische Architektur der Komposition erweist sich dafür als zu schwach.