Das Boot ist ihr Zuhause. Seit 25 Jahren reist die Schweizer Familie Schwörer bereits über die Ozeane der Welt. Anfangs noch allein, mittlerweile mit ihren sechs Kindern, die alle innerhalb dieser Zeit rund um den Globus geboren wurden. Die Mission1: Bewusstsein für den Klimawandel zu schaffen und junge Menschen zur Rettung unseres Planeten zu inspirieren. Doch wie lässt es sich vereinbaren, den eigenen Lebenstraum zu verfolgen und gleichzeitig auf engstem Raum, gerade einmal 20 Quadratmeter, ohne jegliche Privatsphäre sechs Kinder großzuziehen? Die Regisseurin Livia Vonaesch ist dieser Frage nachgegangen und hat über sieben Jahre die Familie mit der Kamera begleitet. Dabei herausgekommen ist der berührende Dokumentarfilm Home is the Ocean, der gar nicht so sehr den Aktivismus, sondern vor allem die heranwachsenden Kinder in den Mittelpunkt stellt. Und die erleben einen ganz besonderen Lebensalltag jenseits aller Normen: Die meiste Zeit des Jahres verbringen sie auf hoher See. Die Mutter unterrichtet, manchmal gehen sie für eine Zeit lang in einem der Häfen in die Schule. Doch das ist gleichbedeutend damit, nach kurzer Zeit wieder Abschied zu nehmen. An Bord selbst müssen alle mit anpacken. Dazu gehören auch Nachtschichten, in denen die Kinder allein die Verantwortung für das Leben aller auf dem Boot tragen, wie Vater Dario nicht ohne Stolz erklärt. Das Essen ist oft karg, eine Dusche oder Platz zum Spielen fehlen. Und: „Es gibt leider keinen Fernseher, glücklicherweise“, wie einem der Jungs einmal bei der Präsentation vor einer Schulklasse herausrutscht.
Und so stellt sich schnell die Frage, ob dieses Aufwachsen unter ungewöhnlichen Bedingungen für die Kinder wirklich in jeder Hinsicht ein Glücksfall ist. Einerseits sammeln sie Erfahrungen von unschätzbarem Wert, die sie zu mündigen, selbstbestimmten Menschen machen. Andererseits haben sie aber auch keine andere Wahl als zwangsläufig den großen Traum von Freiheit der Eltern mitzuleben. Eine Kindheit unter Gleichaltrigen bleibt ihnen versagt. Im Fall der Teenagerin Salina wird dieser Zwiespalt besonders sichtbar: In einer Einstellung sehen wir die damals 13-Jährige, wie sie auf das Meer blickt und reflektiert, dass sie keinesfalls für immer auf dem Boot leben könne. Je älter sie wird, desto mehr sehnt sie sich danach, in eine richtige Schule zu gehen. Doch so sehr die Eltern ihr diesen Wunsch auch erfüllen würden, muss der Plan zunächst aufgrund finanzieller Probleme hintenanstehen. Salinas Enttäuschung darüber wiegt sichtbar schwer. Die Unmöglichkeit, allen sechs Kindern gerecht zu werden, wird, neben einem schweren Sturmschaden, zu einem echten Dilemma, dem die Schwörers auf ihrer Weltumseglung begegnen.
Liva Voanesch filmt diese Konflikte mit großer Sensibilität. Obwohl sie viel Zeit an Bord mit der Familie verbracht hat, ist es ihr dennoch gelungen, eine gewisse Distanz zu bewahren. Die Kamera nimmt eine beobachtende, nie wertende Perspektive ein. So entwickelt sich ein unprätentiöser und unromantischer Blick auf das Leben auf dem Meer. An faszinierenden Bildern mangelt es trotzdem nicht, etwa wenn das Segelboot begleitet von Delfinen durch die Wellen bricht oder langsam durch die Eismeere Grönlands gleitet. Dennoch erliegt Home is the Ocean zu keinem Zeitpunkt der Verführungskraft des Visuellen. Denn geschickt stellt die Regisseurin den Segel-Aufnahmen immer wieder Szenen am Land, etwa in den Schweizer Alpen, gegenüber, in denen sich auch ein potenzielles bürgerliches Leben mit allen seinen Annehmlichkeiten andeutet. Doch was die Kinder zumindest für den Moment sichtbar genießen, ist für die Eltern keine ernsthafte Alternative. Das stimmt denn dann doch bisweilen nachdenklich, sosehr das noble Ansinnen der Expedition auch Respekt und Anerkennung verdient.
Die Filmmusik von Diego, Nora & Lionel Baldenweg (La Cache) integriert sich behutsam in das sensible Spannungsfeld von Lebensentwürfen, gelebten und ungelebten Träumen, Selbstreflexion und Zukunftsperspektiven. Dies gelingt durch ausgetüftelte Klangtexturen, die aus mehreren übereinander gelegten Tonspuren bestehen. Auf diesen wird das Klavier von Streichern, Percussion und elektronischen Effekten begleitet. Besonderen Wert legte das Trio darauf, echte Geräusche des Bootes, wie das Knarren des Mastes, das Ziehen an den Seilen oder das Flattern in der Takelage zu imitieren. Die Komponisten erklären das so: „Wenn etwas ein Seil kontinuierlich an den Bootrumpf schlägt, haben wir eine Klaviersaite gedämpft und im gleichen Takt geschlagen. Hören wir die Wellen rollen, spielen wir ein Klavier-Arpeggio im gleichen Rhythmus.“ Dadurch, dass das Klavier in der Regel auf fünf Spuren parallel in unterschiedlichen Tempi zu hören ist, spiegelt die Musik die sich überlagernden Wellenbewegungen des Wassers. Doch so sehr die Meeresstimmungen in die Komposition einfließen, so sehr eröffnen die meditativen Ambient-Klänge gleichzeitig Räume zum Nachdenken. Dies gilt insbesondere für die junge Salina, die mit sich den Konflikt austrägt, ob sie bei der Familie bleiben oder einen anderen Weg einschlagen soll. Gleichzeitig ist aber auch der Zuschauer gefordert, über ein Leben innerhalb oder jenseits der Norm nachzudenken und wie weit es legitim ist, die eigenen Kinder Risiken auszusetzen, die sie nie für sich selbst gewählt haben.
Die mal luftig-sphärischen, mal melancholisch-nachdenklichen Rhythmen der Filmmusik legen keinerlei Wertung nah und halten sich subtil im Hintergrund. Dies gibt den Bildern viel Raum zum Atmen. Wie in vielen Dokumentationen folgt die Musik dabei keiner klassischen Spannungsdramaturgie, sondern bleibt weitgehend atmosphärisch. Sie verfällt dabei aber zu keinem Zeitpunkt in eine esoterische Newage-Beliebigkeit oder rein funktionales Underscoring, wie man es von manch anderer Dokumentation kennt. Dafür ist sie in ihren raffiniert verwobenen Klangschichten viel zu clever konzipiert. So fängt die Baldenweg-Geschwister geschickt die Faszination angesichts des großen Abenteuers der Familie Schwörer ein, ohne das beengte Leben an Bord des Segelschiffs zu verklären. Den optimistischen, Aufbruch-Stimmung verbreitenden Stücken wie Home is the Ocean oder Departure mit ihren sanften Pop-Rhythmik stehen sehr viele impressionistische Stimmungsmalereien gegenüber, die nicht nur den wechselnden Wetterbedingungen auf See, sondern auch den Zukunftssorgen der Familienmitglieder Rechnung tragen. Überraschenderweise funktioniert die Musik auch ohne Bilder bestens. Insbesondere die bittersüße Melancholie der Klavier-betonten Stücke wie Afternoon Movement oder Floating Stillness lädt beim losgelösten Hören zum ausgiebigen Tagträumen ein.