Filmmusik 2000 feiert 25. Geburtstag

Kaum zu glauben, aber wahr! Es gibt www.filmmusik2000.de nun bereits seit einem Vierteljahrhundert. Zeit für einen persönlichen Rückblick auf 25 Jahre Filmmusik-Kritiken, Filmmusik-Geschichte und was es bedeutet, ein Online-Magazin in sich wandelnder Zeit zu betreiben.

Die Anfänge

„Bin ich schon drin oder, was?“ warb der deutsche Tennisstar Boris Becker anno 1999 für AOL. Zu diesem Zeitpunkt war der Siegeszug des Internets längst nicht mehr aufzuhalten, auch wenn es Angela Merkel Jahre später, 2013, noch als Neuland bezeichnete. In diesen ersten Jahren, in denen immer mehr Menschen sich zu Hause per Modem ins Web einwählten, erstellten viele Technikbegeisterte ihre ersten eigenen Homepages, oft mit wilden Farbkombinationen, blinkender Schrift und nur wenig Inhalt. Eine Internetseite zu erstellen, erschien auch mir ein reizvoller Gedanke. Schnell war die Idee geboren, das Lernen von HTML mit meinem anderen großen Hobby, der Filmmusik, zu verbinden. Inhalt der Seite sollten CD-Kritiken zu aktuellen Filmmusiken sein. Das Problem nur: ich verfügte zum damaligen Zeitpunkt weder über journalistische Vorerfahrung noch einen ausreichenden Erfahrungsschatz hinsichtlich Film- und Filmmusikgeschichte. Nach kurzem Zögern entschied ich mich aber dennoch, einfach mal loszulegen. Der Rest würde sich per „Learning by doing“ schon von allein ergeben. Und so kam es dann schließlich auch.

Im Mai 2000 ging http://filmmusik2000.purespace.de/ online, damals noch mit Werbebannern, die man in Kauf nehmen musste, wenn man eine kostenlose Homepage betreiben wollte. Der einfache Name „Filmmusik 2000“ bezieht sich übrigens tatsächlich auf das Gründungsjahr. Ich interessierte mich damals hauptsächlich für aktuelle Filmmusik, und das sollte sich in dieser Zahl ausdrücken. Am Anfang entstanden vor allem Kurzkritiken, versammelt in einzelnen Komponisten gewidmeten Unterseiten. Eine der ersten CD-Kritiken, die ich geschrieben habe, war die zu Patrick Doyles Hamlet (siehe Bild), die wie einige anderen frühen Kritiken heute nicht mehr online sind, weil sie nicht mehr so richtig ins Format passen.

CD-Kritiken erhielten damals eine Sterne-Bewertung. Herausragende Filmmusiken wurden mit ***** belohnt und diejenigen zum Weghören mit einem *. Diese Bewertung nach Schulnoten gibt es seit 2016 nicht mehr, und das hat gute Gründe: Zum einen ist es gar nicht so leicht, stilistisch sehr unterschiedliche Kompositionen sinnvoll in einem Schulnoten-artigen Raster miteinander zu vergleichen. Zum anderen gab es immer wieder Diskussionen um die „richtige“ Anzahl Sterne für einzelne CDs, die sich weniger um die Musik selbst oder den Inhalt der Kritik drehten, was ich immer als schade empfand.

Auf der Homepage im Jahr 2000 gab es noch einige andere Rubriken: einen CD-Veröffentlichungskalender, TOP50-Listen, eine News-Rubrik, nach Wertung sortierte Jahreslisten und einen alphabetisch sortierten Index aller Kritiken. Filmmusik 2000 sollte schließlich richtigen „Magazin-Charakter“ bekommen. Das Problem nur bereits damals: Der technische Aufwand dafür hinter den Kulissen war immens. Für jede neue CD-Kritik musste eine Vielzahl von HTML-Seiten per Hand editiert und umständlich auf den Server geladen werden. Ganz zu schweigen von , so etwas wie einen CD-Veröffentlichungskalender aktuell zu halten. Irgendwelche Automatismen, eine Datenbank im Hintergrund oder andere Hilfsmittel standen mir damals nicht zur Verfügung. Das sollte viele Jahre später mit vielen Hundert Artikeln im Archiv zu einem echten Problem hinsichtlich der Praktikabilität beim Beitreiben der Seite werden. Doch dazu weiter unten mehr.

Filmmusik als Hobby vor dem Internet-Boom

Wer sich vor dem Zeitalter des Internets für Filmmusik interessierte, hatte es gar nicht so leicht, Gleichgesinnte zu finden oder an Informationen zu gelangen. Manche Filmmusik erschien nur im Ausland. Und bei manchen Filmen war es gar nicht so leicht herauszufinden, ob überhaupt eine LP oder CD mit der Filmmusik erschienen ist. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich 1997 in einem Musikgeschäft nach dem Hamlet-Soundtrack fragte und der Angestellte mich beim Suchen im Warensystem fragte: „Wie buchstabiert man Hamlet?“ Er fand die CD schließlich in seinem Computer. Sie kostete mich damals stolze 40 D-Mark (umgerechnet circa 20 €) – für einen Studenten viel Geld. Und das war auch etwa der Preis, den man damals bei WOM (ein Musikladen mit üppiger Auswahl) für exotische CDs bezahlte. Und doch war es auch eine schöne Zeit des Jagens und Sammelns. Groß etwa die Freude, eine vermeintlich seltene CD endlich ergattert zu haben. Das Aufkommen von Internet-Shops Ende der 90er Jahre sollte diesem bisweilen mühseligen Suchen und Finden ein Ende setzen und das Sammeln deutlich erleichtern. Dadurch war der klassische Musik-Einzelhandel bedroht. Allerdings nicht nur durch Internetshops: Auch digitale Downloads sollten für massive Umwälzungen am Markt sorgen, die man im Jahr 2000 bestenfalls nur erahnen konnte. Gleichzeitig bedeutete es aber auch den Anfang vom Ende des großen Geschäfts mit den Compact Discs. In den Dekaden danach sollten fast alle CD-Läden nach und nach verschwinden. Die einst ordentlich bestückten Filmmusik-Regale in den Kaufhausketten schmolzen immer weiter dahin.

Die Anfangszeit

Diese Entwicklung mag sich bereits 2000 am fernen Horizont abgezeichnet haben, war aber noch lange keine Realität. Einer der Kerngedanken der ersten Stunde war deshalb, eine Kaufberatung für Soundtrack-CDs anzubieten. Durch gute Kontakte mit den Plattenfirmen erhielt ich Rezensionsexemplare von vielen der großen Player am Markt: z.B. Varèse Sarabande, Warner, Marco Polo/Naxos, Disney, Universal und CAM Records. Auf diese Weise war es möglich, Filmmusiken vor oder pünktlich zum Veröffentlichungsdatum vorzustellen. Zum anderen bekam ich einen guten Überblick über die Bandbreite an Neuerscheinungen am Markt, sodass ich zunehmend auch klassische Filmmusik bis zurück in die Stummfilmzeit kennenlernte. Eine weitere Nebenwirkung: die Vernetzung mit anderen deutschsprachigen Filmmusik-Seiten wie Cinemusic, deren Autoren mir gerade am Anfang viele wertvolle Tipps gaben und Kontakte vermittelten. Schließlich schloss ich mich dem Cinemusic-Forum an, in dem wir über viele Jahre leidenschaftliche Debatten zu unserem Lieblingsthema führten, heftig um Werke wie Hans Zimmers Gladiator stritten – bis heute übrigens eine der am häufigsten gelesenen Kritiken. Kleines Kuriosum: In den ersten Jahren stand im Impressum neben der Post-Anschrift meine damalige Telefonnummer. Dies führte mitunter zu ungewöhnlichen Situationen, weil mich tatsächlich einige Leser anriefen, um sich zu erkundigen, ob sie eine CD bei mir kaufen könnten oder um zu fragen, ob eine Filmmusik zu einem Film erschienen war. Da sich solche Anrufe tatsächlich häuften, löschte ich die Telefonnummer dann schnell wieder. Aber sie zeigen, wie sehr das Internet damals für viele Menschen noch Neuland war.

Filmmusik2000 hat sich in allen Jahren nie durch Werbung finanziert. Insofern war mir auch das lästige Werbebanner ein Dorn im Auge. Deshalb zog Filmmusik2000 im Jahr 2002 auf die heutige Domain um. Gleichzeitig veränderte sich auch mehrfach das Aussehen der Seite, ich stellte auf Einzelartikel um und änderte auch das Bewertungssystem. Über die Jahre wuchs das Archiv auf mehrere Hundert Artikel. Die Seite ermöglichte mir großartige Kontakte: Ich nahm an Fachtagungen zum Thema Filmmusik teil, besuchte erstmals Filmmusik-Konzerte (die damals noch viel, viel seltener stattfanden als heute) und traf mich mit anderen Filmmusik-Journalisten zum Austausch und Fachsimpeln. Es war eine wunderbare Zeit, wie sie ohne Internet nicht möglich gewesen wäre. Natürlich gab es auch damals schon Internet-Trolle. Doch Hassrede, Shitstorms und ideologisch aufgeladene Diskussionen spielten noch keine so große Rolle, wie sie es heute leider tun.

Von der Freude zur Last – Die Jahre von 2009 bis 2016

So schön es in der Theorie klingt, Rezensionsexemplare kostenlos zugeschickt zu bekommen und so sehr ich mich in der Anfangszeit über jede erhaltene CD freute, war damit stets auch die Verpflichtung verbunden, mir die Musik mehrere Male anzuhören, um eine faire Kritik zu schreiben. Wenn dann, wie in Spitzenzeiten, in einer Woche 10 CDs im Briefkasten lagen, wird das für ein eigentlich als Hobby betriebenes Projekt zu einer kaum noch zu bewältigenden Arbeit. Der „Pile of Shame“ – der Haufen in diesem Sinne nicht abgearbeiteter CDs, wuchs auf meinem Schreibtisch phasenweise erschreckend in die Höhe. Doch was mich noch mehr störte: Welche Filmmusiken ich in meiner Freizeit hörte, wurde nicht mehr von meinen persönlichen Hörvorlieben bestimmt, sondern davon, welche CDs ich zugesandt bekam. Und darunter waren natürlich immer wieder auch Filmmusiken, die mich weniger interessierten. Der Aufwand, die Seite zu betreiben und zu aktualisieren, empfand ich phasenweise immer mehr als Last – eine Arbeit, die ich aus privaten und beruflichen Gründen nicht länger in dieser Form aufrechterhalten konnte und wollte.

Doch es gab auch noch einen anderen Grund, warum das Konzept von Filmmusik2000 in der ursprünglichen Form in meinen Augen nicht mehr funktionierte: Der Filmmusik-Markt hatte sich seit den Anfangstagen grundlegend gewandelt. Durch den Siegeszug von MP3-Downloads, illegaler Tauschbörsen und später Streaming-Plattformen war die Idee einer Kaufberatung für CDs hinfällig geworden. Wer sich für eine konkrete Filmmusik interessierte, konnte inzwischen ohne Probleme selbst online Probehören und entscheiden, ob sich eine Anschaffung lohnte oder nicht. Welchen Zweck hatten da noch CD-Kritiken? Dazu kam, dass die Anzahl digitaler Filmmusik-Veröffentlichungen immer weiter anstieg, sodass es immer schwerer wurde, den Überblick zu behalten und sinnvolle Empfehlungen aus der großen Masse herauszuarbeiten. Kurzum: Der Sinn von Filmmusik2000 war grundsätzlich infrage gestellt. Gleichzeitig musste die technisch völlig veraltete Seite dringend modernisiert werden, um die Wartung und das Hinzufügen neuer Inhalte zu erleichtern – ein immenser Aufwand, vor dem ich lange Zeit zurückschreckte.

In diesem Kontext ist es nicht überraschend und sogar verständlich, dass viele der Filmmusik-Seiten, die in den 00er-Jahren noch existierten (z.B. Filmmusik Welt oder Original Score), irgendwann verschwanden. Da sich mit Filmmusik-Journalismus im Normalfall kein Geld verdienen lässt, ist die Arbeit in fast allen Fällen „ehrenamtlich“. Und über viele Jahre kommt dann einfach das Leben dazwischen, Kinder, Familie und Job oder einfach sich verschiebende Interessen. Einen Blog, Podcast, YouTube-Kanal oder ein Online-Magazin über viele Jahre aufrechtzuerhalten, ist deshalb alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Mit Filmmusik2000 ging es mir ähnlich. Aber anstatt den Stecker zu ziehen, ließ ich die Homepage aber lediglich ruhen. Und das war auch kein Problem, weil die Seite keinerlei kommerziellen Verpflichtungen oblag. Insofern gab es für mich keinen äußeren Zwang, ständig neuen Content produzieren zu müssen. Zwangsläufig sanken die Zugriffszahlen, aber zumindest ging www.filmmusik2000.de zu keinem Zeitpunkt offline.

Der Restart 2016

So ganz tot war Filmmusik2000 trotzdem in all den Jahren nie. Einmal jährlich berichtete ich im November von Filmkonzerten und Filmen beim Braunschweig International Filmfestival. Ich wurde Mitglied der IFMCA, dem Verbund internationaler Filmmusik-Kritiker, der einmal im Jahr über die besten Filmmusiken des Jahres abstimmt. Gelegentlich schrieb ich auch Konzertberichte zu filmmusikbezogenen Veranstaltungen in und rundum von Kiel (z.B. im Rahmen des Schleswig-Holstein Musikfestivals). Das bereitete mir noch immer viel Spaß und so begann ich im Sommer 2016 mit konkreten Planungen, www.filmmusik2000.de auf WordPress umzustellen. Im Oktober 2016 war es dann so weit: Filmmusik2000 ging mit neuem Gesicht online. Eine Migration nahezu aller Artikel folgte in den Monaten danach. Einige Rubriken von früher gingen zwar leider verloren. Mir war es aber wichtiger, bei der Umstellung einen Weg zu finden, den redaktionellen Arbeitsaufwand auf ein erträgliches, handhabbares Maß zu reduzieren, als alles unverändert zu übernehmen und Inhalte zu pflegen, für die es im Netz bessere Quellen gibt.

Doch es stellte sich noch eine andere, inhaltliche Frage: Welche Ausrichtung sollten die Filmmusik-Kritiken bekommen? Die reine CD-Kritik sollte nicht wegfallen, aber ich suchte nach neuen Formaten. Etwa in der Zeit, in der Filmmusik2000 nahezu zum Stillstand kam, begann ich Artikel für die Cinema Musica, das einzige weltweite Printmagazin für Filmmusik, zu schreiben. Eine Rubrik, die es in dem Heft damals gab, war das sogenannte Einzelstück. Es ging darum, eine einzelne Filmszene genauer auf die Musik-Wirkung zu untersuchen. Das bereitete mir so viel Spaß, dass bei mir schnell die Idee entstand, Filmmusik stärker im Filmkontext zu untersuchen. „Warum ist die Musik, wie sie ist?“ war eine der Leitfragen. Und diese wollte ich fortan stärker in meinen Artikeln in den Vordergrund rücken und zugleich mit einer Filmkritik aus musikalischer Sicht verbinden. Dies ist ein Format, das man mit diesem speziellen Fokus in anderen Publikationen nur sehr selten findet und Filmmusik2000 hoffentlich von anderen Filmmusik-Seiten im Netz unterscheidet. Seit etwa zwei Jahren erscheint im Schnitt einmal pro Woche ein neuer Artikel. Die stetig wachsenden Zugriffszahlen belegen, dass diese Neuausrichtung von Filmmusik2000 bei vielen Lesern auf viel Interesse stößt. Und das ist großer Ansporn für mich, weiterzumachen.

Ich freue mich auf die nächsten 25 Jahre!

Danksagung

Ich möchte mich an dieser Stelle bei allen Lesern, aber auch allen Weggefährten bedanken. In unsortierter Reihenfolge: meiner Familie, dem Team vom Braunschweig International Filmfestival für all die wunderschönen Projektionen und Konzerte, den großartigen Braunschweiger „Freaks“, Jan Boltze für Konzertberichte von den World Soundtrack Awards, Michael Boldhaus und Marko Ikonic von Cinemusic für Rat & Tipps in den Anfangstagen, den aktuellen und ehemaligen Herausgebern der Cinema Musica (lasst Euch mal wieder in Braunschweig blicken 😉 ), meine Arbeitskollegen für viele gemeinsam besuchte Filmmusik-Konzerte, Jon Broxton für sein großartiges Engagement bei der IFMCA, alle Presse-Abteilungen, die mich immer wieder so toll bei der Arbeit unterstützen. Und natürlich alle, die ich vergessen habe: Ohne Euch alle wäre diese Seite heute nicht die, die sie ist. Dafür großen Dank!

2 Kommentare

  1. Vielen Dank, dass Sie das machen! Man muss nicht mit allem übereinstimmen (wie kann man die opulente Klangwelt von „Das Parfum“ nicht großartig finden?!), aber ich fühle mich dahingehend gut aufgehoben, als dass hier eben nicht wie in vielen anderen (Laien-)Kritiken zu allen möglichen Dingen nach dem eigenen Geschmack kritisiert wird, sondern fachlich versiert. Darüber hinaus habe ich hier schon die eine oder andere Filmmusik entdeckt, die sich jenseits des bloßen Hörens für mein Hobby eignet: Als atmosphärische Untermalung von Rollenspiel-Abenden sind manche Scores, auch wenn sie hier abseits des dazugehörigen Films als wenig hörenswert eingestuft werden (etwa Robin Carolans „Nosferatu“), durchaus brauchbar.
    Ich hoffe, hier geht es genauso gut weiter!

    1. Vielen Dank für das tolle Feedback. Filmmusiken als atmosphärische Untermalung bei Spieleabend können wirklich prima funktionieren. Ich habe dies mit Freunden beim Spielen von „Dune Imperium“, mit Hans Zimmers Musiken zu den Kinofilmen, auch schon gemacht.

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