
Ein Löwe, Affen, Schlingpflanzen im heimischen Wohnzimmer und dazu eine durch die Flure flüchtende Tierherde? Das Kino-Abenteuer Jumanji machte es 1995 möglich und war damit auch einer der frühen Filme, nach Terminator 2 und Jurassic Park, die sich den ausgiebigen Einsatz von computergenerierten Bildern zunutze machten. Dass das Fantasy-Abenteuer aber nicht im gleichen Maße in die Kinogeschichte eingegangen ist, liegt vor allem daran, dass sich der Film von Joe Johnston (Rocketeer) eher an ein Teenager-Publikum richtete und in der Kritik als triviales Unterhaltungskino schlecht wegkam. Tatsächlich tut die Verfilmung des gleichnamigen Kinderbilderbuchs von Chris Van Allsburg über 100 Minuten wenig mehr, als allerhand Kreaturen erst durch ein Haus und dann durch eine Kleinstadt zu jagen: Die beiden Geschwister Judy (die junge Kirsten Dunst) und Peter entdecken auf dem Dachboden ein mysteriöses Brettspiel. Wer einen Würfelzug macht, erweckt dabei ein neues Dschungeltier aus dem Reich „Jumanji“ zum Leben. Und ist das mysteriöse Spiel einmal begonnen, muss es auch zu Ende gebracht werden, damit der Spuk wieder aufhört. Was sie nicht wissen: 26 Jahre zuvor hat bereits ein Junge namens Andy mit seiner Freundin gewürfelt und wurde bei einem Spielzug nach Jumanji verbannt. Der damals verschwundene und für tot erklärte Junge ist inzwischen erwachsen (Robin Williams), wird von Judy & Peter zurückgeholt und hilft den Beiden in ihrem Kampf gegen Kreaturen und Plagen.
Natürlich ist das 30 Jahre und unzählige Kreaturen-Filme mit CGI-Overkill später nichts Bahnbrechendes mehr, war aber seinerzeit in der bruchlosen Verschmelzung von künstlichen und realen Szenen in diesem Ausmaß durchaus spektakulär. Doch bereits damals bestand das Problem, dass die wilde Effektschlacht alles andere in den Hintergrund rückte und von der eigentlichen Botschaft ablenkte. Denn in der Vorlage geht es in erster Linie darum, sich den eigenen Ängsten zu stellen und sich in der Not gegenseitig zu helfen. Das klingt zwar durchaus auch in der Verfilmung an, ist aber im rasanten Abenteuer genauso schnell wieder vergessen, sobald die Helden der nächsten fiesen Heimsuchung gegenüberstehen. Dass Jumanji trotz des banalen Plots auch heute noch gut unterhält, liegt vor allem an der vergnüglichen Lust zur Eskalation, bei der Tierherden und Naturkatastrophen für immer neue Verwüstungen sorgen. Dazu gibt es drollige Running Gags wie die Polizeiauto fahrende Affengang, die für den ein oder anderen Lacher gut ist.

Die Filmmusik von James Horner ist über die Jahre allerdings weniger im Gedächtnis geblieben. Das mag am immensen Output des Komponisten in den 90er Jahren liegen. Allein 1995 war für ihn ein äußerst produktives und erfolgreiches Jahr, an dessen Ende sogar zwei Oscar-Nominierungen für Apollo 13 und Braveheart standen. Dazu komponierte er zu den Kinderfilmen Balto und Casper zwei sehr charmante Musiken, die bei Fans bis heute eine große Popularität genießen. Zumindest mit den beiden erstgenannten Arbeiten kann Jumanji allerdings nicht ganz mithalten. Die auf zwei CDs erweiterte Fassung, 2022 von Intrada-Records veröffentlicht, lädt aber dennoch zu einer lohnenden Wiederentdeckung der Filmmusik ein. Denn eigentlich ist hier alles drin, was in einem typischen Horner-Score üblicherweise so drinsteckt: das große Orchester, zahllose kleine Querreferenzen ins eigene Werk, etwa das Flötenspiel von Erhu, Quena, Shakuhachi und das Horner-typische Klavierrollen. Manche Stücke gestatten sogar einen Blick in die Zukunft: Das lieblich-verspielte Klavierthema im Main Title nimmt etwa bereits The Spitfire Grill vorweg und die lyrischen Streicherharmonien am Ende von Alan Parrish lassen an Camerons Titanic denken. Ein Gefühl von wohliger Vertrautheit kann man beim Hören also kaum leugnen.
Dennoch unterscheidet sich Jumanji merklich von anderen Horner-Musiken der Zeit, und das nicht nur, weil das Gefahrenmotiv dieses Mal ausnahmsweise keine Rolle spielt: Denn so wie der Film abwechselnd Tierhorden erst durch das Haus und dann die Stadt jagt, nutzt Horner die Gelegenheit, um reizvoll orchestrierte Kabinettstückchen aneinanderzureihen. Wenn die Helden etwa von Riesenmoskitos attackiert werden, imitiert das Orchester in den Hörnern das Brummen der Insekten. Und das von den Affen verursachte Chaos wird in Monkey Mayhem von einem furiosen, karnevalesken Jazzstück begleitet. Doch so wie die Heimsuchungen wechseln auch die musikalischen Stile. Das macht die Musik zwar abwechslungsreich. Gleichzeitig fehlt aber ein alles verbindendes Hauptthema mit Strahlkraft, sodass die Komposition mitunter doch wie eine lose Aneinanderreihung von Stilübungen inklusive üblicher Horner-Manierismen anmutet. Wer genauer hinhört, findet dennoch Themen und Motive, die die Musik durchziehen und rudimentär zusammenhalten: Neben dem lyrischen Familienthema (Prologue & Main Title: ab 2:05 Min.) und einem melancholischen Thema für Allan Parrish (ab 1:06 Min.) gibt es etwa ein Spannungsmotiv für das Brettspiel selbst (Prologue: ab 0:45 Min. zu hören), das in den neuen Stücken gegenüber dem Original-Soundtrack (den Intrada zum Vergleich auf die zweite CD gepackt hat) stärker zur Geltung kommt.
Auch wenn es im Werk von James Horner zweifellos charismatischere und thematisch stärkere Filmmusiken gibt, zeigt sich Jumanji in der erweiterten Intrada-Fassung doch überraschend gut gealtert. Vor allem der Klang wurde gegenüber dem Original-Soundtrack noch einmal deutlich verbessert, wirkt rundum transparenter und frischer. So erscheint die quirlige Musik in neuem Glanz und bereitet – die richtige Erwartungshaltung vorausgesetzt – viel Hörspaß. Sie erinnert zugleich aber auch daran, wie detailverliebt solche Abenteuer-Filmmusiken im Mainstream-Kino der 90er Jahre noch instrumentiert und auskomponiert wurden. Beachtlich ist diese Ambition auch angesichts der vielen anderen Großprojekte James Horners im selben Jahr. Klar gehört Jumanji eher ins obere Mittelfeld in seinem Werk. Doch man muss nur mit Henry Jackmans Musiken zu den Fortsetzungen vergleichen, um schmerzlich festzustellen, wie sehr sich die Ästhetik in der Filmmusik in den letzten dreißig Jahren gewandelt hat.
Quellen: https://jameshorner-filmmusic.com/jumanji-expanded-edition-our-exclusive-review
Bei den Streichern in „Alan Parrish“ denke ich eher an „Mighty Joe Young“ als an „Titanic“.
Danke mal wieder für diese Kritik, es lohnt sich wohl, sich mit dieser Filmmusik mal auseinanderzusetzen, auch wenn ich dem Film wenig abgewinnen konnte.