Red Eye – Marco Beltrami: „Girl fights boy“

Nichts ist schlimmer als der Angriff auf die eigene Familie, wenn Eltern oder Kinder bedroht werden. Die Angst vor dem gewaltsamen Übergriff machen sich seit Jahrzehnten zahllose Hollywood-Thriller zunutze, um Spannung zu erzeugen. In den Jahren nach den Anschlägen vom 11. September 2001 wurde dieser Plotmotor häufig mit der Gefahr durch Terroristen kombiniert, die die Freiheit und demokratischen Grundwerte bedrohen. So auch in Wes Cravens Red Eye von 2005, in dem die Hotelmanagerin Lisa (Rachel McAdams) auf dem Nachtflug von Dallas nach Miami von ihrem Sitznachbarn Jackson Rippner (Oppenheimer-Star Cillian Murphy) erpresst wird: Entweder verlegt sie das Hotelzimmer eines hochrangigen Politikers oder ihr daheim wartender Vater stirbt. So ist hier beides bedroht: der aufrechte Politiker Keeves, der sich entschieden dem Terrorismus entgegenstellt, als auch Lisa und ihre Familie. Wes Craven verdichtet beide Ebenen zu einem straffen, ökonomisch erzählten Film, der seine Handlung auf das Wesentliche reduziert und keine Zeit mit Nebensächlichkeiten verplempert. Dass Red Eye dabei so gut funktioniert, liegt an kleinen Kunstgriffen, die Altbekanntes reizvoll variieren: Wenn Lisa am Flughafen erstmals auf Jackson trifft, dann inszeniert das Craven zunächst unerwartet leichtfüßig, im Stil einer klassischen Liebesgeschichte. Doch das „boy meets girl“ endet jäh, als Lisa den eben noch sympathisch wirkenden Mann an Bord nach seinem Beruf fragt und er ihr mit erschreckender Ehrlichkeit seine Profession verrät.

Ausgehend von diesem Kipppunkt spielt Craven souverän auf der Klaviatur des Spannungskinos, ohne dem Genre allerdings etwas entscheidend Neues hinzuzufügen. Der Verlauf ist dann doch sehr vorhersehbar. Die anfangs in Schockstarre verfallene Lisa beginnt sich zu wehren und liefert sich mit dem Terroristen ein Katz-und-Maus-Spiel, dessen Ausgang von Beginn an jedem Zuschauer klar sein dürfte. Das ändert allerdings nichts am Unterhaltungswert des rasanten Thrillers. Richtig ärgerlich ist dagegen das Klischeebild des makellosen Politikers, der den Patriot Act befürwortet. Das mag der Zeit nach 9/11 und dem damit verbundenen Wunsch nach nationaler Einheit geschuldet sein, unterschlägt aber die Einschränkung von Grundrechten und den potenziellen Missbrauch der durch das Gesetz erhobenen Daten (den der Whistleblower Edward Snowden 2013 entlarvte). Red Eye legitimiert filmisch das Vorgehen der Bush-Administration, nicht nur, weil die Terrorismus-Gefahr in den Mittelpunkt gestellt wird, sondern auch, weil es mit Keeves einen ehrenwerten Vorzeige-Politiker mit Vorzeige-Familie präsentiert, der nur Gutes im Sinn hat. Diese naive Regierungstreue hinterlässt dann doch einen unangenehmen Beigeschmack und ist aus heutiger Sicht zudem ziemlich schlecht gealtert.

Doch gleichzeitig bot der Stoff für Wes Craven eine willkommene Gelegenheit, einmal keinen Horrorfilm zu drehen. Marco Beltrami erinnert sich auf seiner Webseite: „Ich wollte Red Eye unbedingt vertonen, weil ich wusste, dass es eine gute Gelegenheit für mich und Wes sein würde, zu zeigen, dass wir auch außerhalb des Horrorkinos zusammenarbeiten können, mit dem uns alle verbinden.“ Vielleicht liegt es daran, dass sich seine Filmmusik deutlich am Zeitgeschmack der 00er Jahre orientiert und mit den elektronischen Beats als Grundierung direkt an das Action-Scoring von John Powell und Harry Gregson-Williams anknüpft. Und das macht Beltrami überzeugend: Gleich die Main Title Sequence erzeugt mit elektronischen Beats, Flöten und Streicherostinato einen unwiderstehlichen Drive, der die Handlung unermüdlich vorantreiben wird. Reizvoll untermalen Streicher und Klavier über elektronischen Rhythmen die erste, noch romantisch anmutende Begegnung von Lisa und Jackson (Arriving at the Airport/A Friendly Gesture), in der letzterer noch als liebenswürdiger Gentleman auftritt. Beltramis Musik bleibt da ganz in der Szene und erweckt tatsächlich den Eindruck, dass sich gerade ein künftiges Liebespaar findet. Und wenn Lisa mit ihrem Vater telefoniert, präsentiert er (Arriving at Airport, ab 3:08) ein liebliches Familienthema, das Herz des Filmes sozusagen.

Doch nachdem sich an Bord die wahren Intentionen des Terroristen offenbaren, wechselt Beltrami sofort in den Suspense-Modus. Leider bleibt die Musik dabei aber eher stereotyp: Weil es im Film allenfalls nur am Rande um die Psychologie der Figuren geht, konzentriert sich die Tonspur vor allem auf das Zweckmäßige: Nervöse Klavieranschläge, elektronische Beats als Puls, Paukenschläge für die Schockeffekte, Cellospiel für verzweifelte Momente und dazu das Spiel von Bassposaunen und Hörner, wenn sich die Ereignisse zuspitzen. Kompetent zeichnet Beltrami die Spannungskurve der Handlung nach. Vereinzelt blitzt einmal ein Motiv vom Beginn auf. Doch über weite Strecken ist das Gebotene mehr filmdienlich, als musikalisch sonderlich interessant, weil es allein x-fach im Genre Gehörtes reproduziert. Insofern verwundert es auch nicht, dass die Filmmusik zum Kinostart unveröffentlicht blieb. Erst rund zehn Jahre später hat Intrada Records in seiner Special Collection-Reihe Red Eye auf CD ein zweites Leben geschenkt. Doch so ehrenwert das ist – notwendig gewesen wäre es eigentlich nicht. Denn im Grunde ist die Musik allein nur mit der hörenswerten 8-minütigen End Credits-Suite, die die zentralen Themen der Komposition zusammenfasst, ausreichend repräsentiert.

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