American Fiction – Laura Karpman: „Wider den Klischees“

Es gibt sie noch. Die Filmmusiken, die sich den gegenwärtigen Hollywoods-Trends verweigern und ihre eigenen Wege gehen. Ein Beispiel dafür war sicher Poor Things (2023) mit der wunderbar sperrig-schrägen Vertonung von Jerskin Fendrix. Laura Karpman brachte im selben Jahr den Jazz in der Filmmusik zurück, wenn er denn überhaupt jemals weg war. Die US-Komponistin feierte vor vielen Jahren mit der Spielberg-Alien-Serie Taken einen ersten Achtungserfolg. Danach erhielt sie für zwei Jahrzehnte kaum mehr prestigeträchtige Engagements. Diese Durststrecke endete erst 2022 mit der Disney-Serie Mrs. Marvel, mit der sie sich einem größeren Publikum wieder ins Gedächtnis rufen konnte. Die Oscar-Nominierung für die feinfühlige Gesellschaftssatire American Fiction verhalf ihr dann schließlich ein Jahr später zum wohlverdienten Durchbruch.

Das Regiedebüt von Cord Jefferson erzählt vom afroamerikanischen Hochschullehrer und Schriftsteller Thelonious ‚Monk‘ Ellison (großartig: Jeffrey Wright), dessen ambitionierte Romane wie Blei im Regal liegen. Zu seinem Unmut feiern stattdessen andere Autoren der „black community“ große Erfolge, allerdings mit Werken, die aus seiner Sicht allein Ghetto-Klischees reproduzieren. Monk ist darüber wütend und verfasst deshalb unter dem Pseudonym „Stagg R. Leigh“, einem vorgeblich geflohen Straftäter, selbst einen solchen Gangster-Roman voll verhasster Stereotype. Der ist so überzeichnet, dass es eigentlich jeder sofort merken müsste. Doch das Gegenteil ist der Fall. Sein Buch avanciert nach einer kuriosen Verhandlung mit dem Verlag zum umjubelten Bestseller. Sogar Hollywood klopft an die Tür, ein Studio will Millionen-Angebot für die Filmrechte zahlen. Doch zugleich kämpft Monk privat mit ganz anderen Sorgen: Die Mutter ist an Alzheimer erkrankt, die geliebte Schwester Lisa verstirbt plötzlich und sein Bruder Cliff outet sich als schwul. Die humorvolle Kritik am Literatur-Betrieb verwandelt sich so immer mehr zu einem einfühlsamen Familienmelodram um Identitätssuche, Zusammenhalt und Liebe.

Zwar halten die leichtfüßige Inszenierung und das tolle Darsteller-Ensemble beide Ebenen bruchlos zusammen, sodass äußerst vergnügliche Kinounterhaltung entsteht. Bei genauerem Hinsehen strotzt die Handlung allerdings nur so von Klischees: Was da alles auf Monk einprasselt, wirkt dramaturgisch schon sehr zugespitzt. Gleichzeitig lösen sich seine Probleme bisweilen auch zu schnell in Wohlgefallen auf, wenn etwa der üppige Hollywood-Deal dazu führt, dass er seine Mutter in einem luxuriösen Pflegeheim unterbringen kann. Besonders schade ist aber, dass die bissige Gesellschaftskritik immer mehr versandet, je länger sich der Film mit Monks privaten Problemen aufhält. Da macht der Film plötzlich genau jene kommerziellen Zugeständnisse, die seine Hauptfigur eigentlich verabscheut. Diese Verwässerung ist schade, denn American Fiction ist immer dann besonders spannend, wenn das Drehbuch in scharfzüngigen Dialogen die Stilblüten des selbstverliebten Kulturbetriebs seziert und spannende Fragen um aktuelle Gesellschaftsdebatten aufwirft: Hat die banale Getto-Literatur mit ihrem rauen Straßen-Slang doch ihre Berechtigung oder erfüllt sie nur die von Vorurteilen geprägten Erwartungen eines weißen Publikums? Und was macht es mit einer Kulturszene, wenn aus identitätspolitischen Gründen triviale Werke ausgezeichnet werden, die das eigentlich gar nicht verdienen? Oder steckt in den abgedroschenen Klischees doch mehr Wahrheit, als dem privilegierten Monk lieb sein kann?

Da gibt es ganz wunderbare Szenen, wenn eine Studentin während der Vorlesung von ihm verlangt, das N-Wort von der Tafel zu entfernen, obwohl das gerade ein behandelter Buchtitel ist. Brillant ist auch die Szene, in der Monk seinen Gangster-Roman schreibt und seine Hauptfiguren plötzlich im Raum erscheinen. Herrlich das Interview, in dem Monk den Getto-Slang imitiert. Und wenn seine Grundeinstellung im Gespräch mit der Bestseller-Autorin nachhaltig infrage gestellt wird, konterkariert der Film auf clevere Weise vorher gemachte Zuschreibungen. Gerne hätte man davon mehr gehört und gesehen. Doch stattdessen greift das Drehbuch auf unnötige Klischees zurück. Der selbstverliebte Hollywood-Produzent erscheint etwa arg überzeichnet. Völlig missglückt gerät das Ende, bei dem Monk mit dem Filmemacher über die Auflösung seines Drehbuchs diskutiert. Als Zuschauer sehen wir mehrere, mal mehr, mal weniger kommerzielle, Varianten, wie die Geschichte enden könnte. Damit kopiert American Fiction allerdings ziemlich unverhohlen Greta Gerwigs Kostümdrama Little Women, welches mit einer ganz ähnlichen Szene endete. In American Fiction funktioniert das allerdings nicht ansatzweise so gut.

Dass der Debütfilm aber dennoch sympathisch wirkt und anrührt, liegt neben dem überzeugenden Darsteller-Ensemble vor allem an der unprätentiösen Filmmusik Karpmans, die die ausufernden Erzählfäden charmant und mit großem Einfühlungsvermögen zusammenhält. Bereits das eingängige Saxophon-Thema in der Mitte von Family Is, Monk pendelt reizvoll zwischen Bossa Nova und Bepop. Es ist ein lakonischer Ohrwurm, der den Charakter Monks zwischen Ambition und Neurose treffend zusammenfasst. Ganz im Gegensatz dazu steht das Familienthema, dessen Intimität sich bereits in der Besetzung ausdrückt, wenn es als Duett von Klavier und Flöte, wie zu Beginn von Family Is, Monk, gespielt wird. Es ist eine fließende, auf- und abebbende Melodie, der etwas Melancholisch-Gleichmütiges anhaftet – was sehr schön zu den Verwerfungen in Monks Familie passt.

Die gegensätzlichen Pole der Filmhandlung finden so auch in der Musik Karpmans eine Entsprechung. Der Komponistin gelingt es, durch die Verwendung der Jazz-Elemente jeglichen Kitsch zu vermeiden. Da gibt es immer wieder eine rhythmische Spielerei, einen Ausflug in den Cool-Jazz oder eine improvisiert wirkende Passage, die jeden Anflug von süßlicher Melodramatik im Keim erstickt. Dazu schaffen die nachdenklichen und luftig-sphärischen Passagen eine bittersüße Emotionalität, die auch eher seichten Szenen erstaunliche Integrität verleiht: Da gibt es manches Kleinod zu entdecken, wie die elegante Version des Familienthemas im Duett von Klavier und Gitarre in Love All Of You oder auch die unverblümt Streicher-selige Begleitung des Fake-Happy-Ends in Romantic Ending, die Laura Karpman überraschend ernsthaft vertont. Ohnehin macht es großen Spaß, der Komponistin bei den vielgestaltigen Variationen über den beiden Hauptthemen (ergänzt um ein rhythmisches Kontrabass-Motiv für Stagg R. Leigh, zu hören in My Pafology) zu begleiten. Die Solisten verleihen der Musik eine besondere Note, insbesondere Elena Pinderhughes an der Flöte, Patrice Rushen am Piano (ein restauriertes Steinway-Klavier aus den 1920ern) und John Yoakum am Saxophon. Besonderes Highlight sind die fünf Bonus-Stücke am Ende der Filmmusik, faszinierende Improvisationen über die Hauptthemen, die noch einmal die Perspektive auf die nicht nur Jazz-Liebhabern unbedingt zu empfehlende Filmmusik wechseln.

Doch auch wenn der Jazz in American Fiction eine große Rolle spielt, steht die Musik von Laura Karpman mit ihrer Leitmotivik, den sensibel austarierten Klangwirkungen und ihrer generellen Bildzugewandtheit durchaus in der Tradition klassischer Kinosinfonik. Anders als viele andere, sich im Jazz gründenden Filmmusiken, folgt Karpman nämlich eng der Inszenierung, illustriert und schafft musikalische Anknüpfungspunkte, die zur Identifikation mit den Figuren und ihren Problemen einladen. Das klappt auf der Tonspur sogar viel besser als auf inhaltlicher Ebene, bei der der Wohlstand der Hauptfiguren für die meisten Zuschauer wohl kaum erreichbar sein dürfte. Laura Karpman schafft mit ihrer Filmmusik dagegen Projektionsflächen, die die den Film nicht nur besser erscheinen lassen, als er tatsächlich ist, sondern ihn letztendlich sogar weit transzendieren. Ihre Interpretation der American Fiction ist damit eine der schönsten Jazz-Filmmusiken der jüngeren Vergangenheit geworden.

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