Der zweite Auftritt von Pierce Brosnan als James Bond in Der Morgen stirbt nie – Tomorrow never dies von 1997 gilt landläufig als eher durchschnittlicher Beitrag in der Reihe. 007 bekommt es darin mit dem Medienmogul Elliot Carver (Jonathan Pryce) zu tun. Der hat es aber nicht so sehr auf die Weltherrschaft abgesehen, sondern will die Welt der Nachrichten beherrschen. In seinem globalen Medien-Netzwerk mit dem prophetischen Namen „Morgen“ produziert er die Schlagzeilen für die Zeitungen und Fernsehsender – ganz wie es sich für einen diabolischen Bösewicht gehört – einfach selbst: Genüsslich lässt er vor der chinesischen Küste einen militärischen Konflikt zwischen Großbritannien und China eskalieren. Und wenn der Menschheit einmal mehr der dritte Weltkrieg droht, dann braucht es natürlich die Doppelnull, um die Verhältnisse in altbekannter Manier wieder geradezurücken.

Roger Spotiswoode inszenierte das 18. Bond-Abenteuer genauso formelhaft wie rasant. Auffällig dabei ist das knallharte kommerzielle Kalkül: Neben dem dreisten product placement für BMW, Avis und Ericsson schielt der Film eindeutig Richtung asiatischem Markt: Als schlagkräftigen Sidekick bekommt der „Geheimdienst ihrer Majestät“ Michelle Yeoh (Everything Everywhere All at Once) als chinesische Agentin Wai Lin an die Seite gestellt. Angesichts so vieler monetärer Stakeholder verwundert es wenig, dass die Handlung zu keinem Zeitpunkt irgendwelche Wagnisse eingeht, die das Einspielergebnis in irgendeiner Weise gefährden könnten. Tomorrow never dies zeigt James Bond genau so, wie ihn der durchschnittliche Zuschauer kennt und erwartet – mit allen gewohnten Zutaten, routiniert geschüttelt und nicht gerührt. So viel kalkulierter „Fan Service“ hinterlässt zwangsläufig einen unangenehmen Beigeschmack. Dass dennoch keine Langeweile aufkommt, dafür sorgt der erfahrene Veteran Spotiswoode auf dem Regiestuhl. Trotz aller Stereotypen und kommerziellen Zugeständnisse ist ihm nämlich ein spritziges, unterhaltsames Agenten-Abenteuer gelungen. Dass das so gut funktioniert, liegt aber nicht nur an den glänzend aufgelegten Darstellern, sondern auch an der behutsamen Modernisierung auf der Tonspur.
Denn Tomorrow never dies war das erste Engagement von David Arnold in der Reihe. Arnold hatte sich Mitte der 90er mit den Blockbuster-Musiken zu Stargate und Independence Day von Roland Emmerich in Hollywood einen Namen gemacht und war verpflichtet worden, um Bond musikalisch einen zeitgemäßen Anstrich zu verleihen. Die Mission, den Agenten in die Neuzeit zu holen, darf retrospektiv gesehen als geglückt bezeichnet werden, denn Arnolds Beitrag verleiht Bond eine regelrechte Frischzellenkur. Dabei knüpft er zunächst eindeutig an die orchestrale Tradition der Reihe an. Die beiden fulminanten Action-Stücke White Knight und The Sinking of the Devonshire begleiten den Helden, wie man ihn kennt – mit Marsch, Fanfaren und Bond-Thema. Und in den romantischen Szenen verneigt er sich noch einmal respektvoll vor John Barry, der Bond zuvor musikalisch über drei Jahrzehnte geprägt hatte. Doch spätestens ab der Hamburg-Sequenz (Hamburg Break In/Hamburg Break Out/Printing Press Fight/Backseat Driver) beginnt auch für die Doppelnull auf der Tonspur ein neues Zeitalter: Das Orchester fusioniert mit elektronischen Rhythmen – ein Mitwegbereiter für zahllose Action-Musiken in den Folgejahren gleichzeitig aber auch ein seltsamer Stilbruch zu den vorangegangenen, rein orchestralen Stücken.
Natürlich war diese Anpassung an den Zeitgeschmack in den 90ern notwendig geworden, um Bond für ein jüngeres Publikum attraktiv zu machen. Zwar hatte Eric Serra bei Goldeneye (1995) bereits einen fast vollständig elektronischen Ansatz gewählt, es damit aber möglicherweise übertrieben, weil es zu wenig Anknüpfungspunkte an den klassischen Bond-Sound gab. Bei Arnold bleibt das Orchester dagegen durchgehend präsent und auch das klassische Bond-Motiv – das war ein Wunsch der Produzenten – wurde wieder häufiger eingesetzt, um eine stärkere Identifikation mit dem Franchise zu ermöglichen. Ärger gab es hingegen beim obligatorischen Titelsong, den Arnold eigentlich für k.d. Lang komponiert hatte (Surrender) und dessen Melodie er folglich auch in seiner Partitur verarbeitet. Die Produzenten hatten jedoch ihre eigenen Vorstellungen: Sie engagierten die damals äußerst erfolgreiche Sheryl Crow und so beginnt der Film stattdessen mit ihrem Tomorrow never dies. Als Kompromiss legte man Surrender, ein toller, klassisch klingender Bond-Song, über den Abspann. Der Streit um den Song spricht für hektische Produktionsbedingungen. Der Zeitdruck kurz vor Kinostart führte zudem zur kuriosen Situation, dass die Musik in wenigen Tagen chronologisch aufgenommen wurde und fast alles Material aus der zweiten Filmhälfte auf dem offiziellen, zum Filmstart veröffentlichten, Soundtrack-Album fehlt. Und weil die Entscheidung zugunsten von Sheryl Crow offenbar zu später Stunde fiel, spielt ihr Song in Arnolds Musik keine Rolle.

Die bislang fehlenden Teile der Originalmusik lassen sich in der 2022 von La-La-Land-Records veröffentlichten Komplettfassung nachhören. Und da kommt dann Surrender endlich zu seinem Recht. Reizvoll etwa, wie Arnold die Melodie zu Beginn des Bike Shop Fight in ein asiatisches Kolorit taucht und auch in dem unverblümt romantischen Ha Long Bay wieder aufgreift. Doch gleichzeitig zeigt sich in diesen Stücken auch, wie wechselhaft und szenenbezogen die Musik tatsächlich ist. Denn Surrender bleibt nicht das einzige Liebesthema: Das andere, zu hören in Paris And Bond sowie The last Goodbye, ist besagte Hommage an John Barry und wird ausschließlich in der ersten Filmhälfte verwendet. Kein Wunder: Paris Carver segnet kurz nach ihrem Stelldichein mit Bond leider das Zeitliche. Die Welt eines Superagenten ist eben schnelllebig. Und deshalb wechseln auch die musikalischen Stile in Tomorrow never Dies so häufig wie die Schauplätze und Amouren des Helden. Das ist zwar, nicht zuletzt dank der gewohnt hochwertigen Orchestrierung von Nicholas Dodd, äußerst unterhaltsam anzuhören, zerfasert aber gleichzeitig in viele Einzelmomente, denen ein übergeordneter konzeptueller Rahmen fehlt. Vieles wirkt auch kurios, etwa dass die elegante heroische Version des Surrender-Themas in White Knight (zu hören ab ca. 7:10) danach lediglich nur einmal wieder auftaucht (in Backseat Driver ab 1:38). Ohnehin erreichen die nachfolgenden Action-Stücke nie wieder die Virtuosität dieses fast neunminütigen Schaustücks aus dem Prolog.
Wenn dann die prägendsten thematischen Gedanken das klassische Bond-Thema von Monty Norman und eine Melodie sind, die die Produzenten für den Titelsong nicht wollten, dann fehlt in letzter Konsequenz doch ein überzeugender Rahmen, um die vielen Einzelelemente zusammenzuhalten. Diese Probleme in der Produktion werden in der Komplettfassung durchaus spürbar. Natürlich fehlte dem „halben“ zum Kinostart veröffentlichten Soundtrack eindeutig zu viel Material. Dennoch könnte man argumentieren, dass diese ursprüngliche Fassung in ihrer Kompaktheit vielleicht sogar besser funktioniert als die vollständige Version. Am Ende bleibt es natürlich eine Frage des individuellen Geschmacks, wie viel Musik man von diesem Bond wirklich braucht. Definitiv aber bereitet Arnolds Tomorrow never dies in beiden Versionen einigen Hörspaß. Auch wenn nicht alles glückt, zitiert sich die Musik rasant durch die Bond-Geschichte und macht 007 zugleich fit fürs neue Jahrtausend. Viele Fans betrachten Tomorrow never dies mit seiner frischen Neuausrichtung und Ideenvielfalt sogar als beste der fünf Bond-Musiken unter der Ägide David Arnolds. Diese Einschätzung muss man nicht unbedingt teilen. Sie zeugt aber von der ungebrochenen Strahlkraft, die seine Komposition selbst heute noch besitzt.
Das Surrender-Thema taucht immerhin noch einmal in „Backseat Driver“ auf (ab 1:38), dem Stück auf dem Album, das ich mit dem größten Genuss höre, weil es sehr gut den Geist widerspiegelt, den der Film für mich vorrangig atmet: den eines coolen Jungenfilms, der sich anders als sein direkter Nachfolger nicht so anstrengend ernst nimmt, aber auch nicht so übertrieben und teilweise pubertierend daherkommt wie Die another day.
Ja, ich finde, „Tomorrow never dies“ ist erstaunlich gut gealtert. Im Kino mochte ich den damals nicht besonders, lag vielleicht auch an zu hohen Erwartungen nach dem tollen „Goldeneye“, der mich begeistert hatte. Bei der Neusichtung für diese Kritik hatte ich dann unerwartet viel Spaß mit dem Film. Danke für den Hinweis mit dem „Backseat Driver“. Ich habe den Artikel angepasst.