„Gestern Nacht träumte ich, ich wäre wieder in Manderley.“ So beginnt Rebecca, Alfred Hitchcocks erster amerikanischer Kinofilm nach einem Roman der Schriftstellerin Daphne du Maurier. Manderley ist das stattliche Anwesen, auf das der reiche Maxime de Winter (Laurence Olivier) seine frisch geheiratete Braut gebracht hat. Doch über dem Haus liegt der alles erdrückende Schatten von Rebecca, der ersten Frau de Winters, die bei einem Segelunfall tödlich verunglückte. Die neue Herrin hat es schwer. Ständig schwebt der Vergleich mit der geheimnisumrankten Vorgängerin über ihr. Dazu wird sie von der sinistren Hausvorsteherin Mrs Danvers, die Rebecca geradezu abgöttisch geliebt hat, tyrannisiert.
Obwohl Rebecca (1940) als einziger seiner Regiearbeiten mit dem Oscar für den besten Film ausgezeichnet wurde, ist der Bekanntheitsgrad des Mystery-Dramas mit gotischen Einflüssen eher gering. Neben so illustren Klassikern wie Psycho, Fenster zum Hof, Die Vögel oder Der unsichtbare Dritte wird Rebecca gerne vergessen. Zu Unrecht: Rebecca ist nicht nur ungemein spannend erzählt und hervorragend gespielt, sondern besitzt dank der exzellenten Kameraarbeit und der romantischen Musik von Franz Waxman eine großartige Atmosphäre. Kein bisschen angestaubt, kann Hitchchocks eindrucksvoller Film auch heute noch begeistern (Zu empfehlen ist übrigens die zugehörige DVD, die jüngst von Eurovideo auf den Markt gebracht wurde, und den Film in guter Bildqualität präsentiert.)
Für Franz Waxman zählte Rebecca immer zu den Favoriten unter den eigenen Filmkompositionen. Zwischen 1936 und 1943 stand er bei MGM unter Vertrag und wurde für einzelne Projekte, wie The Young at Heart (1938) oder Rebecca an Selznick International „verliehen“, wie es damals für einzelne Projekte durchaus üblich war. Wie das Booklet der Varèse-Neueinspielung von Joel McNeely (siehe unten) aufzeigt, war die Entstehung der Musik von kuriosen bis konfusen Umständen geprägt. Waxman arbeitete nämlich parallel an mehreren Projekten beider Studios, was zu Streitereien um Budgets und Prioritäten des Komponisten führte. Darüber hinaus mochte Selznick einfach nicht einsehen, warum Waxman unbedingt den fertigen Film als Vorlage für die Komplettierung seiner Vertonung benötigte.
Allen Wirren zum Trotz war Waxmans Musik ein voller Erfolg und eine der ersten überhaupt, die als Konzertsuite für eine Radioaufführung aufbereitet wurde. Dazu gab es eine Oscar-Nominierung für die beste Originalmusik des Jahres (mit der Trophäe ausgezeichnet wurde Disneys Pinocchio (1940)). Waxmans Rebecca ist eine romantisch-impressionistisch geprägte Filmmusik. Zentral ist das „Rebecca“-Thema, das durch die Verwendung eines Novachords die erdrückende, geradezu mystische Präsenz der Verstorbenen unterstreicht. Das Novachord ist ein elektronisches Instrument ähnlich einem Keyboard, welches im Klang an eine Hammondorgel erinnert und im Golden Age häufig eingesetzt wurde. Dazu gibt es ein elegantes Liebesthema, schöne Walzer als Source-Stücke und gelegentlich auch fröhliche, von Querflöten geprägte Momente, die das junge Glück der Liebenden illustrieren.
Die melodienreiche, in klangschöner Romantik schwelgende Komposition gehört neben The Bride of Frankenstein zu den frühen Meilensteinen in der Karriere Franz Waxmans. Wer sich erst einmal in diese tolle Musik eingehört hat, wird sich nur schwerlich der Faszination der melodramatischen Vertonung entziehen können. Film & Musik haben die Zeit exzellent überdauert und verdienen auch heute noch eine dicke Empfehlung.
Die Adriano-Einspielung von 1991
Rebecca ist eine der ersten Filmmusik-Neueinspielungen, die der Dirigent Adriano für das Label Marco Polo vorgenommen hat. Doch für die Musik des klassischen Hollywood-Melodrams erweist sich der Schweizer als unglückliche Wahl. Seiner Einspielung mit den tschechoslowakischen Radiosinfonikern misslingt es, das Klangbild des typischen Hollywood-Sounds nachzuempfinden. Adrianos Dirigat wirkt leicht spröde und lässt es an Intensität wie Dynamik vermissen. Auch wenn die Aufnahme nicht grundsätzlich schlecht oder unanhörbar geraten ist, bleibt sie weit hinter dem später geschaffenen Standard des ebenfalls für Marco Polo tätigen Teams Morgan/Stromberg (King Kong, Devotion) zurück. Hoch anrechnen muss man Adriano allerdings, mit über 72 Minuten Laufzeit einen großen Teil der Waxman-Partitur eingespielt zu haben – ein klarer Vorteil gegenüber der elf Jahre später aufgenommenen Varèse-CD. Das zwölfseitige Booklet kann mit den späteren Marco Polo-Editionen zwar nicht ganz mithalten, bietet aber durchweg solide Hintergrundinformationen.
Die Joel McNeely-Einspielung von 2002
Zunächst die gute Nachricht: Joel McNeely hat die tolle Waxman-Komposition prima im Griff. Die neue Einspielung klingt nicht nur prächtig, sondern erweist sich auch der Hollywood-Sinfonik Franz Waxmans gewachsen. Natürlich zeigt sich hier auch die stetig wachsende Erfahrung McNeelys in Sachen Golden Age-Einspielungen. Leider gibt es jedoch auch Negatives zu berichten: Im Vergleich zur Adriano-Einspielung verzichtet die Varèse-CD auf rund achtzehn Minuten Musik – Das beginnt mit der Selznick-Fanfare von Alfred Newman, geht über den schönen Walzer aus der „Manderley Ball“-Szene bis hin zu vielen weiteren reizvollen Stücken. Warum diese Einschnitte gemacht wurden, bleibt rätselhaft. Platz genug wäre auf der CD noch gewesen und die Partitur der insgesamt rund zweistündigen Arbeit lag durchaus vor. Dies ist besonders schade, da damit nicht nur die Chance auf eine definitive Edition verschenkt wurde, sondern auch weil mehrfache Einspielungen ein und derselben Filmmusik vergleichsweise selten sind und deshalb eine weitere Neuauflage in absehbarer Zukunft nicht zu erwarten ist. Das Booklet der Varèse-CD ist nicht nur schön gestaltet, sondern gestattet auch interessante Einblicke in die Entstehungsumstände der Musik. Verschiedene Memos, u.a. vom Produzenten Selznick selber, verdeutlichen, wie damals Filmmusik angesehen und mit ihr umgegangen wurde.
Fazit
Beide Rebecca-Aufnahmen können insgesamt nur eingeschränkt überzeugen. Die McNeely-Version bietet die bessere Einspielung und das schönere Klangbild. Adriano hat dagegen rund achtzehn Minuten mehr Musik zu bieten als die Varèse-CD. Gerade aufgrund ihrer Hörqualitäten dürfte diese dennoch für viele Hörer die sinnvollere Wahl beim Kauf darstellen.