In den Sumpfgebieten Louisanas, dem Bayou, wabert der Nebel. Die Vergangenheit ist in In the electric Mist – Mord in Louisiana untrennbar mit der Gegenwart verwoben. Das muss auch der alternde Dave Robicheaux (Tommy Lee Jones), Detective in der Mordkommission, erfahren, als eine junge Prostituierte tot aus dem Wasser gezogen wird. Wenige Tage später gibt der Fluss noch eine zweite Leiche preis, einen Mann, der Mitte der 60er unter den Augen eines kleinen Jungen ermordet wurde. Dieser kleine Bursche war Dave Robicheaux (Tommy Lee Jones) selbst. Damals hatte man ihm nicht geglaubt, weil das Opfer ein Schwarzer war und die Leiche als unauffindbar galt. Nun tritt der Polizist viele Jahre später für Gerechtigkeit ein. Die Geister von früher sind ihm ständig vor Augen. Einst diente er selbst in Vietnam. Nun hat er sich mit Frau und Pflegekind eine neue Existenz aufgebaut. In Visionen, die zwischen Traum und Wirklichkeit mäandern, begegnet er einem General aus dem Bürgerkrieg, der ihm von längst vergangenen Gräueltaten berichtet. Robicheaux kämpft bei der Aufklärung der Morde gegen eine undurchdringliche Mauer des Schweigens an. Während die einfachen Menschen noch mit den Nachwehen des Hurrikans Katrina kämpfen, hat unlängst eine Filmproduktion, inklusive eines überkandideltem Hollywood-Star und Freundin, Einzug erhalten. Das Geld stammt vom lokalen Mafiaboss „Baby Feet“ (John Goodman), bei dem alle Fäden des Falles zusammenzulaufen scheinen.
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In the Electric Mist erhielt zu seinem Kinostart 2009 eher verhaltene Kritiken. Das war womöglich ein Missverständnis, denn Bertrand Tavernier erzählt in diesem atmosphärischen Alterswerk (basierend auf dem Roman Im Schatten der Mangroven von James Lee Burke) keinen klassischen Krimiplot. Die Frage nach dem Täter spielt bei ihm nur eine untergeordnete Rolle. Kein Wunder, denn das allgegenwärtige Verbrechen ließe sich ohnehin nicht durch eine einzige Festnahme stoppen. Der Morast des Sumpfes ist deshalb eine offensichtliche Metapher für den moralischen Zerfall innerhalb der Gesellschaft – ein Gemisch aus rassistischen Strukturen, organisiertem Verbrechen, Drogen und Armut. Selbst Robicheaux interpretiert Gesetz und Ordnung mitunter auf ruppige Weise, schlägt mit der Faust schneller zu, als es die Beweise eigentlich hergeben. Da steckt viel Frust dahinter, angesichts der eigenen Machtlosigkeit. Menschlichkeit ist im Bayou ohnehin ein rares Gut. Natürlich ist das auch ganz im Sinne des Film Noir überzeichnet, greift ähnlich wie die spätere HBO-Serie True Detective (2014) auf einige „Southern Gothic“-Stereotype zurück. Doch nimmt das Drehbuch die Menschen des Bayou ernst und gerät trotz mancher Klischees deshalb zu einer überzeugenden Milieustudie.
Zur stimmungsvollen Atmosphäre von In the Electric Mist trägt im beträchtlichen Maße die Filmmusik bei. Marco Beltrami hat die Chance bei diesem Engagement beim Schopfe gepackt und sich in die Cajun-Musik eingearbeitet, für die der sogenannte mixolydische Modus, eine spezielle modale Tonleiter, kennzeichnend ist. Dabei gelingt ihm das seltene Kunststück, die Folklore des Bayou organisch mit den Erfordernissen der Spannungsdramaturgie eines klassischen Hollywood-Thrillers zu fusionieren. Das Resultat fesselt: In der rhythmischen Gestaltung klingt die Musik zunächst wie ein typischer Beltrami. Die schleppenden, schwerfälligen Rhythmen stehen als Metapher nicht nur für den undurchdringlich erscheinenden Bayou selbst, sondern auch für das Waten des Detective durch den Sumpf menschlicher Abgründe. Doch hört man genauer hin, stellt man schnell fest, wie sehr die Elemente der Cajun-Musik der Komposition als tragende Stützen dienen. Dies betrifft sowohl Harmonik als auch die Instrumentierung: Die kleine Orchesterbesetzung wird ergänzt um Banjo, Fiedel, Akkordeon, Gitarre und Triangel. So entsteht ein faszinierendes Spiel mit Klangwirkungen voller schillernder Einzelmomente: Wenn die Posaune zu wabernden elektronischen Klangtexturen und dissonanten Streichern in The Confederate Dead das schleichende Unbehagen spöttisch kommentiert, verstärkt die Musik geschickt die surreale Szenerie, in der Robicheaux mitten im Bayou auf den General trifft. Und in Shipwrecked säuft das langsam gespielte Akkordeon beinahe mit dem Boot des Hollywood-Stars im Sumpf ab.
Immer wieder klingen einzelne Instrumente rostig, leicht verstimmt – als hätte an ihnen der Zahn der Zeit genagt. In Matt Schraders Dokumentation Score von 2017 ist Beltrami zu sehen, wie er für den Western The Homesman (2014) ein Klavier der Witterung ausgesetzt hat, um einen dreckigen, abgewetzten Sound zu erzeugen. Solcherlei Klangexperimente, kombiniert mit ungewöhnlichen Spieltechniken, finden sich bereits fünf Jahre früher bei In the electric Mist. Sie vermitteln den Eindruck einer Gesellschaft, die von und in der Vergangenheit lebt. Die meisten Figuren haben bereits bessere Tage gesehen. Dieses besondere Gefühl des Gestrigen vermittelt sich auch durch das Hauptthema, eine nostalgische Melodie, die die Komposition als eine Art Leitthema für Dave Robicheaux durchzieht und die Beltrami schließlich zum Chanson La Terre Tremblante (gesungen von Dirk Powell) verarbeitet. Wunderschön erklingt es, von Klarinette, Posaune und Streichern gespielt, in Dave Robicheaux. Es ist das Herzstück der Musik und Symbol der Menschlichkeit in einer äußerst ausdrucksstarken Filmkomposition. Bei In the electric Mist kommt vieles im positiven Sinne zusammen: starke Themen, raffinierte Bildbezüge und eine einzigartige Klanglichkeit, die ihresgleichen sucht. Ohne Frage zählt die Komposition zu den besten Werken von Marco Beltrami.
Diskografische Notizen:
In the electric Mist erschien 2009 in zwei Versionen: Einmal als knapp 40-minütiger Download, der auch die beiden Songs Old Stack O’Lee Blues, Frankie And Johnny enthält und einmal als auf 1000 Exemplare limitierte CD von Varèse Sarabande, nur 35 Minuten lang, dafür aber mit circa dreieinhalb Minuten längerem Score-Anteil als in der Download-Version. Die Varèse-CD ist allerdings längst ausverkauft.