Der Gedanke an ein Licht der Hoffnung mag in Zeiten des Ukraine-Krieges und des weiter eskalierenden Nahost-Konflikts tröstlich erscheinen. Und so kommt die Netflix-Verfilmung des mit dem Pulitzerpreis ausgezeichneten Romans Alles Licht, das wir nicht sehen womöglich genau zur rechten Zeit. Sie erinnert nämlich daran, dass jeder auch noch so unmenschliche Krieg irgendwann wieder endet. Eine junge Frau im Zweiten Weltkrieg wird in der vierteiligen Miniserie zum Symbolbild für Menschlichkeit in dunklen Zeiten. Aria Mia Loberti spielt die blinde Marie-Laure, die im August 1944 in der von den Nazis besetzten und den Amerikanern belagerten französischen Stadt Saint-Malo einen illegalen Radiosender betreibt. Sie zitiert Jules Verne und spielt damit über verschlüsselte Botschaften den alliierten Kräften Informationen zu. Doch natürlich sind ihr die Häscher der Nazis längst auf den Fersen, vor allem der von einem Tumor schwer gezeichnete Reinhold von Rumpel (Lars Eidinger), der es zudem auf einen berühmten Diamanten abgesehen hat, den er in ihren Händen vermutet. Von diesem Edelstein, dem „Meer der Flammen“, den Maries geliebter Vater (Mark Ruffalo) einst aus einem Pariser Museum rettete, verspricht er sich mystische Heilkräfte und Unsterblichkeit. Zeitgleich soll der von der SS gegen seinen Willen zwangsverpflichtete Funker Werner Pfennig (Louis Hofmann) die Position des Senders der ungewöhnlichen Widerständlerin aufspüren.
Shawn Levy inszeniert diesen Stoff als märchenhaft anmutendes Melodram, das den Zweitem Weltkrieg und böse Nazis als Szenario der Bedrohung nimmt, um eine abenteuerliche, mit Symbolen aufgeladene Erzählung auszubreiten: Alles ist hier überzeichnet: Marie eine makellose Schönheit, an der die Entbehrungen des Krieges äußerlich spurlos vorübergehen. Die Guten sind alle attraktiv und sympathisch, die Schergen der Nazis sadistische Finsterlinge, genauso brutal wie eiskalt. Die Kamera leuchtet Paris und Saint-Malo als pittoreske Amelie-Welt aus, in der selbst die Feuer nach den Bombardierungen immer noch hübsch anzusehen sind, wie etwa die absurde Kameraeinstellung auf ein brennendes Jahrmarkts-Karussell. Diese Verklärung ist bereits in der angeblich etwas differenzierten Romanvorlage angelegt. Doch in der filmischen Verdichtung, die den 600-Seiten-Roman vorwiegend auf seinen Spannungsplot eindampft, wird alles auf Groschenheftniveau heruntergebrochen. Das wäre zu verzeihen, wenn vieles nicht so ärgerlich wäre: die spekulativen Cliffhanger, dass hier Franzosen und Deutsche ausnahmslos Englisch sprechen, die CGI-Videospielästhetik der Luftangriffe oder alberne Szenen wie das Finale, in dem Werner während der Bombardierungen durch die Stadt rennt, als wäre es der Hindernisparcours eines Abenteuerspielplatzes. Und als wäre das nicht schon unglaubwürdig genug, darf er kurze Zeit später die ihm im Grunde völlig fremde Marie küssen, die gerade vom Tod ihrer Liebsten erfahren hat.
Auch die Filmmusik von James Newton Howard tut sich schwer, dieser biederen Weltkriegsschmonzette eine Grundidee oder ein tragendes Konzept abzugewinnen. Der elegische Main Title tut in seinem feierlichen Gestus mit wortlosem Chor (die London Voices) ein wenig so, als hätte man es hier mit einem Weltkriegs-Doku-Drama im Stil von Band of Brothers zu tun, ein irreführender Anspruch, den die Serie zu keinem Zeitpunkt einlöst. Die einschmeichelnde Melodie ist attraktiv. Doch mit ihr beginnt zugleich ein seltsamer Spagat: Die Musik pendelt zwischen lyrischen, von Holzbläsern, Klavier und Streichern getragenen Stücken und kühler, meist rein funktionaler Spannungsmusik – oft versetzt mit elektronischen Texturen oder Rhythmen. Doch beide Ebenen funktionieren im Bildbezug kaum: Da seufzt die Solovioline in schmerzhaften Momenten herzergreifend (Burden), schwingen sich die Streicher zu feierlichem Pathos auf. Süffiger Streicherwohlklang und reizvolle Klavierminiaturen umspielen in den Rückblenden die innige Beziehung Maries zu ihrem Vater. Doch diese Emotionalität erscheint oft künstlich erzwungen und nicht wie das verdiente Ergebnis sorgfältiger Charakter-Entwicklung. Symptomatisch für den Hang zum Kitsch ist auch die abermalige Verwendung von Debussys Claire de Lune – das in der Serie jede Radioübertragung eröffnet. Wie ein Anachronismus und Stilbruch muten zudem die viel zu modern anmutende Vertonung der Action-Szenen an, die eher an jüngere Actionfilme als ein Weltkriegsdrama denken lassen – ein deplatziertes Zugeständnis an den Zeitgeschmack.
Im Film ist es oft ein schmaler Grat zwischen berührender Emotionalität und süßlichem Kitsch. Das von Klischees und Stereotypen nur so strotzende Drehbuch überschreitet leider regelmäßig diese Grenze. Aber auch der Beitrag von James Newton Howard findet für viele Szenen nicht die notwendige Sensibilität. Das feierliche Pathos mag im Gedenken an den Zweiten Weltkrieg zwar nahe liegen, passt aber nicht zu einer Serie, die in erster Linie auf vordergründige Spannungsunterhaltung setzt und dafür eigentlich eine stärkere Immersion statt historischer Distanz bräuchte. Und weil die Vorlage nicht viel anbietet, auf das sich die Musik hinsichtlich Psychologisierung oder historischem Kontext beziehen könnte, verwendet Howard ausschließlich erprobte Hollywood-Standards. Das funktioniert zwar grundsätzlich, doppelt aber die vorhandenen Stereotype und trägt im lieblichen Romantizismus oftmals dicker auf als das Gesehene es hergibt.
Glücklicherweise fällt das losgelöst von der enttäuschenden Serie nicht ganz so stark ins Gewicht. Zunächst aber birgt die üppige Lauflänge der Musik von 107 Minuten (leider nur als Download oder im Streaming) einen ziemlichen Stolperstein: Denn einmal mehr fällt es dem Hörer zu, kräftig zu kürzen und zu straffen (für eine 43-minütige Playlist s.u.), um manche rein filmdienliche Passage zu vermeiden. Wer das tut, erhält eine grundsolide orchestrale Filmmusik – ein typisches Werk des Komponisten, das gut ins Ohr geht, auch wenn Streicher, Klavier, Holzbläser und ätherischer Chor mitunter zu zuckrig daherzukommen. Gleichwohl gibt es manches Highlight: Das hochdramatische No Trains Left zur Flucht von Marie aus Paris oder das robuste Action-Highlight Thought Destroys Action kontrastieren wunderbar mit den Konzertpiecen der Musik: Das nachdenkliche Klavierstück Saint-Malo untermalt im Abspann ganz unprätentiös die historischen Fotos der nordfranzösischen Stadt. Und das delikate Duett zwischen Klavier und Solovioline in Model City Duet rekapituliert noch ein letztes Mal in besonders eleganter Weise das Hauptthema. Als Filmmusik verfügt All the Light we cannot see also zweifellos über beträchtliche Hörqualitäten. Trotzdem wird man das Gefühl nicht los, dass Howard in dieser Musik mit etwas zu viel professioneller Routine unterwegs war. Denn bei aller Klangschönheit: Eine besondere musikalische Entsprechung für das sprichwörtliche Licht, das man nicht sieht, das gelingt ihm am Ende leider nicht.
Empfohlene Playlist:
- Main Title
- August 1944
- Falling Leaflets
- Model City
- To the Museum
- A Day at the Museum
- Retrieving the Jewels
- No Trains Left
- Burden
- A Promise
- Thought Destroys Action
- Genius is a Gift
- Model Building
- Ask Me Again
- Not Today
- The Most Important Light
- Liberation
- Sea of Flames
- Saint-Malo
- Model City Duet