Ein wenig kann man bei den vielen Filmmusiken, die Alexandre Desplat in den vergangenen Jahrzehnten komponiert hat, schon den Überblick verlieren. Zu seinen weniger beachteten Arbeiten gehört die zu Roman Polańskis Satire Venus im Pelz. Ob die Musik es schwerer hatte, weil sie als unhandliche knapp 37-minütige Suite veröffentlicht wurde, es sich um einen französischen Film handelt oder im Rahmen von #metoo noch einmal die alten Vergewaltigungsvorwürfe gegen den Regisseur aufgewärmt wurden, sei dahingestellt. Geholfen haben aber wohl alle drei Umstände nicht, zumal Desplat parallel mit ganz anderen Arbeiten in den USA Erfolge feierte. Kein Wunder also, dass sein Venus im Pelz bestenfalls am Rande wahrgenommen und rezipiert wurde.
Vielleicht ist Polańskis Film aber einfach nur aus der Zeit gefallen, ein scharfzüngiges Zweipersonen-Kammerspiel basierend auf dem gleichnamigen Theaterstück von David Ives, das ganz ohne Gimmicks oder Trickeffekte auskommt und sich eindeutigen Zuschreibungen entzieht: Im Mittelpunkt steht der aufstrebende Theaterregisseur Thomas Novacheck (Mathieu Amalric), der nach einem langen erfolglosen Casting-Tag für die weibliche Hauptrolle in seiner Neuinterpretation des Skandalstücks Venus im Pelz gerade das Theater verlassen will, als eine letzte, vollkommen durchnässte Bewerberin auftaucht. Und die hat es in sich: Wanda Jourdain (großartig: Emmanuelle Seigner) ist prollig, rotzig, Kaugummi-kauend und sichtbar verzweifelt auf der Suche nach einem Job. Sie bettelt förmlich darum, vorsprechen zu dürfen, obwohl sie eigentlich viel zu spät ist. Thomas lässt sich schließlich von der hartnäckigen Schauspielerin weich kochen und erlebt eine große Überraschung. Nach ein paar absurden Sprechübungen erscheint Wanda wie verwandelt. Sie erweist sich mit ihrem subtilen, lasziven Spiel als perfekte Besetzung für die Rolle. So beginnen beide das Stück, in dem der Protagonist Severin von Kusiemski sich für ein Jahr als Sklave einer vermögenden Witwe unterwirft, zu proben.
Auf dieser Basis entwickelt sich ein faszinierendes Psychoduell um Machtgefüge, Sexismus als auch die Frage, wie viel vom Regisseur selbst in der Adaption steckt. Immer mehr verschwimmen die Grenzen zwischen Realität und Schauspiel, sodass man als Zuschauer oftmals nicht mehr eindeutig weiß, ob beide noch in ihren Rollen agieren oder bereits ein reales Machtduell austragen. Die Grenzen verschieben sich laufend und auch die Machtverhältnisse wechseln in der äußerst unterhaltsamen Groteske mehrfach. So stellen sich zwangsläufig spannende Fragen: Nutzt der bisweilen selbstverliebt wirkende Thomas seine Macht als Regisseur gegenüber Wanda aus, geht es ihm wirklich nur allein um die Kunst? Und wie berechtigt ist die Anklage Wandas, die am Ende über das Ziel hinausschießt und mit Thomas die Kunst im gewissen Sinne fesselt? Angesichts der Vergangenheit des Regisseurs erscheint dieses facettenreiche Vexierspiel umso bemerkenswerter, zumal hier nicht nur seine Ehefrau Emmanuelle Seigner die Hauptrolle spielt, sondern Mathieu Amalric auch eine verblüffende Ähnlichkeit zum jungen Polański aufweist. Selbst wenn es nur die Adaption eines Theaterstücks ist: Etwas komödiantische Teufelsaustreibung des Regisseurs lässt sich in Venus im Pelz kaum leugnen.
Die Filmmusik von Alexandre Desplat stellt von Beginn an klar, was da auf Thomas und sein Stück zukommt: Während die Kamera noch von außen in das Theater hineinfährt, erklingt ein Galopp, der karnevalesk übersteigert, wie ein Marsch anmutet, wobei Sirtaki-Elemente bereits eine erste ironische Brechung andeuten. Aus dieser Ouvertüre schält sich dann ein Walzer-artiges Hauptthema heraus, das Desplat im Sinne des „Duells“ zwischen Thomas und Wanda im Verlauf seiner Komposition immer wieder variiert. Zum Finale furioso hat es dann einen letzten großen Auftritt: in einer die Ouvertüre spiegelnden Variante, die die Handlung endgültig dem Irrsinn preisgibt. Doch so reizvoll das markante Hauptthema ist und so geschickt es den Duell-Tanz von Thomas und Wanda in Töne fasst, so sehr wünschte man sich, dass Desplats Musik noch charismatischer und präziser in die Psychologie zwischen den Figuren eintauchen würde. Denn die 30 Minuten an Variationen wirken dann auf Dauer doch etwas ermüdend. Das Thema wandert oft nur zwischen Klavier und Streichern hin- und her. Da ist Desplat plötzlich wieder in seiner üblichen „comfort zone“: Pizzikati der Streicher, Glockenspiel und Harfe – vereinzelt ein exotisches Instrument. Am Ende kreist die Musik jedoch mehr um sich selbst, als dass sie die Abgründe von Polańskis Komödie ausloten würde. So gelungen das Hauptthema deshalb auch ist: Den Biss und die satirische Schärfe des Films besitzt die Musik leider nicht.