In weiter Ferne so nah – Der Südkorea-Schwerpunkt bei den World Soundtrack Awards

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Das (süd-) koreanische Kino genießt, zumindest unter Cineasten, schon seit vielen Jahren einen exzellenten Ruf. Dass Parasite als erster nicht englischsprachiger Film den Oscar für den „besten Film“ gewann, war da nur die Krönung einer langen Entwicklung, die in den 2000er-Jahren mit den Regiearbeiten von Bong Joon-Ho, Kim ki-duk und Park Chan-wook begonnen hatte. Letzterer gewann in Cannes im Mai sogar für Die Frau im Nebel den Preis für die beste Regie. Grund genug für das Film Fest Gent, in diesem Jahr ihren Länderschwerpunkt Südkorea zu widmen. Und die World Soundtrack Awards, seit jeher dem Film Fest Gent angeschlossen, ließen es sich natürlich nicht nehmen, zu einem Konzertabend mit koreanischer Filmmusik unter Anwesenheit einiger der größten Namen der koreanischen Filmmusik-Szene einzuladen.

Gespielt wurden Werke von insgesamt sechs Komponisten bzw. Komponistinnen aus Korea, von denen zwei persönlich vor Ort waren. Lee Byeong-woo, der insgesamt drei Filme für Bong Joon-Ho vertont hat, war vor seiner Karriere als Komponist hauptsächlich als Gitarrist in seinem Heimatland aktiv, weshalb auch seine Filmmusiken oft Gitarrenparts enthalten. Und so trat er auch beim diesjährigen Konzert als Solist in Erscheinung. Zweiter Stargast des Abends war Cho Young-wuk, der fast alle Projekte von Park Chan-wook betreut. Cho geht relativ offen damit um, dass seine Filmmusiken in Teamarbeit entstehen und er als eine Art Produzent den Entstehungsprozess überwacht. Entsprechend war im Programmheft auch bei jedem seiner Werke stets ein Co-Komponist angegeben.

Lee Byeong-woo spielte bei einigen seiner Werke selbst die Gitarre.

Das Programm bot einen vielseitigen Eindruck von der gegenwärtigen koreanischen Filmmusik – deren Wurzeln allerdings in der europäischen Musiktradition liegen. Die Inspirationsquellen finden sich aber deutlich weiter in der Vergangenheit als bei der westlichen Mainstream-Filmmusik. Wo etwa in den USA auf die Spätromantik oder auf neuere Musikrichtungen zurückgegriffen wird, orientieren sich die koreanischen Komponisten gerne an Barock oder Klassik. Lee Byeong-woo war sogar über viele Jahre im Ausland unterwegs, um sein musikalisches Wissen zu vertiefen. Er studierte ein Jahr in Wien (und spricht daher sogar ein wenig deutsch) und lebte dazu mehrere Jahre in den USA. Cho Young-wuk gab hingegen im Gespräch mit mir Bernard Herrmann und Ludwig van Beethoven als wichtigste Vorbilder an. Er reist sogar häufig nach Europa, um seine Filmmusiken aufzunehmen. Seine Musik für Park Chan-wooks Lady Vengeance ist ein Paradebeispiel für einen Score mit zahlreichen Barock-Elementen. Leider war ausgerechnet aus diesem Film nichts im Konzertprogramm zu hören.

Einen kleinen Eindruck, wie die originär koreanische Musiktradition aussieht, ließ sich in Gent dennoch gewinnen. Zum Programm gehörte nämlich auch Filmmusik aus dem Film Sopyonje (1993), in dem der Protagonist eine volkstümliche koreanische Musiktradition namens Pansori erforscht, bei der ein Sänger oder eine Sängerin nur von einer Trommel begleitet wird. Die Vertonung von Kim Soo-chul greift diese Elemente zwar nicht völlig authentisch auf, setzt aber auf Soli der koreanischen „Taegum“-Flöte. Das Instrument besitzt einen fremdartig-faszinierenden Klang, der einen schönen Kontrast zu der Streicherbegleitung (die dann doch auf „europäischen“ Harmonien fußt) bildete und damit für mich zum überraschendsten und spannendsten Stück des Abends wurde.

Hyelim Kim war die Taegum-Solistin für das Konzert.

Und damit zeigte sich einmal mehr der Wert der World Soundtrack Awards. Auch in Zeiten, in denen es immer mehr Filmmusik-Konzerte gibt, wird dort in besonderem Maße über den Tellerrand hinaus geschaut, und dem interessierten Besucher ermöglicht, Komponisten und Werke zu entdecken, die anderswo aus kommerziellen Gründen keine Chance haben. Einziger Wermutstropfen: Das Konzert war leider – obwohl wirklich empfehlenswert – nicht ausverkauft. Dennoch bin ich schon jetzt gespannt, welches Themenkonzert 2023 auf dem Plan steht. Aller Voraussicht nach wird es wieder im besten Sinne etwas „Unerhörtes“ sein.

Alle Fotos: Foto: Jeroen Willems / Film Fest Gent

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