Die Verführungskraft und Mechanismen absurder Sekten haben in den letzten Jahren bereits einige Filme untersucht, der französische Heinrich-Gewinner Les Éblouis etwa, in dem ein junges Mädchen mit ansehen musste, wie ihre Eltern sich in einer christlichen Glaubensgemeinschaft radikalisierten. Im augenzwinkernden A Pure Place betrieben die Jünger unter ihrem durchgeknallten Guru einen spinnerten, aber herrlich skurrilen Reinigungskult. In Jupiter (Kinostart: Januar 2025) von Benjamin Pfohl folgen die Sekten-Anhänger nun einer nicht weniger abwegigen Theorie: Die Menschen hätten sich angesichts von Naturkatastrophen, Kriegen und Klimawandel von der Erde und Natur entfremdet. Eigentlich seien sie Teil einer immateriellen Macht auf dem Jupiter, zu der sie mithilfe des Kometen Calypso zurückkehren wollen, um eine höhere Daseinsform zu erlangen.
Wie Camille in Les Éblouis muss die junge Lea (Mariella Josephine Aumann) mit ansehen, wie sich ihre Eltern diesem Glauben verschreiben. Warum sie dies tun, wird in Rückblenden verständlich: Denn die Situation der Familie ist äußerst angespannt: Leas Bruder Henry ist Autist und leidet unter wiederkehrenden epileptischen Anfällen, die die Nerven aller belasten. Die von der Krankenkasse bezahlten Therapien schlagen fehl. Leas Eltern fühlen sich vom Staat alleingelassen, der Vater ist längst in den Alkohol geflüchtet. In dieser verzweifelten Lage bietet die Sekte ein erlösendes Heilversprechen. „Schau mal, wie ruhig und entspannt Henry hier draußen“ ist, erklärt die beseelte Mutter einmal Lea. Die „Jupiter“-Gläubigen haben sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Erwartung des Kometen auf einem Berg versammelt, um die gemeinsame Reise zum fernen Planeten vorzubereiten. Doch Lea kommen zunehmend Zweifel daran, ob der Weg der Eltern der richtige ist. Sie möchte, wie jeder andere Teenager, lieber mit ihren Freunden zusammen sein, die Welt erkunden und ihr eigenes Leben leben.
Jupiter ist natürlich in erster Linie ihre Geschichte, eine klassische Coming-of-Age-Story, in der ein junger Mensch sich von den Eltern emanzipieren und Verantwortung für sich selbst übernehmen muss. Doch die Vorzeichen sind leicht anders. Die vom Borkenkäfer zerfressenen Bäume im bayerischen Wald bilden ein gespenstisch surreales Setting für das Weltuntergangsszenario der Sekte. Wenn ihr Anführer von der Zerstörung des Planeten durch den Menschen spricht, kann man eigentlich kaum widersprechen und möchte sogar fragen, welcher Zukunft Lea eigentlich entgegensieht. Man versteht, dass Frust, Wut, Druck und Ausweglosigkeit anfällig machen für falsche Versprechen. Auch filmisch ist das überzeugend inszeniert: Das 4:3-Format erzeugt Enge, die Kamera bleibt stets nahe an den Figuren. Der wummernde Synth-Soundtrack von Gary Hirche transzendiert dazu mit seinen sphärischen Klangschichten Raum und Zeit. Mit seinen Bildern vom fernen Planeten und dem nahenden Kometen fühlt sich Jupiter ohnehin fast an wie ein Science-Fiction-Trip, wäre die Kulisse nicht so real. Auch Lea steht die Unsicherheit ins Gesicht geschrieben. Der Guru setzt zum finalen Countdown an, raunt mit hypnotisierender Stimme: „Wir lassen es zu“. Nun liegt es allein an ihr, zu entscheiden, für welchen Weg sie sich entscheidet.