„Der Stille Raum geben“ – The Quiet Girl

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Es genügt ein Blick in das blasse Gesicht der 9-jährigen Cait, um zu erahnen, welche Not sich hinter den unsicheren dunklen Augen verbirgt. Sie lebt mit ihrer Familie in den frühen 80er-Jahren in bitterer Armut in einem kleinen Dorf in Irland. Von ihren Eltern wird das Mädchen sträflich vernachlässigt. Der lieblose Vater verspielt und vertrinkt das wenige zur Verfügung stehende Geld. Die Mutter erwartet bereits das fünfte Kind und hat andere Sorgen. Die stille Cait, die kaum ein Wort spricht, gilt als Sonderling, das Lesen und Schreiben fällt ihr schwer. Weil sich die Eltern überfordert fühlen, wird Cait für die Sommerferien zur Cousine der Mutter in ein anderes Dorf geschickt. Ein Problem haben sie damit nicht: „Wie lange soll sie dort bleiben?“, fragt die Mutter den Vater kurz vor der Abreise. „So lange wie möglich“, herrscht er sie daraufhin schroff an.

In ihrer Gast-Familie wird Cait dagegen mit offenen Armen empfangen und erfährt zum ersten Mal in ihrem Leben so etwas wie Zuneigung und Aufmerksamkeit. Eine wunderbare Kamera-Einstellung fängt dies besonders symbolhaft ein: Da schöpft die Gastmutter Eibhlin in einer langsamen Bewegung mit einer Kelle aus dem Brunnen frisches Wasser. Und in diesem geschöpften Wasser spiegelt sich das Grün der Bäume – als würde aus dem Wasser neues Leben erwachen. Colin Beiréads The Quite Girl ist ein Film mit einem großartigen Gespür für diese zarten, leisen Momente, die die Inszenierung mit präziser Beobachtungsgabe einfängt. Da erwidert Eibhlin angesichts des eingenässten Bettes nur, sie habe Cait die falsche alte Matratze gegeben. Und wenn der anfangs noch schroffe Ziehvater langsam auftaut und dem Kind auf dem Küchentisch beiläufig einen Keks hinterlässt – ein erster Schritt der Annäherung – dann rührt das deshalb so an, weil es eine so kleine, unscheinbare und doch so große Geste ist.

Auch formal ist das stark: Die Kamera schwelgt in erdig braunen Farbtönen im Kontrast zum Grün der Wiesen. Das Filmformat 1,37:1 spiegelt geschickt die Enge eines von harter Arbeit und vielen Entbehrungen gezeichneten Lebens und die Filmmusik von Stephen Rennicks (Room) trägt mit ihren transparenten Klangfarben subtil zur Wirkung bei. Aber vor allem ist The Quiet Girl auch der Film seiner erstaunlichen Jungdarstellerin Catherine Clinch, die allein mit ihrer Mimik und ihren scheuen Blicken die im Grunde einfache Handlung trägt. Wie wenig es braucht, um große Kinomagie zu erzeugen – dafür ist The Quiet Girl ein herausragendes Lehrbeispiel. Und auch wenn der Film mehr als vier Jahrzehnte in der Vergangenheit spielt, ist er dennoch nicht weniger aktuell. Denn Schicksale wie die von Cait, die gibt es auch heute noch– und das leider alles andere als selten.

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