Quiet Life: „Bitte lächeln“

Der verzweifelte Kampf um Asyl, der Schwebezustand zwischen Anerkennung und Ablehnung, ist eine große Belastung für die Betroffenen, insbesondere wenn im Falle einer Abschiebung schwere Repressalien im Heimatland drohen. Die dramatische Stresssituation, die sich meist an eine traumatische Fluchterfahrung anschließt, belastet vor allem betroffene Kinder schwer. In Schweden kam es in diesem Zusammenhang in den vergangenen Jahren zu einem mysteriösen Phänomen, das Mediziner noch immer vor Rätsel stellt: In hunderten von Fällen begannen Kinder aus Flüchtlingsfamilien, Essen und Trinken zu verweigern und verfielen schließlich in einen Koma-ähnlichen Zustand, der über Monate, manchmal sogar Jahre anhielt. Erstaunlich ist, dass dieses inzwischen als Resignationssyndrom anerkannte Krankheitsbild bislang fast ausschließlich in Schweden auftrat. Alexandros Avrana hat dem Syndrom nun einen eigenen Film gewidmet. Er erzählt in Quite Life von Sergei und seiner Frau Natalie, die mit ihren beiden Töchtern Alina und Katia nach Schweden geflüchtet sind, weil Sergei aufgrund seiner systemkritischen Aussagen in Russland bedroht und zusammengeschlagen wurde. Doch sein Asylantrag wird aus Mangel an Beweisen abgelehnt. Alles hängt nun von Katia ab, die den schlimmen Übergriff auf ihren Vater miterlebt hat, der man aber die potenziell retraumatisierende Zeugenaussage eigentlich ersparen wollte. Als sie auf dem Schulhof einfach umkippt und in einen komatösen Zustand verfällt, gerät die verzweifelte Familie immer mehr in die Mühlen der Bürokratie.

Über weite Strecken fühlt sich Avranas Erzählung über die Flüchtlingsfamilie an wie ein surreales Science-Fiction-Szenario. Die karg eingerichtete Wohnung, in der die vier leben – ein temporärer Zustand – strahlt keinerlei Wärme aus. Eine Dame von der Einwanderungsbehörde begutachtet das Abendessen und die Sauberkeit, als könnten diese irgendeine Auskunft über die Rechtmäßigkeit des Asylantrags geben. Die Verkündung des Bescheids auf dem Amt folgt einem seltsam mechanischen Protokoll. Eine Lautsprecherstimme verkündet aus dem Off, dass die wutentbrannte Familie erst dann den Raum verlassen dürfe, wenn sich alle wieder beruhigt hätten. Doch der absurde Irrsinn geht ungebrochen weiter: Die Eltern dürfen ihre im Krankenhaus liegende Tochter kaum sehen, sollen stattdessen vorher eine Therapie unterlaufen, damit sie ihren Kindern mehr Halt und Stabilität geben können. Qualvolle Sitzungen stehen an: Eine junge Frau, die aussieht und spricht wie ein KI-Avatar aus dem Internet fordert Natalie und Sergei auf, das Lächeln zu üben. Dabei erscheint ihre künstliche Freundlichkeit wie der Inbegriff der aalglatten Fassade eines Systems, das schon lange seine Menschlichkeit verloren hat.

Natürlich ist das im Film überstilisiert inszeniert. Die aseptisch, menschenleeren Flure und Büros der Behörden oder der helle Saal des Krankenhauses, in dem Dutzende von Kindern mit dem Resignationssyndrom behandelt werden, könnten auch einer dystopischen Kinovision entstammen. Zugleich ist Quiet Life, wie der Titel bereits suggeriert, ein sehr ruhiger Film, der seine Hauptfiguren in einer bizarren Stillstands-Blase gefangen hält, in der eigenständiges Handeln beinahe unmöglich scheint, weil „das System“ allein devoten Gehorsam verlangt. Wenn Katia und Sergej im letzten Drittel dann doch aktiv werden, dann trägt dies deshalb märchenhafte Züge. Manchmal fragt man sich als Zuschauer allerdings, ob die entrückt wirkende Inszenierung und die damit einhergehende Überzeichnung wirklich geeignet sind, um den Einwanderungsdiskurs in der dafür notwendigen Differenzierung voranzutreiben. Trotz dieses Einwands gelingt es Quiet Life, den Finger in die Wunde zu legen und danach zu fragen, ob wir wirklich so mit Flüchtlingen umgehen wollen. Die Kamera findet dafür am Ende ein großartiges Symbolbild: Da steht die Familie mitten in einem Parkhaus an einem großen Baum, der durch ein Loch in der Decke von der Sonne angestrahlt wird. Ein wenig Wärme und Licht, das Gefühl von Sicherheit, ein ruhiges Leben. – das würden sich Sergei, Natalie und ihre Kinder sehnlichst wünschen. Doch wie soll das gehen, wenn um ihnen herum alles nur düster erscheint?

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