The Balconettes: „Nichts als Ärger mit dem toxischen Mann“

Ein Sommer in Marseille. Der Asphalt glüht bei 46 Grad im Schatten. In Europa wüten verheerende Waldbrände und in einem Hinterhof kochen die Emotionen über, entlädt sich lange aufgestaute Wut: Eine farbige Frau hat ihren gewalttätigen Ehemann kalt gemacht. Und in einer kleinen Wohnung leben die drei jungen Frauen Nicole, Ruby und Elise. Elise ist Schauspielerin und von ihrem egoistischen Lover geflüchtet, die freizügige Ruby arbeitet als Cam-Girl und die zurückhaltende Schriftstellerin Nicole schmachtet vom Balkon aus den muskulösen Nachbarn an. Weil die schwülen Temperaturen die Gefühle hochheizen, beginnen die Frauen, mit dem begehrten Mann von gegenüber zu flirten. Mit Erfolg. Eines Abends lädt er sie zur Party in seine Wohnung ein. Für eine Fotosession bleibt Ruby noch etwas länger bei ihm als die anderen. Am nächsten Morgen folgt dann der Schock: Der Nachbar hängt blutüberströmt und bestialisch aufgespießt in seiner Wohnung. Ruby ist völlig traumatisiert und spricht kein Wort über das Vorgefallene. Offensichtlich hat sie mit dem Tod etwas zu tun. Also gibt es nur eine Lösung: Die Leiche und alle zugehörigen Spuren müssen schnellstmöglich verschwinden.

Es ist der Auftakt für eine grelle, schwarzhumorige Groteske, die das Leben der drei Frauen komplett auf den Kopf stellen wird. Ganz neu ist diese Plotidee freilich nicht. Ein Toter, der versteckt, zerteilt und begleitet von viel Situationskomik, angesichts diverser Hindernisse, entsorgt werden muss – das gab es in der Kinogeschichte bereits häufiger. Doch der zweite Film von Noémie Merlant entwickelt daraus eine bemerkenswerte feministische Perspektive um weibliche Selbstermächtigung. Ähnlich wie Promising Young Women (2020) von Emerald Fennell ist das Drehbuch, das zusammen mit Céline Sciamma (Porträt einer jungen Frau in Flammen) entstand, eine Rache an den Männern, eine Abrechnung mit Vergewaltigern, Gewalttätern und übergriffigem Verhalten, das ein „Nein“ nicht als Nein akzeptiert. In vielen Szenen werden Männer hier mit ihrem Verhalten konfrontiert. Beklemmend etwa die Szene, in der die Kamera die unter Schock stehende Ruby zeigt, während die Webcam weiterläuft. Im Netz reduzieren fast alle Männer die junge Frau auf die Rolle als sexuelle Erfüllungsgehilfin, ohne ihr Leid wahrzunehmen.

The Balconettes besitzt den Mut, weiterzugehen als Promising Young Women. Toxische Männer werden bei Noémie Merlant nämlich nicht einfach nur belehrt und laufen gelassen, sondern gleich effektvoll „entsorgt“. Sie treten maximal noch als unbelehrbare Geister der Vergangenheit in Erscheinung. Die Frauen erheben sich über die Männer, feiern sich und die Entsexualisierung des eigenen Körpers. Über weite Strecken ist das alles ein herrlich überzeichneter Spaß, in dem sich Aktivismus und Genrekino auf irrwitzige Weise kreuzen. Die drei Hauptdarstellerinnen spielen das großartig: Wenn sie angesichts der ungeahnten Eskalation weit die Augen aufreißen, die Gesichter fast zu comic-haften Fratzen entstellt, dann ist das urkomisch mit anzusehen. Und auch die Elemente der schwarzen Komödie funktionieren noch in der x-ten Neuauflage. Großartig etwa die Szene, in der die Polizei unfreiwillig beim Entsorgen der Leiche assistiert oder die, in der ein vorgetäuschter Orgasmus verhindert, dass die neugierige Nachbarin die Wohnung mit der Leiche betritt.

Doch erstaunlicherweise verheddert sich das Drehbuch bisweilen in seiner eigenen Ideologie. Das beginnt bei der farbigen Nachbarin vom Filmanfang, mit der Elise, Ruby und Nicole zwar sympathisieren, womit die Unterstützung dann aber sofort wieder endet. Und wenn im furiosen Finale sogar Frauen als Statistinnen ihre Körper zeigen, die nicht dem klassischen Schönheitsideal entsprechen, dann ist das zwar gut gemeint, doch gleichzeitig bestätigt The Balconettes mit seinen jungen, attraktiven Hauptdarstellerinnen genau dieses filmische Schönheitsbild. Und entspricht nicht das etwas alberne, hysterische Verhalten der Frauen bei aller schwarzer Komödie gleichzeitig jenen patriarchalen Klischeebildern, die es eigentlich zu dekonstruieren gälte? Vielleicht tut man The Balconettes mit dieser Kritik Unrecht an, zumal es den Macherinnen vor allem um Spaß am feministischen Genrekino ging und die Radikalität, mit der sie diese Vision umsetzen, durchaus beeindruckt. Doch wünschte man dem Drehbuch bei allem Ernst etwas mehr Fähigkeit zur Selbstironie und dem Wahrnehmen anderer (auch weiblicher) Perspektiven, was dem Anliegen keinesfalls geschadet hätte. In seiner Einseitigkeit verharrt die irrwitzige Komödie dann doch etwas zu sehr in der Echokammer des eigenen Aktivismus.

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