Lebendig wie eh und je – die Konzerte rund um die Verleihung der World Soundtrack Awards

Endlich zurück in Gent.  Nachdem 2020 die feierliche Zeremonie nur im Internet stattfinden konnte, waren in diesem Jahr aufgrund hoher Impfquoten in Europa wieder Veranstaltungen vor Publikum möglich. In Belgien wurden inzwischen so viele Corona-Auflagen gelockert, dass es sich beinahe wie vor der Pandemie anfühlt, obwohl diese natürlich lange noch nicht zu Ende ist.  Maske getragen werden musste nur noch im öffentlichen Nahverkehr und nach einem Impfausweis wurde auch nur in der „Vlaamse Opera“ gefragt. Der Wechsel in diese Location erwies sich als hervorragende Wahl: nicht nur sorgt der barocke Musiktheatersaal für einen besonders festlichen Rahmen, auch die Akustik ist noch einmal deutlich besser als in den bisherigen Veranstaltungsorten der World Soundtrack Awards. Es wäre deshalb begrüßenswert, wenn die Konzerte auch in den kommenden Jahren hier stattfinden könnten.

Wie schon vor der Pandemie üblich gab es auch 2021 wieder zwei sinfonische Konzerte mit den Brüsseler Philharmonikern, die von Dirk Brossé dirigiert wurden: Das sogenannte Themenkonzert widmete sich in diesem Jahr Griechenland. Das Filmfest hatte eine Retrospektive sämtlicher Filme von Theo Angelopoulos im Programm. Dazu passend verlieh man seiner Stammkomponistin Eleni Karaindrou, die insgesamt acht Filme des 2012 verstorbenen griechischen Regisseurs vertont hat, den „Lifetime Achievement Award“. Weitere Komponisten im Programm des Themenkonzerts waren Evanthia Reboutsika (die 2006 in Gent als Entdeckung des Jahres ausgezeichnet wurde), Manos Hadjidakis und Nikos Kypourgos, sowie die deutlich bekannteren Vangelis und Mikis Theodorakis. Auch wenn einem der Name Manos Hadjidakis weniger geläufig ist, handelte es sich bei dem 1994 verstorbenen Griechen immerhin um einen Oscar-Gewinner. Er erhielt ihn 1960 für den Film „Sonntags nie“ von Jules Dassin. Dieser Titel wurde jedoch nicht gespielt – stattdessen hatte sein Kollege Nikos Kypourgos einige Themen des Komponisten zu einer Suite zusammengestellt, die an dem Abend den stärksten Eindruck hinterließ. Die Kompositionen von Kypourgos, Eleni Karaindrou und von Evanthia Reboutsika waren stark folkloristisch geprägt und gaben damit dem Programm leider einen Schubs ins Klischeehafte, fast so als ob Erwartungen wie „griechische Musik“ klingt, erfüllt werden sollten. Dies konnte man dem Vangelis-Part natürlich nicht vorwerfen, aber die orchestralen Arrangements von „Chariots of Fire“, „Conquest of Paradise“ und „Blade Runner“ fielen ohne ihren charakteristischen Synthie-Sound hinter den Originalen deutlich zurück. Enttäuschend auch, dass von Mikis Theodorakis nur „Alexis Sorbas“ gespielt wurde. Für den vermutlich bedeutendsten griechischen Musiker des 20. Jahrhunderts, der erst vor einigen Monaten verstorben ist, eine enttäuschend knappe Würdigung.

Der neue Veranstaltungsort: Die „vlaamse Opera Gent“

Trotzdem waren alle Stücke klangschön und eine Konzertperformance wert. Die Brüsseler Philharmoniker unter Dirk Brossé sind nach 21 Jahren World Soundtrack Awards natürlich echte Profis für Filmmusikkonzerte.  Und dann spielte Evanthia Reboutsika für einige ihrer Kompositionen auch noch Soli auf der Violine. Eine richtige Virtuosin ist sie nicht, aber trotzdem ist es immer schön, wenn die Schöpferin eines Werkes ihre Persönlichkeit direkt in eine Konzertperformance einbringt. Auch Eleni Karaindrou spielte bei einer ihrer Kompositionen den Klavierpart ein. Dieser kam besonders gut zur Geltung, da sie Ihre Kompositionen oftmals um einzelne Instrumente herum aufbaut, die nur mit einfachen Harmonien und Rhythmen durch andere Instrumentengruppen begleitet werden, sodass ein sehr transparenter Gesamtklang entsteht.

Auch bei der World Soundtrack Awards-Verleihung war das (musikalische) Programm leider etwas einseitig. Das Konzertprogramm ergibt sich traditionell durch den eingeladenen Stargast sowie durch die Entdeckung des Jahres aus dem Vorjahr (in diesem Fall Bryce Dessner) und dem aktuellen „Lifetime Achievement Award“-Empfänger, Eleni Karaindrou. Und hier ergab sich ein dramaturgisches Problem für den Konzertabend: Zwischen den drei Komponisten gibt es zwar durchaus stilistische Unterschiede, aber alle drei nutzen ähnliche Kompositionstechniken und -strukturen. Sogar die Tempi vieler Werke sind ähnlich. Dessners Kompositionen wirkten außerhalb des Kontextes ihrer Filme beliebig und uninteressant. Max Richters und Eleni Karaindrous Kompositionen hinterließen einen besseren Eindruck beim Publikum, da sie zumindest eine schlichte Schönheit entfalteten. Insbesondere Richter ist nicht ganz ohne Grund so beliebt. Man mag seinen Arbeiten vorhalten, dass sie kompositorisch unterkomplex sind, aber er findet oft starke Themen, die in seinem transparenten Orchestersatz nicht ohne Effekt bleiben. Dies gilt vornehmlich für sein bekanntestes Stück, „On the Nature of Daylight“, welches im Programm natürlich nicht fehlen durfte. Ironischerweise ist es nicht einmal eine originale Film-Komposition. Das Stück wurde mittlerweile nur so oft in Kinofilmen und TV-Serien eingesetzt, dass es gewissermaßen doch als Filmmusik bezeichnet werden kann.

Der musikalisch spannendste Teil beim WSA-Konzert war 2021 der Kompositionswettbewerb, bei dem Nachwuchskomponisten die Aufgabe hatten, eine Szene aus dem Dokumentarfilmklassiker „Nanook of the North“  zu vertonen.  Alle drei Beiträge waren kompositorisch komplex und legten (anders, als es in den vergangenen Jahren manchmal war) ihren Fokus auf sehr unterschiedliche Aspekte des Filmes. Gewonnen hat am Ende die Musik des Engländers Dougal Kemp, die insbesondere die Kälte und feindlichen Lebensbedingungen in der Arktis einzufangen wusste. Die anderen Beiträge konzentrierten sich entsprechend des vorgegebenen Ausschnitts dagegen stärker auf das Familienleben der Inuit und die Routine der täglichen Arbeit.

Preisträger, Ehrengast und der Maestro: (von links nach rechts) Nainita Desai (Discovery of the year), Benji Merrison (Public Choice Award), Eleni Karaindrou (Lifetime Achievement Award), Dougal Kemp (SABAM Composition Contest), Daniel Pemberton (Composer of the year), Max Richter, Dirk Brossé.

Trotz der kritischen Anmerkungen war es ein Genuss, Konzerte und Veranstaltungen wieder gemeinschaftlich zu erleben. Was für ein Unterschied zur Internet-Ausgabe der World Soundtrack Award Ceremony ohne Live-Publikum im Vorjahr, die eine traurige Angelegenheit war. Die Konzerte in Gent haben eines nachdrücklich gezeigt: Es braucht – gerade bei Konzerten – den Kontakt zwischen Künstlern und Publikum für ein lebendiges Erleben von Kultur. Wie schön, dass es das wieder gibt.

Fotos: Film Fest Gent / Jeroen Willems

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