Indiana Jones and the Dial of Destiny – John Williams: „Am Ende kein neuer Anfang“

Veröffentlicht von

Mit einem fünften Indiana Jones-Film hatten wohl nur noch die wenigsten gerechnet. Nachdem über viele Jahre seit dem umstrittenen Indiana Jones and the Kingdom of the Crystal Skull (2008) immer wieder Pläne zu einer Fortsetzung geschmiedet und dann aber genauso schnell wieder verworfen wurden, schien Harrison Ford (geb. 1942) inzwischen zu alt für einen weiteren actiongeladenen Auftritt mit Peitsche und Hut. Als Disney schließlich allen Unkenrufen zum Trotz Indiana Jones und das Rad der Zeit ankündigte und zudem Steven Spielberg völlig überraschend das Regie-Zepter an James Mangold übergab, wuchs in den sozialen Netzwerken allerdings die Skepsis, ob hier noch ein würdiger Indy-Nachfolger zu erwarten sein würde. Das hatte sicher auch damit zu tun, dass viele Fans die Auffassung vertreten, dass Disney bereits die neue Star Wars-Trilogie kreativ an die Wand gefahren habe. Zu allem Überfluss machte das Gerücht die Runde, erste Testvorführungen seien katastrophal verlaufen. Dies ging sogar so weit, dass sich der neue Regisseur, James Mangold, auf Twitter zu einem Dementi gezwungen sah: Zum damaligen Zeitpunkt habe es noch überhaupt keine Testvorführungen gegeben, so sein unmissverständliches Statement. Doch es half alles nichts. Zum Kinostart hagelte es Verrisse. Der fünfte Indiana Jones wurde zum kommerziellen Flop und erhielt Anfang 2024 die zweifelhafte Ehre, gleich zweimal für die goldene Himbeere nominiert zu sein.

Am Ende des Tages sagt diese Vorgeschichte aber vermutlich mehr über die Dynamik des Internets und der Fan-Kultur aus, als über den Film selbst. Denn jeder Vorwurf, den man der finalen Indiana Jones-Episode machen kann, ließe sich auch problemlos auf die vorangegangenen Abenteuer der Reihe übertragen. Im Mittelpunkt der neuen Handlung steht die angeblich von Archimedes ersonnene zweigeteilte Antikythera-Scheibe, die eine Reise durch die Zeit verspricht. Die fiktive Funktion dieses tatsächlich real existierenden Artefakts ist natürlich ein ähnlich absurder Einfall wie es zuvor Bundeslade, Shankara-Stein und heiliger Gral waren. Auch sonst bleibt vieles beim Alten: Einmal mehr kämpft Indy mit bösen Nazis: Dieses Mal trifft er auf den finsteren Jürgen Voller (Mads Mikkelsen) – zum ersten Mal im Prolog während des Krieges und danach viele Jahre später im Jahr 1969, als Indy gerade in den Ruhestand verabschiedet werden soll. Voller hat es in seinen wahnsinnigen Allmachtsfantasien natürlich ebenso auf das wertvolle Archimedes-Artefakt abgesehen, wie Indy und seine Patentochter Helen (Phoebe Waller-Bridge). Die verfolgt unterdessen ganz eigene, eher monetär motivierte, Interessen. Die Schnitzeljagd nach Hinweisen führt alle über Manhattan nach Tanger und Sizilien, wo die berühmte Belagerung von Syrakus eine besondere Rolle einnimmt. Der Legende nach soll Archimedes damals mit Spiegeln das Sonnenlicht gebündelt haben, um die Segel der angreifenden Schiffe in Brand zu setzen. Mit echter Archäologie hat dies abseits loser Referenzen natürlich nur wenig zu tun. Erneut geht es in Indiana Jones and the Dial of Destiny in erster Linie um genauso liebevoll inszeniertes wie letztlich triviales Abenteuerkino vor exotischer Kulisse. Es liegt fast in der Natur der Sache, dass es dabei nicht mehr so frisch und rasant zugehen kann wie noch der Original-Trilogie. Für halsbrecherische Action-Szenen ist Harrison Ford trotz bemerkenswerter CGI-Verjüngung im Prolog dann doch eben zu alt. Indy bei seinem letzten großen Abenteuer – das versprüht nicht nur eine gewisse Sentimentalität, sondern ist wohl auch dafür verantwortlich, dass das Drehbuch keine großen Experimente eingeht und außergewöhnliche Action-Stunts eher vermeidet.

Auch wenn Indiana Jones and the Dial of Destiny dadurch zwangsläufig nicht mit den ersten drei Indiana Jones-Filmen mithalten kann, findet das Franchise trotzdem zu einem charmanten, ansehnlichen Abschluss, der die Hauptfigur ehrenvoll in Rente schickt. Einen ebenso würdigen Abschluss findet auch John Williams mit seiner möglicherweise finalen Filmmusik. Der Altmeister hat es sich nicht nehmen lassen, mit 91 Jahren noch ein fünftes und letztes Mal zum Franchise zurückzukehren. Eine bemerkenswerte Leistung. Doch eine Zweistunden-Musik unter Zeitdruck ist auch für ihn so ohne Weiteres nicht mehr zu stemmen. Das belegen erstaunliche viele Eigenzitate: So lehnt sich etwa ein Stück an Spyders aus Minority Report an und für Germany, 1944 wurde On the Tank aus Indiana Jones and the last Crusuade fast 1 zu 1 neu eingespielt. Stellenweise schimmern zudem War of the Worlds und The Adventures of Tintin als Temp Track durch und einmal wird sogar 1941 zitiert. Und auch William Ross trug zur Entlastung bei: Von ihm stammt die jazzige Musik zur Paraden-Sequenz in New York (Rumble in the City), eine Szene, die John Williams vor wenigen Jahren vermutlich noch selbst vertont hätte.

Viel Altbekanntes also. Indiana Jones and the Dial of Destiny atmet natürlich den Geist vorangegangener Williams-Musiken und blickt zwangsläufig mehr zurück als nach vorn. Wer nun aber denkt, es allein mit einer redundanten Patchwork-Filmmusik zu tun zu haben, liegt falsch. Dafür drückt Williams dem Film in den Schlüsselmomenten dann doch immer wieder seinen unverwechselbaren Stempel auf. Der auffälligste neue Einfall ist das elegant-wehmütige Thema für Helen (Helen’s Theme), das eigentlich gar nicht so recht zur aufmüpfigen Patentochter passen will und spätestens in der für Anne-Sophie Mutter arrangierten Konzertfassung vielmehr so klingt, als würde Williams seine eigene Wehmut angesichts der womöglich letzten Filmmusik in Noten fassen wollen. Diese bittersüße Melancholie schwang auch schon bei seinem Star Wars-Abschluss mit und mag vielleicht auch ein Grund dafür sein, warum der Film von vielen als weniger frisch wahrgenommen wurde. Zwei weitere Neben-Motive sind da typischer für das Franchise: Da ist zum einen das mysteriös-verspielte Archimedes/Dial-Thema, zum anderen das schroffe Bösewicht-Motiv für den Über-Nazi Voller. Beide Themen sind zum ersten Mal im Prolog zu hören. Der klassische Raiders-Marsch scheint hier und da durch, spielt in der neuen Komposition aber nur eine untergeordnete Rolle. Wie James Mangold im CD-Booklet schreibt, waren er und Williams sich einig, dass der etwas eingerostete Indy sich dieses Thema erst einmal wieder verdienen müsse.

Indiana Jones and the Dial of Destiny hat dafür ganz andere Schaustücke im Gepäck. So zeigt sich Williams in Auction at Hotel L’Atlantique und Tuk Tuk in Tangiers im geschäftigen Scherzo-Modus und variiert lustvoll und fern von jeglicher Altersmüdigkeit über die Hauptthemen der neuen Musik. Doch auch die zunächst unscheinbar wirkenden Teile faszinieren: Wie das Water Ballet von transparenter Spannungsmusik im zweiten Teil ins Dissonante kippt und in einer Art tänzerischer Percussion mündet, das begeistert ebenso wie das schillernd-mysteriöse Archimedes‘ Tomb, das vor allem das Archimedes/Dial-Thema verarbeitet. Die Balance in Indiana Jones and the Dial of Destiny stimmt. Williams zieht hier noch einmal alle Register, umschmeichelt den Hörer mit dem wunderbaren Romantizismus der obligatorischen Transitionsszene in To Athens, fesselt mit der wilden Schlagwerk-Rhythmik im Action-Showpiece Battle of Syracus. Und wenn sich in New York, 1969 Indy mit Marion versöhnt und ihr Thema erklingt, dann ist endgültig die Zeit gekommen, den Helden mit dem beliebten Raiders-March von der großen Kinoleinwand zu verabschieden.

Doch was bleibt am Ende von Indiana Jones and the Dial of Destiny? Der Film ist natürlich kein Meisterwerk, aber ganz gewiss nicht halb so mies wie sein Ruf. Das Triviale und Alberne war schon immer ein Bestandteil der Reihe. Absurder als die vorangegangenen Teile ist der neue sicher nicht. Und schon immer wurden die Filme primär vom selbstironischen Charme Harrison Fords und der großartigen Filmmusik von John Williams zusammengehalten. Dessen vermutlich finale Filmmusik erfindet das Rad nicht neu und kann auch die Zeit nicht zurückdrehen, steigert sich aber mit jedem Hördurchgang. Die motivische Verzahnung, die detailverliebte Orchestrierung und die starken melodischen Einfälle sorgen noch ein letztes Mal für großen Unterhaltungswert in bewährter Tradition. Die offizielle Musikfassung ist gelungen, verzichtet glücklicherweise auf die meisten der oben genannten Selbstzitate der kompletten Fassung (die man als Extra der Blu-Ray anhören kann). Einziger Wermutstropfen: Disney hat die CD-Fassung der Filmmusik in einer limitierten, viel zu kleinen Auflage produziert, die längst vergriffen ist. Das hat der letzte Indiana Jones genauso wenig verdient wie die geifernden Shitstorms in den sozialen Netzwerken.

Ein Kommentar

  1. Toll und sachlich Analysiert . So kann , darf und soll man konstruktive Kritik äussern . Der Film und die Musik werden kritisch aber mit Respekt analysiert und das ist auch völlig in Ordnung . Bisher die objektivste Kritik an dem Film und der Musik . Unterschreibe hier jedes Wort !

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.