Man kann es nicht allen recht machen. Als die Musik zum neuen Spielberg-Film Minority Report im Sommer in den USA veröffentlicht wurde, waren viele Kritikerstimmen verhalten. Kein Wunder, denn die neueste Komposition von John Williams ist weder ein zweiter Harry Potter noch ein neuer Star Wars, sondern präsentiert sich ungewohnt düster und kühl. Dieses Konzept ist eine musikalische Antwort auf die filmische Vorlage. Denn Minority Report steht weniger dem typischen Spielbergschen Unterhaltungskino nahe als vielmehr dem Film Noir der 40er Jahre. Auch wenn die Handlung in der Zukunft spielt: Der Grundplot – ein des Mordes Angeklagter muss seine Unschuld beweisen – ist ein geradezu klassischer Stoff für einen Krimi.
Natürlich variiert Spielberg dieses Grundschema äußerst geschickt. John Anderton (Tom Cruise) gehört der Spezialeinheit Precrime an, die Verbrechen per Blick in die Zukunft aufklärt, noch bevor sie geschehen. Er glaubt an dieses scheinbar perfekte System der präventiven Verbrechensbekämpfung, bis er eines Tages selbst beschuldigt wird, in naher Zukunft einen Menschen zu töten. Entsprechend dieser Orwellschen Zukunftsvision ist die Musik von John Williams genregemäß düster und sperrig gehalten. Eine Kritik, die das Fehlen weit geschwungener Melodiebögen und eingängiger Themen beklagt, greift deshalb zwangsläufig zu kurz und wird der Komposition kaum gerecht. Es ist schon richtig, dass der Score zu Minority Report sich auf den ersten Eindruck wenig eingängig und reichlich spröde präsentiert. Doch das eingehende Hören dürfte die anfängliche Enttäuschung schnell vergessen machen. Es zeigt sich nämlich, dass Williams hier eine vorzügliche, exzellent gearbeitete und abwechslungsreiche Spannungsmusik kreiert hat.
In der kühlen, abstrakten Tonsprache steht sie The Fury (Teufelskreis Alpha), Nixon und der deutlich blasseren Musik zu Presumed Innocent (Aus Mangel an Beweisen) nahe. Im Einsatz der Perkussion erinnern Stücke wie Spyders oder Andertons’s Great Escape an The Chase through Coruscant aus Star Wars – Angriff der Klonkrieger. In den zum Teil schroff klingenden modernen Anteilen erweist Williams auch Bernard Herrmann seine Reverenz. Gerade in den Streicherpassagen lässt ein ums andere Mal Bernard Herrmanns Psycho grüßen. Dazu integriert Williams entrückt und verstörend wirkende Vokalisen in seine Musik, arbeitet mit packenden rhythmischen Motiven. Das wichtigste ist ein Bläsermotiv, das Williams zu Beginn von Spyders einführt und im Laufe der Partitur immer wieder aufgreift. Doch Williams wäre nicht Williams, wenn es nicht auch ruhige, melodische Momente gäbe. Insbesondere im Titelstück Minority Report,in Sean’s Theme oder der klangschönen Endsuite A New Beginning, die alle wichtigen Themen vereint, besitzt der Score einige Hörqualitäten. Um diese zu erkennen, bedarf es allerdings des mehrmaligen Hörens.
Selten hat man John Williams so konsequent, eine moderne, in Teilen dissonante Tonsprache verwenden sehen. Darin dürfte vor allem die anfängliche Irritation und Enttäuschung vieler Hörer begründet liegen. Wer jedoch nicht nur ausschließlich die üppige, breit ausladende Sinfonik à là Indiana Jones, Hook (1991) oder Jurassic Park (1993) erwartet, wird bei Minority Report mit einem eher untypischen, wenn auch nicht völlig neuartigen Williams-Score belohnt. Der steht den besten Musiken des Komponisten der letzten Jahre in nichts nach und ist ähnlich hoch einzuordnen. Wer jedoch auf eingängige Themen zum Mitsummen nicht verzichten kann oder möchte, sollte von der neuen Komposition des Altmeisters lieber die Finger lassen. Auch Neulinge in Sachen Kinosinfonik werden sich mit Minority Report vermutlich eher schwertun. Für sie empfiehlt sich als Einstieg der Griff zu Indiana Jones, Harry Potter & Co.