„Du kannst alles erreichen, wenn Du es nur willst. Das Alter spielt dabei keine Rolle“ – Dies ist das Mantra der Filmbiografie Nyad über die Langstreckenschwimmerin Diana Nyad, die 2013, im betagten Alter von 63 Jahren in 53 Stunden von Kuba nach Key West schwamm – als erster Mensch überhaupt ohne schützenden Haikäfig. Elizabeth Chai Vasarhelyi und Jimmy Chin setzen der Extremsportlerin mit ihrer neuesten Regiearbeit nun ein eindrucksvolles filmisches Denkmal. Die Oscar-nominierte Annette Bening brilliert in der Hauptrolle zwischen sturköpfigem Narzissmus und wilder Entschlossenheit. Die ebenfalls nominierte Jodie Foster steht dem als besorgte Freundin und Trainerin Bonnie kaum nach. Doch es ist nicht nur das Schauspiel, das begeistert: Die Inszenierung nutzt einen raffinierten Kunstgriff, um der Hauptfigur näherzukommen. Sie stellt den vielen Schwimmszenen und Rekordversuchen Kollagen mit Erinnerungsfetzen aus Nyads langer Karriere gegenüber. So vermittelt sich beiläufig ein komplexes Bild der Ausnahme-Athletin. Der Zuschauer erfährt, was sie in ihrem Leben antreibt: der unnachgiebige Drill des Vaters, der die Familie früh verließ, die traumatische Erinnerung an den sexuellen Missbrauch durch einen Schwimmtrainer als Teenager. Und der erste gescheiterte Versuch mit 28 Jahren, die schwierige Strecke auf offenem Meer zu überwinden, der ursprünglich als krönender Abschluss der Karriere gedacht war.
Als Zuschauer fühlt und leidet man mit: Einer der neuerlichen Rekordversuche muss frühzeitig abgebrochen werden, nachdem Diana Nyad mit Feuerquallen in Berührung gekommen ist und Helfer sie mit Rötungen am ganzen Körper aus dem Wasser ziehen. Es wird nicht der einzige Fehlschlag bis zum finalen Triumph über die Naturgewalten bleiben. Die eindrucksvolle sportliche Leistung, die Resilienz gegenüber allen Widrigkeiten und die bedingungslose Hingabe für den eigentlich ad acta gelegten Lebenstraum nötigen viel Respekt ab. Doch es gibt auch eine Kehrseite der Medaille: Der launische Narzissmus, mit dem Diane Nyad ihre Weggefährten immer wieder malträtiert und dazu zwingt, sich ihrer Obsession unterzuordnen, wird zwar thematisiert, in letzter Konsequenz aber mit schnoddrigem Humor eher weichgezeichnet. Nyad feiert sehr einseitig den amerikanischen Traum und suggeriert dabei, ein jeder könne alles erreichen, wenn nur Wille und Entschlossenheit stimmen. Die Sinnfrage wird dabei kaum einmal gestellt, der Individualismus triumphiert. In Nyads „Team“ gibt es nur eine Person, die die Befehle gibt und das ist Diane Nyad selbst.
Dass Nyad als inspirierendes Erbauungskino trotz dieses Kritikpunktes so gut funktioniert, liegt nicht zuletzt an der Filmmusik von Alexandre Desplat, die einen schwierigen Drahtseilakt vollzieht: Einerseits muss sie auf subtile Weise die Sympathien des Zuschauers auf die Seite des Filmes und seiner Figuren bringen, andererseits darf sie es mit dem musikalischen Optimismus aber nicht übertreiben, um nicht manipulativ zu wirken. Dieses Kunststück gelingt dem Franzosen vorzüglich. Diana wird mit zwei Themen charakterisiert: einer entspannten Gitarren-Melodie, die ihr Herz und ihre Träume symbolisieren (Young Diana) und ein Flötenmotiv über Gitarre und Paukenschlägen, das ihre traumatische Kindheit und ihre Besessenheit spiegelt (Diana). Raffiniert gewinnt Desplat beiden Themen immer wieder unterschiedliche Stimmungen und Nuancen ab. So nutzt Desplat eine besondere Betonung der Schlussnote der Gitarren-Melodie, um mitunter ein klein wenig Richtung Chariots of Fire von Vangelis zu schielen. Doch die Musik erkundet durchaus die Abgründe der Vergangenheit Nyads mit unerwarteten Dissonanzen oder übernimmt mit den Pauken das rhythmische Klatschen der Arme Nyads im Wasser. Das großartig mysteriös-monotone Fighting the Waves unterstreicht nicht nur ihren Kampf gegen die Wellen, sondern auch gegen die inneren Dämonen. Wenn Nyad es mit den Quallen und einem bösen Sturm zu tun bekommt, nutzt Desplat die Gelegenheit zu komplexen Rhythmus-Kaskaden, die seinen Thriller-Musiken der 00er-Jahre kaum nachstehen. In Lights on the Ocean irrlichtert die Komposition reizvoll gen Tadsch Mahal – und begleitet damit eine der Halluzinationen der Schwimmerin wenige Stunden vor Erreichen des Ziels, bevor sich die Komposition dann im finalen Florida langsam zu einer versöhnlich-triumphalen, aber dennoch zurückhaltenden Hymne steigert.
Im Film ist das äußerst effektvoll und trägt viel zur besonderen Wirkung bei. Die entspannten Gitarrenakkorde verströmen ein relaxtes kalifornisches Flair, die Pauken sorgen für den nötigen Drive und die delirierenden expressionistischen Stücke lassen die Gedanken zwischen Traum und Albtraum mäandern. Und damit gelingt Desplat endlich mal wieder eine charismatische Filmmusik, die nicht wie viele seine vorangegangenen Arbeiten klingt. Schade nur, dass es der Komponist nicht schafft, die Übergänge zwischen den sehr divergierenden Stimmungen und Stilen fließender zu gestalten und damit der Komposition mehr Kohärenz zu verleihen. Die Musik zerfällt dadurch zwar nicht in ihre Einzelteile. Dafür ist sie in ihren besten Momenten viel zu eindringlich. Und doch fragt man sich, ob hier nicht mehr erreichbar gewesen wäre, wenn man denn nur gewollt hätte. Die Realität verlangt dann wohl offenbar doch nach dem ein oder anderen Kompromiss.