One Battle After Another – Jonny Greenwood: „Brüchige Revolution“

One Battle After Another, der neue Film von Paul Thomas Anderson, wirkt aus der Zeit gefallen. Im neuen erzkonservativen Amerika unter dem egomanischen Präsidenten Donald Trump postuliert das Revolutionsszenario einen radikalen Gegenentwurf zu allem, wofür die Republikaner stehen. Angesichts des aktuellen politischen Klimas, in dem die Demokratie in den Staaten immer weiter beschnitten wird, mutet es fast schon erstaunlich an, dass Andersons Film überhaupt noch ohne Gegenwehr in den Kinos starten durfte. Aber zum Glück reicht Trumps Macht so weit dann noch nicht. Und deshalb darf One Battle After Another in einem wilden, knapp dreistündigen Ritt ungehemmt von den Revoluzzern der „French 75“ erzählen, die mit Waffen und Sprengstoff an der mexikanischen Grenze internierte Flüchtlinge befreien und den Staat mit seiner restriktiven Einwanderungspolitik bekämpfen, wo sie nur können. Zu den Köpfen der Bande zählen die schwarze Perfidia Beverly Hills (Teyana Taylor), mit einem Faible für Feuerwaffen und schnellen Sex, sowie ihr Partner Bob „Ghetto Pat Rocket Man“ Ferguson (Leonardo DiCaprio), der parallel mit seinen Raketen für die notwendigen Ablenkungsmanöver sorgt. Allein die Namen dieser Rebellen sind schon schräg. Und so ist auch ihr Gegenspieler auf Staatsseite eine einzige Karikatur: der steife, breitbeinige „White Supremacist“ Steven J. Lockjaw (Sean Penn), der von einer weißen Herrenrasse fantasiert, aber heimlich Perfidia begehrt und sie masturbierend bei ihren Anschlägen beobachtet. Als er ihrer habhaft wird, setzt er die junge Frau unter Druck und beide erleben eine schnelllebige Affäre. Mit Folgen, denn kurz darauf ist Perfidia schwanger. Bob, der längst genug vom Kämpfen hat, kümmert sich liebevoll um das neugeborene Kind, und bittet Perfidia flehentlich darum, aufzuhören. Vergeblich. Als sie bei einem ihrer Einsätze festgenommen wird, nimmt sie an einem Zeugenschutzprogramm teil. Ihr einstigen Mitstreiter müssen alle in den Untergrund fliehen.

Doch dieser fulminante Einstieg ist nur der Beginn einer grotesk übersteigerten Erzählung, die für ihre Figuren noch so einiges im Gepäck hat. One Battle After Another entzieht sich dabei allen Genre-Zuschreibungen, pendelt irgendwo zwischen Dystopie, Actionkomödie, Familiendrama und Gesellschaftssatire. Das strotzt nur so vor großartigen Szenen: Wenn der im roten „Big Lebowski“-Gedächtnismantel agierende Bob verzweifelt versucht, sich am Telefon an ein vereinbartes Codewort zu erinnern, oder sich Lockjaw im faschistoiden Geheimzirkel „Christmas Adventurers Club“ vorstellt, dann bereitet es riesigen Spaß, der großartigen Darstellerriege (allen voran Teyana Taylor, Leonardo DiCaprio und Sean Penn) in ihrem Hadern, Streben und ihren Neurosen zuzusehen. Besonders tiefgründig ist der mitreißende Film über seine offensichtliche Haltung hinaus allerdings nicht. Ähnlich wie Alex Garlands Civil War bleibt der gesellschaftspolitische Kontext eher diffus. Eine zeitliche Einordnung der Geschehnisse fehlt völlig. Auf das, wofür die linksradikalen Aktivisten wirklich stehen und was für eine Gesellschaft sie eigentlich anstreben, verschwendet das Drehbuch keine Dialogzeile. Es muss einfach reichen, dass sie auf der guten Seite stehen und gegen ultrakonservative Kräfte kämpfen. Besser funktioniert One Battle After Another dagegen als Satire, in der beide Seiten ihr Fett abbekommen: die Revoluzzer, deren Idealismus vom Leben und Altern überholt wird, sowie die rechten Hardliner, deren absurde Hybris und kaum verhohlene Homophobie nicht nur andere Leben, sondern letztendlich sogar das eigene zerstört.

Ein Film, der so sehr aus dem Unerwarteten schöpft, der einzelne Szenen labyrinthisch ausformuliert, der so frei wirkt, wie das Leben der Rebellen selbst, braucht eine avantgardistische Freestyle-Filmmusik. Auftritt: Jonny Greenwood (There will be Blood), seit vielen Jahren unverzichtbarer Wegbegleiter aller Paul-Thomas-Anderson-Filme. Ähnlich wie Daniel Blumberg in The Brutalist begleitet der Brite mit einer fiebrig-nervösen Klanglandschaft, zu deren Markenzeichen das hämmernde Klavier wird, das dem Film seinen unregelmäßigen Takt verleiht, mitunter an den Nerven zerrt, damit aber stets das Gefühl vermittelt, dass jederzeit alles Erdenkliche passieren könnte – was dann ja auch passiert. Die Streicher forschen sich dissonant-spröde in die Szenerie hinein, untermalen zunächst vor allem die Momente des Innehaltens, in denen die Zukunft für die Figuren ungewiss erscheint oder existenzielle Entscheidungen zu treffen sind, wie bei der Frage nach der Zukunft der jungen Familie (z.B. in Perfidia Beverly Hills). Das expressive Violinsolo von Battle After Battle feiert etwa nicht das Revoluzzertum, sondern scheint geradezu fragend abzubremsen und anzuzweifeln, ob das alles wirklich immer so weitergehen kann und wird. Mit der Geburt von Willa wird diese Frage eindeutig beantwortet. Die Musikstücke, die Greenwood ihr beiseitstellt, sind hoffnungsfroher, fast romantisierend, wie das beinah fröhliche Baby Charlene oder das wunderschön-melancholische, freilich auch Revolutions-Klischees bedienende Gitarrenspiel in Guitar for Willa.

Ein besonderes Setpiece ist das etwas seltsam betitelte Ocean Waves. Im Film begleitet das experimentelle Klavierstück mit dissonanten Streichern und Bläsern, das sich so anhört, als würden Türen quietschen und Möbel verrückt, die Fluchtsequenz im Haus von Sensei Sergio (Benicio del Toro). Über 10 Minuten lang werden dabei die gleichen hämmernden Klavieranschläge immer wieder geloopt – was die Geduld während des Sehens doch arg strapaziert. Bei einer Hollywood-Produktion dieser Größenordnung und dem unbestrittenen Renommee Greenwoods irritiert dieser repetitive Musikeinsatz doch sehr. Aber vielleicht steckt dahinter auch Absicht, weil sich so der nervenzerrende Ausnahmezustand auf der Flucht in nicht weniger nervenzerrenden Rhythmus-Pattern auf den Zuschauer überträgt. Letztendlich verweigert sich Greenwood, wie auch schon in seinen früheren Musiken, allein eindeutigen Zuschreibungen. Dabei wirken die perkussiven Spielereien oft improvisiert und verstärken damit das Gefühl von Unruhe und Anspannung, so wie auch die Hauptfiguren keinen inneren Frieden finden.

Die musikalische Fieberkurve führt dann schließlich in River of Hills mit Psycho-verdächtigen Streichern zum Siedepunkt. Das Finale hat es in sich. Die furiose, grandios gefilmte Verfolgungsjagd auf dem wellenförmigen Highway erinnert nicht nur an das Action-Kino der 70er-Jahre, sondern ist gleichzeitig eine wunderbare Metapher für das Auf und Ab im Leben der Hauptfiguren. Und dann sind wir am Ende wieder bei Bobs Tochter Willa. Dem lakonischen Trust Device – im Film ein Gerät, das signalisiert, dass man seinem Gegenüber bedingungslos vertrauen kann – folgt das zarte kammermusikalische Trio for Willa, das im Film allerdings nicht vorkommt. Die Beziehung zwischen Vater und Tochter – so muss man Andersons Film wohl jenseits seiner gesellschaftspolitischen Dimensionen verstehen – bildet das Herzstück von One Battle After Another. Mit ihr verbindet sich große Hoffnung. Doch letztendlich ist alles brüchig. Letztendlich ist das wirkliche Leben genauso unfertig und improvisiert wie Greenwoods schillernde Musik und Andersons verschlungener Film. Alles, was am Ende übrig bleibt, sind Liebe und Hoffnung. Willas Generation gehört die Zukunft. Doch der Kampf für Gerechtigkeit und Menschenwürde scheint immer weiterzugehen. Leider. One Battle after another.

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