Als Stephen Warbeck 1999 für seine Partitur zu Shakespeare in Love mit dem Oscar ausgezeichnet wurde, hielten viele Kritiker diese Ehrung für einen einmaligen, kaum zu wiederholenden Erfolg. In der Tat konnte der Brite in der Folge nicht an diese Leistung anknüpfen, schlimmer noch: Nur eine seiner nächsten Filmmusiken (die TV-Produktion A Christmas Carol) wurde überhaupt auf CD veröffentlicht. Mit Quills kehrt Warbeck nun zum Kostümfilm zurück, dem er seinen internationalen Durchbruch verdankt. Doch die Filmbiographie über den Marquis de Sade ist kaum gewöhnliches Genrekino und seine Vertonung sicher keine übliche Kostümfilmmusik. Der Komponist nimmt zeitgenössische Stilmittel und Instrumente und verfremdet sie konsequent. Deutlich wird dies vor allem in der Orchestrierung, die aus improvisierten und neu kreierten Instrumenten besteht. Verschiedene Formen von Pfeifen (zum Teil unter Wasser gespielt!), Didgeridoo, verstimmte Gitarre, eine manipulierte Leier und viele andere exotische Klangkörper kommen neben dem vollem Orchester samt Chor zum Einsatz.
Das Ergebnis ist so ungewöhnlich wie gewaltig und reich an Höhepunkten. Das romantische Hauptthema der Eröffnung „The Marquis and the Scaffold“, im Anschluss sanft von den Flöten in „The Abbe and Madeleine“ gespielt, und der französische Choral in „The Convent“ beginnen die CD eher konventionell. Doch in der Folge wird die Stimmung schnell merklich düsterer; die Musik im Ton moderner, geprägt von der ungewöhnlichen Perkussion und den dissonanten Streichern. Höhepunkt sind die siebeneinhalb Minuten von „The End: A New Manuscript“ mit wortlosem Frauenchor, fanfarenartigen Bläsern und in der zweiten Hälfte fast schon fröhlichen Flötenklängen.
Vergleichbar innovativ wie Howard Shore in The Cell experimentiert Warbeck mit dem Orchester. Auch wenn das schöne Streicherthema an die Musik für Shakespeare in Love erinnert, könnte Quills nicht ferner dieser Partitur sein. Wer ähnliches erwartet, wird hier zwangsläufig enttäuscht. Freunde experimenteller Filmkompositionen kommen bei Quills jedoch voll auf ihre Kosten. Stephen Warbeck beweist ebenso wie Howard Shore, dass wenn das Thema und die Produzenten eines Filmes es zulassen, auch in diesen Tagen noch innovative Tonschöpfungen möglich sind. Quills gehört zu den besten Filmmusiken des Jahres.