Als Wojciech Kilar 1992 mit Bram Stoker’s Dracula erstmals in seiner Karriere eine große Hollywoodproduktion vertonte, war dies für viele die erste Begegnung mit dem polnischen Komponisten. Als „Debütant“ konnte man Kilar damals allerdings kaum mehr bezeichnen. Der 1932 in Lvov (heutige Ukraine) geborene Pole, hatte seit 1960 bereits um die hundert Vertonungen – hauptsächlich für das polnische Kino und Fernsehen – geschaffen. Die neue Filmmusik-CD von Marco Polo widmet sich in neu eingespielten Ausschnitten fünf Arbeiten Kilars, die zwischen 1972 und 1994 entstanden. Antoni Wit dirigiert dabei das Polish National Radio Symphony Orchestra.
Sowohl in Wojciech Kilars Werk für den Konzertsaal (z.B. Exodus) als auch in seinen Filmpartituren stehen Atmosphäre und Klangwirkung häufig vor einer komplexen dramaturgischen Gestaltung. Doch trotz aller Einfachheit wirkt das Resultat niemals banal oder effekthascherisch. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel für seine Fähigkeit, einem Film die richtige musikalische Stimmung zu verleihen, ist die Vertonung des Horrorklassikers von Bram Stoker. Die düster-abgründige Tonschöpfung erzeugt einen Sog, dem man sich beim Hören kaum entziehen kann. Gleich im Eröffnungsstück der 23-minütigen Suite – „The Brides“ – erklingt ein hypnotisch anmutendes Streicherthema, dem Paukenschläge und Klavier entgegengesetzt werden. Von der jugendlichen Naivität der Mina verkündet „The Party“ mit einem feinsinnigen Gebilde aus Glockenspiel und Violine. Das melodische Talent Kilars zeigt sich im wunderschönen Zusammenspiel von Streichern und Harfe in „Mina/Elizabeth“. Gustav Holsts „Mars“ aus den Planeten wird einmal mehr in Ostinato von „Vampire Hunters“ heraufbeschwört. Als Kontrast gibt es im folgenden Stück die Begegnung Minas mit Dracula, eine ruhige, melancholische Streichermelodie geprägt von Englischhorn und Flöte. Den Abschluss der Suite bildet „The Storm“, mit einem für Kilar charakteristischen Choral, der an seinen Landsmann Szymanowski erinnert.
Die zweite große Suite der CD widmet sich einer international eher unbekannten Filmmusik Kilars. Der TV-Zweiteiler König der letzten Tage führt den Zuschauer ins Jahr 1534 und schildert Aufstieg und Fall des Propheten Johann von Leiden als Anführer der Wiedertäufer. Die Musik erinnert stilistisch an Dracula weist aber ein prachtvolles Hauptthema („Intrada“ und „Gloria“) und düster-opulente Chorgesänge auf, die sie weit genug von der Arbeit zum Coppola-Film absetzen. Die in der Komplettfassung (seinerzeit auf Decca veröffentlicht) etwas redundante Vertonung wirkt in der hier präsentierten Fassung kompakt und eigentlich völlig ausreichend. Schade nur, dass sich Antoni Wit stellenweise Freiheiten in der Instrumentierung nimmt. Besonders enttäuschend ist das finale „Gloria“, das gegenüber dem Original nicht nur zu hohe Tempi an den Tag legt, sondern auch ein anderes – seltsam distanziert klingendes – Schlagwerk einsetzt.
Die erste Zusammenarbeit Kilars mit dem Landsmann Roman Polanski ergab sich mit dem unterschätzten Kammerspiel Der Tod und das Mädchen von 1994, das nach einem Theaterstück von Ariel Dorfman entstand. Hier steht das titelgebende Stück von Schubert im Mittelpunkt. Kilars streicherdominierte Musik bildet eine atmosphärische Ergänzung, die erst mit mehrmaligem Hören ihre volle Wirkung entfaltet. Zwei ältere Filmpartituren beenden die CD. In Perlen in der Krone (1972) sowie Perlen eines Rosenkranzes (1980) gibt es ein Wechselspiel von Klavier, Holzbläsern und Trompete zu hören. Natürlich dürfen auch hier die melodiösen, klangschönen Streicherpassagen nicht fehlen.
Das Booklet der Kilar-CD erreicht leider nicht ganz das Niveau der ehrgeizigen wie liebevollen Morgan/Stromberg-Aufnahmen für Marco Polo. Auf „nur“ drei Seiten werden eine kurze Biografie und kompakte Informationen zu den fünf Filmen und ihren Vertonungen geboten. Das ist zwar keinesfalls schlecht, entspricht aber eben nicht dem sonst bei Filmmusik-Aufnahmen erreichten (hohen) Standard. Darüber hinaus handelt es sich um überaus erfreuliche Einspielungen, denn die Original-CDs zu Der Tod und das Mädchen, König der letzten Tage sind längst vergriffen und Perlen in der Krone sowie Perlen eines Rosenkranzes ohnehin kleine Raritäten. Das Dirigat von Antoni Wit erweist sich zwar als grundsolide und keinesfalls übel, doch lässt es mitunter den Biss und die Präzision der Originale vermissen. Auch bei der Auswahl der Musiken hätte es sicherlich nicht geschadet, die ein oder andere Perle aus Kilars unterrepräsentiertem Schaffen für das polnische Kino in ausführlicher Form zu bergen. Alles in allem ist die Marco Polo-CD aber dennoch eine lohnenswerte Sache – vor allem für diejenigen, die Wojciech Kilar kennenlernen möchten.