
Die Luft ist heiß und etwas stickig an diesem Freitagabend in den Neumünsteraner Holstenhallen. Kein Wunder, wir haben Hochsommer und das bedeutet Festivalzeit. Das Schleswig-Holstein Musikfestival feiert in diesem Jahr sein vierzigjähriges Bestehen und hat im Jubiläumsprogramm deshalb einige Stars im Gepäck. Sting und Die Fantastischen Vier begeisterten im Juni bei den Open-Air-Konzerten auf dem Kieler Nordmarktsportfeld ihre Fans. Und Ende August spielt Anne-Sophie Mutter Werke von John Williams und Erich Wolfgang Korngold. Zunächst gab es aber Anfang des Monats ein Wiedersehen mit dem berühmten Zauberlehrling Harry Potter, der mit Filmkonzerten zu den ersten beiden Teilen bereits 2018 und 2023 auf der großen Leinwand zum Filmkonzert mit dem Festivalorchester einlud. Da lag es natürlich nahe, auch den dritten Teil mit Musik von John Williams aufzuführen. Eine gute Wahl. Denn dessen Komposition zu Harry Potter und der Gefangene von Askaban ist alles andere als eine typische Fortsetzungsmusik, die allein Altbekanntes aufwärmt. Das berühmte Hedwig-Thema ist kaum zu hören, auch die anderen Leitmotive der ersten beiden Filme glänzen fast komplett mit Abwesenheit. Stattdessen setzt der Altmeister auf neue Akzente: Wunderbar der an Rossini erinnernde Walzer, zu dem Harrys verhasste Tante Marge unfreiwillig in die Lüfte steigt, schillernd das hektisch-groovende Jazz-Stück für den „Fahrenden Ritter“, einen magischen Bus, der gestrandete Zauberer in den Straßen Londons aufliest. Zur Ankunft der Zauberschüler auf Hogwarts hat der Landesjugendchor seinen ersten großen Auftritt: Begleitet von mittelalterlichen Flötenklängen singen sie nach Shakespeare „Double Trouble […] Something wicked this way comes“ – ein furioser, unvergesslicher Choral. Der Chor tritt oftmals auch in den atmosphärischen Stücken auf, etwa wenn die furchteinflößenden Dementoren erscheinen. Charmanter ist da schon die kleine Episode im magischen Dorf Hogsmeade, für die Williams ein eigenes Chorstück komponiert hat, das reizvolle Weihnachtslied A Winter’s Spell. Für den Seidenschabel erklingt eine majestätisch-sehnsuchtsvolle Melodie im typischen Williams-Stil. Der findet sich auch in den Action-Passagen, in denen die Blechbläser oft Schwerstarbeit leisten müssen, wenn sie wie in The Whomping Willow in bester Star-Wars-Manier aufspielen. Und dann wird es wieder ganz leise: Das melancholische Spiel von Flöten und Harfe in A Window to the Past, das schließlich von einer herzergreifenden Streicher-Kantilene übernommen wird, spiegelt Harrys Sehnsucht nach einer richtigen Familie und seine Trauer über das Vergangene.
Für das Festivalorchester und den Chor erweist sich die Musik aufgrund ihrer ausufernden Stilvielfalt, die immer wieder andere Orchestergruppen und Solisten in den Vordergrund rückt, als wahrer Glücksfall. Sie dürfen hier alles spielen bzw. singen, von Big-Band-Jazz und Walzer über Choräle und Mittelalter-Folklore bis hin zum klassischen großorchestralem Hollywood-Sound zwischen eingängig-heroisch und modernistisch düster. Das bereitet großen Spaß, nicht zuletzt weil Ludwig Wicki das Orchester mit viel Verve dirigiert und das Publikum dadurch regelrecht mitreißt. Mitunter kommt das Konzept des Filmkonzertes dabei aber auch an seine Grenzen. Weil Williams in seiner Musik nämlich ein orchestrales Kabinettstück an das nächste reiht, spendiert das begeisterte Publikum dafür immer wieder wohlverdienten Szenenapplaus. Dadurch geht aber nicht nur mancher Dialog, sondern auch der ein oder andere subtile Moment der vielgestaltigen Partitur im Klatschen unter. Das ist schade und weckt bisweilen das Verlangen, die Musik einmal komplett ohne Dialog zu hören. Dieser Wunsch erfüllt sich so richtig erst ganz am Ende des Abends: Der zwölfminütige Abspann lässt noch einmal alle Highlights konzertant Revue passieren. Dieser Suite, die auf dem originalen Soundtrack-Album noch etwas redundant wirkte, fällt im Filmkonzert eine essenzielle Bedeutung zu – nicht nur, weil sie die Musik erstmals dialogfrei präsentiert, sondern auch, weil sie zugleich das mitreißende Filmkonzert zu einem runden, überzeugenden Abschluss führt. Die Menge in den Holstenhallen sieht das am Freitagabend ähnlich und feiert das Konzert mit minutenlangen Standing Ovations. Harry Potter und der Feuerkelch (dann aber mit Musik von Patrick Doyle) darf also gerne folgen.
Mehr zum Konzert:
„Harry Potter in Concert“: Landesjugendchor in Hogwarts-Stimmung (NDR)
WIZARDING WORLD and all related trademarks, characters, names, and indicia are © &
TM Warner Bros. Entertainment Inc. Publishing Rights © JKR.