Schon das Betreten der Holstenhallen in NeumĂŒnster lĂ€dt zum Staunen ein: Immer wieder ragen im Foyer rotgoldene Gryffindor-Schals, Nachwuchs-Harry Potters und sogar eine groĂartige Cosplay-Variante der gestrengen Lehrerin Minerva McGonagall (die in den Filmen von Maggie Smith gespielt wird) aus der Menge heraus: Man ahnt da als Besucher lĂ€ngst, dass das Filmkonzert zu Harry Potter und die Kammer des Schreckens (2002) im Rahmen des Schleswig-Holstein Musikfestivals kein Filmkonzert wie jedes andere sein wird. Und so fordert auch der britische Dirigent Timothy Henty zu Beginn sein Publikum mit einnehmenden Worten auf, bloĂ nicht leise zu sein, sondern lautstark mitzugehen, wenn Harry Potter und seine Freunde im zweiten Abenteuer versuchen, das Geheimnis um die mysteriöse Kammer, in der der Hogwarts-Legende nach eine furchterregende Kreatur lauern soll, zu lĂŒften. Sein Wunsch wird von den Fans erfĂŒllt. Es wird gelacht, gegrölt und applaudiert, wenn Harry, Hermine und Ron allen Gefahren trotzen und den fiesen Malfoys ein ums andere Mal mit Finesse eins auswischen oder entsprechend nach KrĂ€ften gebuht, wenn die Feinde besonders bösartige Intrigen aushecken. Den Film kennt im Saal ohnehin lĂ€ngst jeder. Deshalb steht der besondere Harry Potter-Event-Charakter im Vordergrund. Damit die Filmmusik von John Williams dabei nicht zum Nebendarsteller wird, tritt das Festivalorchester in besonders groĂer Besetzung auf. Das verleiht der Musik ĂŒberhöhte PrĂ€senz. Die Musiker kosten jeden orchestralen Effekt der von Williams virtuos orchestrierten Partitur aus. Jeder Paukenschlag hĂ€mmert sich in die GehörgĂ€nge, jedes dĂŒstere Crescendo in den Spannungsmomenten fĂ€hrt in Mark und Bein. Und die treibenden Fanfaren sowie das elegisch-triumphale Thema fĂŒr Fawkes den Phoenix, der Harry Potter im finalen Kampf gegen Tom Riddle hilft, euphorisieren geradezu. Dieses besondere Hervorheben der musikalischen Affekte, das durch den speziellen Hall im Saal noch verstĂ€rkt zu werden scheint und wenig mit der originalen Abmischung im Film zu tun hat, funktioniert erstaunlich gut. Es erweckt den Film zu neuem Leben, entreiĂt ihm den Sehgewohnheiten des heimischen Pantoffelkinos und verleiht ihm eine Dringlichkeit, die man der Fortsetzung, die eigentlich als etwas schwĂ€cher gilt, gar nicht mehr zugetraut hĂ€tte.
Das liegt natĂŒrlich auch an der IntegritĂ€t der Filmmusik von John Williams selbst, der fĂŒr die Fortsetzung ĂŒber zwei Stunden komponiert und dabei glĂŒcklicherweise nicht nur auf die Wirkmacht der Leitmotive des ersten Teils vertraut hat. Ein sinistres Thema fĂŒr die Kammer des Schreckens, das rhythmisch an einen Tango angelehnte Motiv fĂŒr den ĂŒberkandidelten Hochstapler Gilderoy Lockhart, ein drolliger Marsch fĂŒr den unseligen Hauselfen Dobby und eine Ă€therisch-spielerische Melodie fĂŒr die auf dem Schulklo hausende Myrtle (die in NeumĂŒnster in einer Bearbeitung ohne Chor auskommen muss) sind nur einige der neuen Themen, die zu hören sind und ĂŒber denen das betörende Fawkes-Thema als besonderes Highlight thront. Das exzellente Spiel des international zusammengesetzten Festivalorchesters, das vor allem in den BlĂ€sern ĂŒber zweieinhalb Stunden Schwerstarbeit leisten muss, setzt alle Details der Funken sprĂŒhenden Musik ins rechte Licht und rĂŒckt damit auch die weitverbreitete Wahrnehmung zurecht, nach der Chamber of Secrets musikalisch angeblich gegenĂŒber dem ersten Teil etwas abfĂ€llt. Davon kann kaum eine Rede sein. Es bereitet trotz der ausgelassenen Stimmung im Publikum einen RiesenspaĂ allen Finessen, Variationen und Entwicklungen der vielgestaltigen Vertonung zu folgen. Und spĂ€testens im zweiten Teil nach der Pause, wenn die Komposition in immer dĂŒstere Gefilde vordringt und den festlich-mĂ€rchenhaften Charakter endgĂŒltig hinter sich lĂ€sst, weist dies bereits in Richtung der abgrĂŒndigen Stimmung der spĂ€teren Potter-Filme. Da ist der ambitionierte dritte Teil stilistisch und atmosphĂ€risch gar nicht mehr fern. Die reizvolle, mit melancholischem Mittelalter-Flair durchzogene Williams-Musik zu Harry Potter and the Prisoner of Azkaban wĂ€re im Rahmen des Musikfestivals ohne Zweifel ein lohnendes Ereignis. Und wer weiĂ? Angesichts zweier ausverkaufter Vorstellungen mit tosendem Applaus erscheint ein Wiedersehen und -hören mit dem Zauberer und seinen Freunden gar nicht so abwegig. Und wandelt man das sympathische Motto des Festivalorchesters „Let’s make music as friends“ etwas ab, dann treffen sich ja vielleicht schon Musiker, Fans und Zauberer-Nachwuchs in nicht allzu ferner Zukunft wieder in NeumĂŒnster, um Harry Potter erneut als „Filmmusik unter Freunden“ zu feiern.