Big Hero 6, Henry Jackman – „Marvelisierter Anime“

Disney hat es mit der „Marvelisierung“ der Filmwelt augenscheinlich übertrieben. Nach unzähligen Kinofilmen und Serien scheint mittlerweile die Luft raus und bei vielen Fans ist Ermüdung eingekehrt. Entsprechend blieben die letzten Abenteuer innerhalb des sogenannten „Cinematic Universe“, zu dem auch die Avengers gehören, weit hinter den kommerziellen Erwartungen zurück. Die einstige Cashcow des Studios hat sich längst in ein Problemkind verwandelt. Und ob es dem Konzern in den nächsten Jahren gelingen wird, dem Franchise wieder frischen Wind einzuhauchen, steht in den Sternen. Blickt man knapp ein Jahrzehnt zurück, dann zeigt der damals noch extrem positiv aufgenommene und sogar mit dem Oscar prämierte Animationsfilm Baymax (Big Hero 6) von 2014 bereits, was beim Konzern in kreativer Hinsicht schiefläuft. Denn aus heutiger Sicht ist er ziemlich schlecht gealtert. Mitte der 10er-Jahre war die Idee, auf der Erfolgswelle von Avengers & Co. einen Superhelden-Plot als Animationsfilm zu erzählen, noch einigermaßen frisch (wenngleich Pixar mit The Incredibles zehn Jahre zuvor schon eine ähnliche Idee verfolgt hatte). Da bekamen auch jüngere Kinder ihren altersgerechten Pixel-Superhelden.

Der aufblasbare Medizin-Roboter Baymax wirkte knuffig und der Plot konnte noch mit seiner berührenden, kindgerechten Aufbereitung von Trauerarbeit punkten. Unzählige Superhelden-Abenteuer später fällt die inzwischen eingekehrte Übersättigung allerdings selbst auf Baymax negativ zurück. Was damals noch originell anmutete, wirkt inzwischen dank unzähliger ähnlicher Plots fade und lenkt damit den Fokus auf die grundlegenden Schwächen der Produktion wie z.B. die selbst für einen Kinderfilm hoffnungslos überzeichnete Hauptfigur: Hiro – ein super-smartes Kind kann bereits zu Beginn der Handlung alles besser als die Anderen, muss im Hinblick auf Robotik nichts mehr lernen und schüttelt in den Sommerferien mit den „Microbots“ mal eben eine bahnbrechende Robotik-Erfindung aus dem Ärmel. Hiros Fähigkeiten, so scheint es, werden allein von den Notwendigkeiten des Drehbuchs bestimmt. Und immer wenn das in einem Film so ist, ist das dem Spannungsaufbau nicht gerade zuträglich.

Diese Oberflächlichkeit zieht sich durch das gesamte Projekt. Zwar zeugen die mitunter fast schon fotorealistisch anmutenden Bilder des japanisierten San Fransokyo von einem Disney-typisch hohen Produktions-Niveau. Doch bei aller visuellen Brillanz ist bemerkenswert, wie selten der Film dabei wirklich zum Staunen einlädt. Das hat auch mit der schlichten Filmmusik von Henry Jackman zu tun, die die Handlung auf routinierte filmdienliche Weise nachzeichnet, etwa mit verspielter Elektronik die Experimente in der Nerd School begleitet und sich zu orchestralem Pomp mit Fanfaren aufschwingt, immer dann, wenn der Film das verlangt. Doch das geht nie über den funktionalen Zweck hinaus. Kein einziges Thema oder Motiv bleibt hängen, keine Idee zündet. Der freundlich-optimistische Grundton bleibt reine Oberflächenfassade. Jackman schafft es zu keinem Zeitpunkt, einen tiefergehenden Bezug zu den Figuren oder zu der Handlung herzustellen. Entsprechend stereotyp vertont er die Spannungssequenzen: Es ist ein geschäftiges, kompetent in Szene gesetztes Treiben, in denen Spannungsmotive, elektronische Rhythmik, Fanfaren und Mickey Mousing-Effekte einander abwechseln. Das ist gar nicht einmal schlecht gemacht. Doch wie so oft fehlt bei Jackman das gewisse Etwas, das dem Film eine besondere musikalische Identität verleihen könnte. So hoch das Produktions-Niveau auch ist: Am Ende bleibt Baymax symptomatisch für die kommerzielle Beliebigkeit von Disney im Marvel-Zeitalter und nimmt damit gewissermaßen bereits alle Probleme vorweg, die Disney in der jüngsten Vergangenheit ins Straucheln gebracht haben.

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