Le Dep (Kanada 2015)
Es gibt Filme, bei denen jedes zu viel über die Handlung verlorene Wort den Spaß beim Sehen verderben würde. Der mit kleinem Budget inszenierte kanadische Thriller Le Dep ist ein solcher. Dabei ist die Grundkonstellation der Handlung zunächst einmal alles andere als neuartig: Im Mittelpunkt steht die junge Lydia, die im Lebensmittelgeschäft ihres Vaters unerwartet eine Nachtschicht übernehmen muss. Ein maskierter Crack-Süchtiger überfällt den abseits gelegenen Laden. Von da an beginnt ein raffiniert konstruiertes Katz-und-Maus-Spiel, welches die Erwartungen der Zuschauer geschickt unterwandert.
Sonia Bonspille Boileau hat ihren ersten Kinofilm mit einfachen Mitteln in nur wenigen Drehtagen realisiert. Das kammerspielartige Setting mag vielleicht auch ein wenig aus der Not des geringen Budgets geboren sein, ist aber der klaustrophobischen Atmosphäre umso zuträglicher. Le Dep ist deshalb hochspannend, weil er allen üblichen Genrekonventionen und Schwarz-Weiß-Schemata zuwiderläuft. Der Zuschauer kann sich hier nie ganz auf der sicheren Seite wähnen. Und genau das macht aus Le Dep einen ungemein packenden Thriller.
Ma Folie (Östereich 2015)
Ähnlich nervenzerrend wie Le Dep ist auch der Psychothriller Ma Folie aus Österreich geraten. Im Film vom Andrina Mracnikar geht es um die junge Hanna, die in Paris den attraktiven Yann kennenlernt. Die beiden erleben eine leidenschaftliche Liebesbeziehung. Erst zurück in Wien kommt Yanns extreme Eifersucht zum Vorschein. Aus Liebe wird Hass. Als klassischer Stalker macht Yann Hannas das Leben fortan zur Hölle auf Erden.
Ma Folie ist ein perfider Paranoia-Thriller, der seiner Hauptfigur (exzellent: Alice Dwyer) nach und nach immer mehr den Boden unter den Füßen wegzieht. Ab einem gewissen Zeitpunkt im Fortgang der Handlung verschwimmen die Grenzen zwischen realer und (möglicherweise?) eingebildeter Bedrohung allerdings zusehends. So ist am Ende längst nicht mehr klar, auf wen sich die titelgebende „Folie – Verrücktheit“ tatsächlich bezieht. Den Stalker oder Hanna, die sich in einem Zustand der ständigen Bedrohung wähnt. Dass sich Ma Folie einer eindeutigen Zuordnung verweigert, macht den besonderen Reiz des Filmes aus.
Ephraim und das Lamm (Äthiopien 2015)
Einer der Favoriten im diesjährigen Wettbewerb um den Publikumspreis kommt aus Äthiopien. In Ephraim und das Lamm muss ein kleiner Junge mit seinem Vater aufgrund der großen Dürre die Heimat verlassen. Sein treuer Weggefährte auf der Reise ist ein braunes Lamm. Junge und Tier sind unzertrennlich. Als sein Vater das Kind bei Verwandten lässt, um in Addis Abeba sein Glück zu suchen, muss Ephraim in fremder Umgebung bestehen. Als auch noch das Lamm zum Opferfest geschlachtet werden soll, will Ephraim fliehen.
Wunderschön in farbgesättigten Bildern fotografiert, vertraut das Filmdrama von Yared Zelek nicht zuletzt auf die Wirkung des Zusammenspiels von Junge und Tier. Wenn das Lamm unterwegs auf dem Dach eines Busses verstaut wird oder den Jungen wie ein Hund an der Leine auf Schritt und Tritt begleitet, hat das durchaus entwaffnenden Charme. Doch diese Niedlichkeit ist zweifellos auch wohlkalkuliert. Dass das Kind sein Lamm auch noch in Zeiten tiefster Hungersnot behalten darf, entwirft ein Äthiopienbild, das in seiner romantischen Verklärung nicht unproblematisch ist. Wenn Ephraim am Ende seinem Talent entsprechend die Familie bekocht, ist der Kitsch vollends perfekt: Ephraim und das Lamm wird quasi zu „I will dance“ in der Äthiopien-Variante: „I will cook“ sozusagen.