Anne-Sophie Mutter spielt John Williams in Neumünster: „Im Bann der Filmmusik“

Erich Wolfgang Korngold gilt als einer der Gründerväter der klassischen Kinosinfonik, wie wir sie heute kennen. 1938 emigrierte der Österreicher, weil er Jude war, nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in die USA. Die Karriere des einst als Wunderkind gefeierten klassischen Komponisten wurde brachial gestoppt. Der Rest ist Geschichte. Denn der Österreicher sollte in den USA als großer Filmmusikkomponist in die Annalen der Kinogeschichte eingehen. Zu seinen schönsten Tonschöpfungen gehört zweifellos die zu Herr der Sieben Meere von 1940, einem der großen Abenteuerfilme mit Errol Flynn in der Hauptrolle, inszeniert von Casablanca-Regisseur Michael Curtiz. Und so macht es auch Sinn, dass das Royal Philharmonic Orchestra unter der Leitung von Vasily Petrenko zunächst eine dreiteilige Suite aus dem mitreißenden „Swashbuckler“ um den Freibeuter Geoffrey Thorpe präsentiert. Korngolds Musik schäumt über vor spätromantischer Klangpracht, begeistert mit ihrem fulminanten Hauptthema ebenso wie mit dem typischen, streicherseligen Schmelz des Golden Age, dessen Wiener Wurzeln unverkennbar sind. Es ist der perfekte Auftakt für einen ganz besonderen Konzertabend. Denn John Williams selbst hat 1977 mit Star Wars eine Renaissance der klassischen Kinosinfonik eingeläutet. Geradezu legendär ist die Ähnlichkeit der ersten Takte des Hauptthemas mit Korngolds Overtüre aus Kings Row von 1942 – eine liebevolle Hommage & Bezugnahme.

Dass John Williams aber auch anders kann, beweist in Neumünster sein zweites Violinkonzert, welches er im Alter von 90 Jahren Anne-Sophie Mutter auf den Leib geschrieben hat. Das viersätzige Werk erweist sich als genauso sperrig wie schillernd und stellt zugleich höchste Ansprüche an die Solistin. Anders als in den meisten seiner Filmmusiken gibt es hier keine ausladenden Melodiebögen, keine heroischen Fanfaren oder Märsche. Immer wenn man vermeint, um die Ecke würde eines der unverwechselbaren Themen lauern, verweigert sich Williams dieser Erwartungserwartung. Dennoch glaubt man immer wieder, Elemente einer seiner moderneren Filmmusiken wiederzuerkennen, sei es A.I., Minority Report oder Nixon. Es ist der Schatten seiner langen Hollywood-Karriere, der auf diesem Werk zu liegen scheint – als Erinnerung, Inspiration und vielleicht auch Bürde. Harfe und Violine gehen immer wieder ein Duett ein, im Hintergrund schafft das Orchester transparente Klangfarben, in denen sehr unterschiedliche Percussioninstrumente von Glockenspiel und Marimba bis hin zur Celesta zum Einsatz kommen. Auch wenn das Orchester, begleitet von Paukenschlägen, manchmal aufbraust, stehen die zarten Klänge im Vordergrund. Das Scheinwerferlicht liegt eindeutig auf der virtuosen Solistin Anne-Sophie Mutter, auf die Williams das Konzert komplett zugeschnitten hat. Auch in Neumünster schlägt ihr beeindruckendes Spiel in den Bann und das Publikum folgt aufmerksam jeder subtilen Wendung dieser so sehnsuchtsvoll-suchenden Komposition, die bei aller Abstraktheit im vierten Satz einen versöhnlichen Abschluss findet.

Doch die mittlerweile zehn Jahre andauernde Freundschaft zwischen Williams und Mutter gründet sich natürlich vor allem auf der Filmmusik. Williams hat mittlerweile eine ganze Reihe seiner Hauptthemen für Solovioline arrangiert. In Neumünster spielt Mutter gleich mehrere davon: Anakins Theme (aus The Phantom Menace), das luftige Scherzo für Motorcycle und Violine aus dem dritten Indiana-Jones-Film, das schwelgerisch-romanische Helenas Theme aus dem fünften, landläufig unterschätzten Indiana Jones and the Dial of Destiny. Und natürlich darf auch das märchenhafte Hedwig-Thema aus Harry Potter nicht fehlen. Neben diesen populären Hits ist im geschickt konzipierten Programm aber immer wieder auch Platz für weniger Bekanntes: etwa das jazzige Hauptthema aus Zapfenstreich oder das irrwitzige The Duel aus Spielbergs leider gefloppten Tim und Struppi-Verfilmung. Unterbrochen wird der Reigen der mitreißenden Filmthemen nur von der Suite aus Schostakovichs Hornisse, einer nicht minder kraftvollen und elegischen Filmmusik, die vielleicht die schönste und eingängigste des russischen Komponisten ist.

So fließen die traumhaften Melodien durch die Neumünsteraner Holstenhallen, in der Anmoderation augenzwinkernd als „Royal Albert Hall des Nordens“ genannt. Vasily Petrenko dirigiert zupackend und scheint die Musik ebenso zu genießen wie das begeisterte Publikum. Am Ende des (mit Pause) rund dreistündigen Konzerts erklingt als erste Zugabe das Hauptthema aus Schindlers Liste, das Anne-Sophie Mutter als „Gebet für den Frieden“ allen Opfern von Krieg und Gewalt widmet. Ein berührender Gänsehautmoment, der zugleich den Bogen zu dem einst vor den Nazis geflohenen Erich Wolfgang Korngold spannt. Ohne ihn und andere Zeitgenossen (wie Max Steiner) wäre der klassische Hollywood-Sound undenkbar. Und dazu gehört auch das unvergängliche Hauptthema aus Star Wars – Krieg der Sterne (1977), mit dem Petrenko und das Royal Philharmonic Orchestra den glanzvollen Konzertabend als letzte Zugabe beschließen.

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