The Imitation Game – Alexandre Desplat

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Der Moment großer Inspiration, der Akt des Denkens und Ideenfindung lässt sich mit Bildern kaum oder nur ungenügend verdeutlichen. Das gilt zwangsläufig auch für das preisgekrönte Biopic The Imitation Game über den Mathematiker Alan Turing (Benedict Cumberbatch), der den Briten während des zweiten Weltkriegs half, die Chriffier-Codes der deutschen Enigma-Maschine zu entschlüsseln und zudem als Wegbereiter für die Erfindung des Computers gilt. So fällt der Filmmusik eine besondere Bedeutung zu: Sie muss das Unsichtbare hörbar machen: Um das Arbeiten von Alan Turings Verstand zu illustrieren, ließ Alexandre Desplat deshalb neben einer kleinen Orchesterbesetzung bis zu fünf Klaviere gleichzeitig spielen: mal exakte Arpeggios und Skalen, manchmal  aber auch zufällige Tonfolgen, die auf von Desplat vorgegebenen Akkorden basieren.

Die so entstehende Rhythmik lässt Raum für vielfältige Assoziationen:  Man mag nicht nur an die schnellen Gedankenläufe und Berechnungen in Turings Gehirn denken, sondern auch an die klackernden Anschläge einer Schreibmaschine oder in den immer komplexer werdenden, sich verzahnenden Rhythmen an die Mechanik der Dechiffrier-Maschine selbst. Manchmal imitiert die Musik mit einfachen Motiven auch die fiependen Geräusche früher Computer oder erinnern die Klavier-Anschläge an die Signale eines Morsegerätes. So fiepst, klackert und pulsiert es im Hintergrund, dass es eine wahre Freude ist. Diese bildhaften Effekte werden von dem zum Teil künstlichen Klangbild unterstützt: Desplat verwendet neben Celesta und elektrischem Piano bewusst keine echten Klaviere, sondern allein Samples aus der Musik-Bibliothek von Apiary, die auf bis zu vier Spuren gemixt wurden.

Benedict Cumberbatch als Alan Turing
©The Weinstein Company

Für den musikalischen Blick in den Kopf eines mathematischen Genies gelingt ihm damit ein effektvolles Sinnbild. Es liegt in der Natur der Sache, dass eine Filmbiografie wie The Imitation Game, die sich an ein breites Publikum wendet, keinen tiefergehenden wissenschaftlichen Diskurs anbieten kann. Und so muss die Filmmusik auf der Tonebene spiegeln, was die Bilder bewusst nicht zeigen können oder wollen. Es geht in erster Linie darum, ein Gefühl dafür vermitteln, was im Inneren von Köpfen und Maschinen vor sich geht. Doch bei allen technischen Spielereien und Desplat-typischen Minimalismen mit ihren „in sich kreisenden“ Rhythmus-Motiven bleibt die Musik dennoch auffallend zurückhaltend, fast introvertiert. Es brodelt unter der Oberfläche – ein Verweis nicht nur auf die streng geheime Arbeit der Wissenschaftler, sondern natürlich auch auf Turings unterdrückte Sexualität.

Zwei starke Themen halten die Komposition zusammen: Ein Dringlichkeit und Dramatik vermittelndes Hauptthema, das vorwiegend in den Streichern erklingt, schmeichelt sich umgehend ins Ohr. Dazu ein intimes, die Einsamkeit Turings hervorhebendes Klavierthema, für eine tragisch verlaufene Jugendliebe (Alone with Numbers/Farewell to Christopher). In Summe entsteht so eine gediegene, geschickt die Handlung unterstützende Vertonung. Wie in der ein Jahr später entstandenen Desplat-Vertonung zu The Danish Girl ist dies allerdings nicht immer völlig unproblematisch. Auch The Imitation Game nimmt sich allzu viele Freiheiten zur belegten Historie, verzerrt das Bild Turings – mit kräftiger Unterstützung der Tonspur – immer wieder zugunsten einer Hollywood-tauglichen Spannungsdramaturgie.

So wie der Film vielschichtige Zusammenhänge zuspitzt und glättet, bleibt auch die Musik stets dem naheliegenden und einfachen audiovisuellen Effekt verhaftet. Brüche oder gar Widersprüchliches lässt der Ansatz nicht zu. Der Film und seine Musik wirken zwar im positiven Sinne homogen. Doch ganz kann man als Zuschauer nicht den Eindruck abschütteln, dass sich die Macher hier etwas zu sehr im gelackten Erzählkino gemütlich machen. So tickt The Imitation Game im Prinzip wie ein gut geöltes Schweizer Uhrwerk: Durchaus kompetent inszeniert und exzellent gespielt, aber auch ohne den rechten Mut, mal etwas abseits bewährter Erzählmuster zu riskieren. Gleiches gilt für Desplats grundsolide Vertonung. Sie darf oder mag sich nicht über die kreuzbrave Erzählhaltung hinwegsetzen. Und so verpasst sie genau jene Inspiration, die Turing zeitlebens auszeichnete: Die simple Freude daran, zu experimentieren und Neues zu erschaffen.

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