Mank – Trent Reznor & Atticus Ross: „Neu ist nicht gleich alt“

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In David Finchers Schwarz-Weiß-Film Mank wird von vielen Dingen erzählt: Vom goldenen Zeitalter Hollywoods in den 30ern, von Neurosen und Feindschaften, sowie den gesellschaftlichen Umbrüchen, die das Jahrzehnt kennzeichneten. Dreh- und Angelpunkt der Handlung ist die Entstehung des Drehbuchs zu Orson Welles Citizen Kane (1941), für dessen Fertigstellung sich der alkoholkranke Herman „Mank“ Mankiewicz (Gary Oldman) nach einem Autounfall auf ein abgelegenes Anwesen am Rande der Mojave-Wüste zurückzieht. Aus dem Bett heraus diktiert er seiner Sekretärin Dialogzeile um Dialogzeile. Doch ohne Alkohol will die Inspiration nicht fließen. Mank erinnert sich deshalb zurück an das Hollywood der frühen 30er mit seinem Studiosystem: In Rückblenden erleben wir ein kleines Who is Who der ersten Jahre des amerikanischen Tonfilms: die Produzenten Louis B. Mayer (dem das zweite M in MGM gehört), Irving Thalberg und David O. Selznick (Vom Winde verweht), den Medienmogul William Hearst, der für Citizen Kane als kaum geleugnetes Vorbild diente. Dazu erhalten Regisseure wie Josef von Sternberg (Der blaue Engel) oder eben Orson Welles, der aus der Ferne Manks Fortschritt begleitet, kleine Auftritte. Mankiewicz selbst, großartig verkörpert von Gary Oldman (der aber eigentlich viel zu alt ist für die Rolle) wird dabei zum Hofnarr im frühen Hollywood, der als Außenseiter das Zeitgeschehen mit amüsanten und treffsicheren Bonmots kommentiert.

Anekdotenreich und perfekt getrickst fängt Fincher die Stimmung jener Zeit ein. Formal orientiert sich Mank dabei am kollagenartigen Stil von Citizen Kane. Auch hier sind es viele Einzelepisoden, die kaleidoskopartig unser Bild von dieser Zeit formen sollen. Da zeigen sich unmittelbar die Nachwehen der Weltwirtschaftskrise von 1929: Der zynische MGM-Macher Mayer tritt vor seine Angestellte, fordert sie in einer flammenden Rede dazu auf, auf die Hälfte ihres Gehalts zu verzichten: Nur so habe das Studio eine Chance zu überleben. Bei einem edlen Bankett-Dinner diskutiert die Hollywood-Prominenz die Machtergreifung Hitlers und ist sich dabei alles andere als einig, wie ernst die Entwicklung in Deutschland wirklich zu nehmen ist. Ein anderer, überraschend ausführlicher Handlungsstrang beschäftigt sich mit dem Schriftsteller und demokratischen Politiker Upton Sinclair, der bei den Gouverneurswahlen 1934 von Hearst in seinen Zeitungen als Kommunist verunglimpft wurde und deshalb – zum Unmut Manks – die Wahl verlor. Für das Drehbuch (geschrieben in den frühen 90er Jahren von David Finchers inzwischen verstorbenem Vater Jack Fincher) ist das die wesentliche Triebfeder, die Mankiewicz schließlich zum Schreiben von Citizen Kane inspirierte.

Doch Finchers Film ist leider auch einer, der vieles gar nicht und einiges grob verfälschend erzählt. Für einen Film über die Entstehung von Citizen Kane spielen Film und Filmgeschichte etwa eine überraschend untergeordnete Rolle. Nicht eine einzige Szene beschäftigt sich damit, wie sich Orson Welles und Mank kennengelernt und die Grundidee für das Projekt entwickelt haben. Stattdessen verliert sich das geschwätzige Drehbuch immer wieder in Klatsch und Tratsch aus der Zeit. Es tut dies in einer Detailverliebtheit, die sich an Cineasten richtet, die in der Lage sind, die komplexen Figurenkonstellationen im Studiosystem der 30er Jahre einzuordnen. Doch genau die werden – und das irritiert – von den zahllosen historischen Ungenauigkeiten enttäuscht. Denn davon gibt es viele: So gilt inzwischen als gesichert, dass Welles und Mankiewicz das Drehbuch gemeinsam geschrieben haben. Darüber hinaus war Mankiewicz keinesfalls ein so liberaler Geist, wie es der Film vermitteln möchte. Belegt ist vielmehr, dass er sich gegen Gewerkschaften und Kommunismus ausgesprochen hat. Wenn auch zu dem konkreten Fall von Sinclair nichts überliefert ist – erscheint es eher als unwahrscheinlich, dass er tatsächlich mit dem Politiker sympathisiert hätte. Zudem waren Hearst und Mankiewicz alles andere als Feinde. Noch Jahre nach der Entstehung von Citizen Kane hat sich Mankiewicz positiv über Hearst geäußert. Und damit fällt die zentrale Argumentationskette des Filmes wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Zum richtigen Eigentor wird es, wenn der Film einerseits die von Hearst initiierte Verleumdungskampagne gegen Sinclair mit ihren „Fake News“ kritisiert, andererseits aber selbst nach Lust und Laune historische Fakten verdreht.

Natürlich ist Mank keine Dokumentation und darf sich die künstlerische Freiheit nehmen, eine eigene Interpretation der Geschichte zu entwerfen. Doch welchen Sinn hat es, sich derart umständlich und akribisch in einem Zeitporträt zu verlieren, dem Publikum sogar erhebliche cineastische Vorkenntnisse abzuverlangen, wenn dann die Details nicht stimmen? Diesen Vorwurf muss sich Fincher gefallen lassen. Eine Szene in der ersten Hälfte zeigt das Problem in besonders entlarvender Weise: Mank besucht den Set eines Western-Drehs, bei dem Marion Davies, die Geliebte von Hearst, in einer bizarren Szenerie gerade am Marterpfahl schmort. Geschenkt, dass Davies in diesen Jahren überhaupt keine Western gedreht hat und die eigentliche Blütezeit des Genres erst in den 40er Jahren begann. Schlimmer wiegt der abschätzige Blick auf das Kino der 30er, der stellvertretend einen kaum repräsentativen Ausschnitt wählt. Wie wenig sich David Fincher für Citizen Kane interessiert, belegt auch ein anderer Umstand: Nach eigener Aussage, sollte Mank optisch wie ein vergessener und nun wiederentdeckter Film aus der Zeit aussehen. Diese Aussage ist insofern albern, als das Scope-Format, in dem Mank gedreht ist, erst 1953 bei The Robe zum ersten Mal Verwendung fand. Und auch die in der Postproduktion absichtlich eingefügten Schmutzpartikel, Akt-Markierungen und die bewusst mit Hall versehenen Dialoge können die Fincher-typische digitale Perfektion kaum verdecken. Durch die digitale Nachbearbeitung wirkt die Schwarz-Weiß-Ästhetik derart künstlich, dass es kein Vertun gibt: Mank ist eindeutig ein Film von 2021 und sieht entsprechend aus.

Bemerkenswert ist auch der Blick auf die Filmmusik von Trent Reznor & Atticus Ross. Das Duo, das 2010 durch die oscar-prämierte Arbeit zu Finchers The Social Network bekannt wurde, erfindet sich in Mank ein Stück weit neu, denn die Musik hat wenig mit den elektronischen Klangwelten ihrer bisherigen Arbeiten zu tun. Gleich die Overtüre lehnt sich mit seiner orchestralen Tonsprache direkt an Bernard Herrmann an, präsentiert ein düsteres Motiv, welches ein wenig an die Titelmusik aus Babylon Berlin erinnert. Es ist ein prägnanter thematischer Einfall, der Erwartungen an eine konzentrierte Komposition im Stile des Vorbilds weckt. Dass diese Erwartungen im Anschluss nur bedingt erfüllt werden, liegt vor allem an der episodenhaften Vorlage, die kaum Raum für musikalische Entwicklung bietet. So bleibt die Musik im Film auch eher unauffällig im Hintergrund – ganz im Gegensatz zur charismatischen und stilbildenden Musik, die Herrmann seinerzeit für Kane schuf. Losgelöst von den Bildern werden allerdings mehr musikalische Details hörbar, präsentiert sich eine hübsche Revue unterschiedlicher Stilrichtungen, die dem wechselhaften Gestus des Filmes Rechnung tragen. Hier mischt das Duo Bigband-Jazz mit Foxtrott (reizvoll der Einsatz der Schreibmaschine in „A Fool’s Paradise“), aber auch atmosphärische, perkussiv geprägte Stücke sind zu hören. Und natürlich gibt es immer wieder auch die überdeutlichen Stil-Anleihen bei Bernard Herrmann, der als Vorbild omnipräsent bleibt.

Es erstaunt dabei, in welchem Gegensatz die Filmmusik zum sonstigen Werk von Trent Reznor & Atticuss Ross steht. Das mag mit den vielen Helfern zu tun haben, die dazu beigetragen haben, die Vertonung zu stemmen: In allererster Front ist da Conrad Pope zu nennen, der orchestriert und dirigiert hat. Es ist schon erstaunlich, wie perfekt Pope, der bereits bei vielen Filmmusiken von John Williams als Orchestrator fungierte, in Stücken wie „I, Governor of California“ oder „The Organ Grinder’s Monkey“ das Suspense-Idiom Herrmanns einfängt und dabei auch die lyrische Seite des großen Komponisten in „All This Time (Happily Ever After)“ nicht vergisst. Reduziert man die Musik allein auf diese düster-abgründigen Suspense-Stücke, erhält man eine überraschend stimmige und hörenswerte Herrmann-Hommage. Es liegt in der Natur der Sache, dass die nicht-orchestralen Anteilen dazu einen scharfen Kontrast bilden, zumal es auch keine motivischen Verbindungspunkte gibt. Freilich hatten Reznor & Ross auch hier Unterstützung: Dan Higgins zeichnete für die Bigband- und Tim Gill für die Foxtrott-Arrangements verantwortlich. Besonders gelungen ist der propulsive Bigband-Jazz, der das quirlige Treiben auf dem Gelände der MGM-Studios in lebendige musikalische Bilder fasst.

Natürlich mag man sich bei so viel Fremdhilfe fragen, wie groß der kreative Input von Reznor & Ross tatsächlich gewesen ist. Und das wurde in Filmmusik-Foren auch bereits heiß diskutiert. Letztlich ist die Antwort auf diese Frage aber unerheblich, denn allein das Endresultat zählt. Und das kann sich hören lassen: Die Filmmusik zu Mank ist ein äußerst kompetent ausgeführtes Pastiche, charismatisch und mit vielen guten Ideen. Einziger großer Schwachpunkt: Die Musik zerfasert im ständigen Wechsel von Jazz, Unterhaltungsmusik und den Herrmannesken Spannungspassagen. Das fällt umso mehr ins Gewicht, als dass die Musik lang ist. Allein die auf den Streaming-Plattformen veröffentlichte Fassung bietet über 90 Minuten Musik. Eine zweite erweiterte Version mit vielen Demo-Stücken umfasst sogar dreieinhalb Stunden. Dieses Sendungs-Bewusstsein scheint eine Macke des Komponisten-Duos zu sein, man denke nur an die knapp dreistündige Musik-Veröffentlichung zu The Girl with the Dragon Tattoo (2011). Weniger wäre wohl auch hier mehr gewesen. Ohne eigens erstellte Wiedergabeliste geht es deshalb auch im Fall von Mank kaum. Doch die Mühe lohnt sich: Anders als die durchwachsene filmische Vorlage ist die Musik eine positive Überraschung, wie sie in dieser Form wohl kaum einer Trent Reznor & Atticus Ross zugetraut hätte.


Quellen:

Facts vs. Truth: How David Fincher’s ‘Mank’ Approaches the Competing Histories of Hollywood’s Golden Age

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