Ennio Morricone – Der Maestro

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„Wenn man beim Mischen eines Filmes kein Gleichgewicht erzielt, dann beschädigt das den Film. Die Musik ist ein zusätzliches abstraktes Element, das der Film nicht unbedingt benötigt. Aber wenn man sie hören will, muss man ihr Freiheit lassen.“ – Ennio Morricone (1928–2020)

Ennio Morricone – wer denkt da nicht an die bitter-süße Kinomagie der Western von Sergio Leone, an große Filmmusiken wie Spiel mir das Lied vom Tod und The Mission oder einfach einen unverzichtbaren cineastischen Wegbegleiter über viele Jahrzehnte, der zahllosen Filmen auf der Tonspur seinen unnachahmlichen Stempel aufgedrückt hat? Doch wer hinter den glanzvollen Namen des legendären Filmmusikkomponisten blickt, entdeckt die Geschichte eines bescheidenen, geradezu demütigen Mannes. Und dem hat Giuseppe Tornatore in seinem Dokumentarfilm Ennio Morricone – Der Maestro nun ein eindrucksvolles Denkmal gesetzt. Gleich die erste Szene begleitet den gealterten Maestro an einem ganz normalen Arbeitstag in seiner Wohnung in Rom: nach dem Aufstehen ein paar Fitnessübungen. Danach geht es direkt an den schlichten Schreibtisch an die Partitur. Mit dem Bleistift neue Musik komponieren. Mit eiserner Arbeitsdisziplin und der Routine vieler Jahrzehnte und hunderter Filmmusiken im Rücken. Das ist ein Alltag, der mit den Illusionen der Traumfabrik – das ahnt man schnell – nur wenig zu tun hat. Und so weckt der Einstieg beim Zuschauer zwangsläufig die Neugierde, mehr über das Leben dieses außergewöhnlichen Mannes zu erfahren, dessen berühmte Werke jeder schon einmal gehört hat, über dessen Entstehungsumstände die meisten aber nur wenig wissen.

Morricone hat zehn Filme von Giuseppe Tornatore vertont, einige davon wie Cinema Paradiso oder Die Legende vom Ozeanpianisten haben selbst Filmgeschichte geschrieben. Über die langjährige Zusammenarbeit entstand eine Freundschaft und Verbundenheit, die sich für Tornatores Dokumentation als Glücksfall erweist, denn Morricone gestattet dem Regisseur ungewöhnlich intime Einblicke in sein Leben. Furios bereits der Blick in das mit Büchern, CDs und allerhand Materialien bis unter die Decke vollgestopfte Arbeitszimmer, das allein schon eine Lebensgeschichte zu erzählen scheint. Und dann beginnt Morricone zu erzählen: Von seiner Kindheit, dem Wunsch Arzt zu werden, der jedoch vom strengen Vater überstimmt wurde, der befahl, dass sein Sohn wie er Trompeter wird, um später die Familie ernähren zu können. Von seinen beschwerlichen Jahren am Konservatorium Santa Cecilia, in denen er nachts den kranken Vater bei Auftritten vertreten musste. Und wie er deshalb notgedrungen mit blutiger Lippe völlig übermüdet zur Abschlussprüfung erschien, diese aber dennoch bestand. Im Anschluss studierte Morricone unter dem italienischen Komponisten Goffredo Petrassi Komposition. Eine schicksalshafte Begegnung. Denn für viele Jahrzehnte sollte sich Morricone angesichts des anspruchsvollen Lehrers minderwertig fühlen, weil er statt absoluter Musik „nur“ Filmmusik schrieb – eine Tätigkeit, die ihm anfangs einem Verrat gleichkam.

Dabei hatte er kaum eine andere Wahl. Denn nach erfolgreichem Studium blieb Morricone eine Karriere als klassischer Komponist zunächst versagt. Er hielt sich mit Orchester- und Schlager-Arrangements gerade so über Wasser, bis ihm schließlich ein paar revolutionäre, effektvoll mit Geräuscheffekten angereicherte Song-Instrumentierungen für das Label RCA Anfang der 60er-Jahre den Durchbruch brachten. Über die Song-Arrangements kam er 1961 zu seiner ersten Filmmusik für die Kriegskomödie Il Federale. Erste Western folgten. Morricone arbeite zunächst – weil niemand davon wissen sollte – unter dem Pseudonym Don Savio. Doch es waren genau diese Filme, die Sergio Leone auf ihn aufmerksam werden ließen. Der Rest ist mit der berühmten Dollar-Trilogie und Spiel mir das Lied vom Tod ein großes Stück Filmgeschichte. Tornatore entlockt Morricone wunderbare Anekdoten, wie einzelne Musikstücke und Ideen entstanden. Der Maestro summt, singt, dirigiert und gestikuliert und lässt so seine großen Klassiker Revue passieren, darunter auch Gillo Pontecorvos Schlacht um Algier oder Pasolinis Große Vögel, kleine Vögel (beide 1966), bei dem Morricone die Namen im Vorspann als Reim singen ließ.

Die große Stärke der Dokumentation ist, dass Tornatore diesen vielen kleinen Episoden und auch manchem weniger bekannten Film erstaunlich viel Raum gibt. So entwickelt sich aus dem raffiniert montierten Kaleidoskop von Erinnerungen und Anekdoten nicht nur das vielschichtige Porträt eines großen Komponisten, sondern ganz beiläufig auch ein faszinierender Streifzug durch das europäische Kino der letzten Jahrzehnte. Weil glücklicherweise nicht nur die großen Morricone-Klassiker à là Once Upon a Time in America oder The Mission erklingen, wird ganz automatisch die Neugierde auf viele der seltener gezeigten Filme und ihre Musiken geweckt.

Natürlich dürfen auch die Stimmen prominenter Gäste nicht fehlen: Zu Wort kommen aber nicht nur Stars wie Clint Eastwood, Quentin Tarantino oder berühmte Kollegen wie John Williams, Hans Zimmer, oder Nicola Piovani, sondern auch weniger bekannte Wegbegleiter, die immer wieder die Bedeutung Morricones hervorheben. Mit den Lobeshymnen mag es Tornatore mit Szenen von Preis-Verleihungen und Konzertauftritten am Ende vielleicht etwas übertreiben. Andererseits gelingt es ihm, auf berührende und eindringliche Weise aufzuzeigen, welchen weitreichenden Einfluss der Maestro auf die Filmgeschichte und die Popkultur besitzt. Ein Einfluss, der kaum unterschätzt werden kann. Und wenn John Williams im Interview sagt, dass er glaube, Morricone werde auch noch in 200 Jahren gehört, dann ist man nach dem Sehen von Tornatores herausragender Dokumentation ohne zu zögern geneigt, ihm zuzustimmen.

Die Dokumentation auf Blu-Ray:

Der Film ist in Deutschland bei Plaion Pictures in drei Fassungen erschienen: Als DVD, einfache Blu-Ray sowie als üppige Special Edition mit 4K-UHD-Fassung, Filmkonzert „Morricone dirigiert Morricone“, Soundtrack-CD und 100-seitigem Booklet.

Die einfache Blu-Ray enthält als Extras ein halbstündiges Interview mit dem Regisseur, Backstage-Aufnahmen vom Morricone-Interview, einen erweiterten Interview-Ausschnitt und natürlich den Kinotrailer.

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