Death on the Nile – Patrick Doyle: „Ägypten aus der Ferne“

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Tod auf dem Nil, Kenneth Branaghs zweiter Hercule Poirot-Film nach Mord im Orientexpress (2017) erhielt zu seinem Kinostart mäßige bis vernichtende Kritiken. Größter Kritikpunkt war der künstliche Look des Films, verursacht durch den massiven Einsatz von CGI. Abseits einiger Landschaftsaufnahmen, für die ein „Second Unit“-Team tatsächlich nach Ägypten reiste, wurde der Rest der Produktion nämlich ausschließlich im Studio gefilmt. Dafür wurden die unteren Ebenen der Pyramiden und der Tempel von Abu Simbel nachgebaut. Und selbst der Raddampfer, der über den Nil schippert, tat dies allein in einem Wassertank. Dass nicht an Originalschauplätzen gedreht wurde, lag aber nicht, wie man vielleicht vermuten könnte, am Ausbruch der Corona-Pandemie (tatsächlich waren die Dreharbeiten im Dezember 2019 bereits abgeschlossen), sondern angeblich in erster Linie an Sicherheitsbedenken infolge des arabischen Frühlings von 2010.

Für den Film war das eine fatale Entscheidung. Denn allein schon hinsichtlich der Schauwerte fällt Branaghs Version damit zwangsläufig hinter den eindrucksvollen Bildern der berühmten Verfilmung von 1978 mit Peter Ustinov zurück, bei der die Crew damals in Kairo, Assuan, Luxor und Abu Simbel Szenen aufnahm. In der neuen Adaption präsentiert sich Ägypten dagegen allein als künstliches Bluescreen-Panorama, vor dem sich auf dem aseptischen Nilkreuzer-Set Agatha Christies verschachtelter Krimiplot entfaltet. Doch anders als bei einem Theaterstück, bei dem man das Abstrakte der Bühne schnell vergisst, ist das Auge hier ständig damit beschäftigt, die Inkonsistenz zwischen CGI, Studioszenen und real gefilmten Nillandschaften aufzulösen. Eine Irritation, die das Eintauchen in die Welt des Films erschwert oder sogar gänzlich verhindert. Dies führt zwangsläufig zum zweiten großen Fauxpas von Branaghs Film: dem völligen Desinteresse des Drehbuchs für die ägyptische Kultur. Einheimische kommen hier nicht einmal als Statisten vor. Und auch die Welt der Antike bleibt abseits kurzer Dialogzeilen allein pittoreske Postkartenkulisse, vor der sich das mörderische Drama der Schönen und Reichen abspielt.

Doch so scharf man das kritisieren muss: Nicht alles an Branaghs Tod auf dem Nil ist missraten: Die Idee, Poirots Charakter durch die Rückblende auf die Schützengräben des Ersten Weltkriegs eine Vergangenheit zu geben, ist gut. Vor allem die Lazarett-Szene zu Beginn, in der der entstellte Poirot seine Verlobte wiedersieht, gerät äußerst eindringlich. Der Meisterdetektiv als obsessiver, getriebener Mensch – das ist eine interessante Neuinterpretation der berühmten Figur, die auch im Verlauf der Ermittlungen eine Rolle spielt. Nicht zuletzt schauspielerisch kann Branaghs Verfilmung durch ein gut aufgelegtes Ensemble punkten – allen voran die aus Sex Education bekannte Emma Mackey als schillernder Racheengel und Annette Bening als übellaunige Mutter von Poirots Freund Bouc überzeugen. Und obwohl der CGI-Overkill meistens stört, fängt der Film Abu Simbel und das Innere des berühmten Tempels im Fackelschein überraschend stimmungsvoll ein.

Vielleicht hätte Tod auf dem Nil auch einfach nur eine starke, charismatische Filmmusik benötigt, um die Inkonsistenzen, das Artifizielle und den Hochglanz zu einem überzeugenden, mitreißenden Kintopp zu vereinen. Doch leider will Branaghs Hofkomponist Patrick Doyle genau das bei diesem Projekt nicht gelingen. Das liegt zunächst am Musikeinsatz: Vor allem im ersten Drittel begleiten fast ausschließlich Jazz-Stücke die mondänen Tanz- und Clubszenen. Nur einmal darf Doyle zur Totalen auf die Pyramiden von Gizeh kurz breit aufschwingen, um danach dann wieder abzutauchen. Dadurch bekommt die Musik aber keine Gelegenheit, dem Film einen Rahmen und eine Tonalität zu geben. Das fällt deshalb unangenehm auf, weil – und das ist bereits in der Vorlage so angelegt – die Handlung lange benötigt, um die Figuren einzuführen und den zentralen Mord vorzubereiten. Währenddessen will man sich als Zuschauer in den Film und das exotische Setting hineinfühlen. Doch der digitale Look reißt aus dem Film und Doyles Musik reißt nicht genügend mit. Dadurch wirkt die Inszenierung trotz üppiger Dekors und Kostüme primär in der ersten Hälfte reichlich schwerfällig.

Doyles Komposition, die jeden thematischen Bezug zum Vorgänger vermeidet, konzentriert sich fast ausschließlich auf den Suspense-Plot, erinnert dabei sogar ein wenig an seine bleiern-düstere Arbeit zum Mafia-Drama Donnie Brasco. Die ersten beiden Noten seines etwa statisch anmutenden Hauptthemas werden zur Basis der wichtigsten Leitmotive, wie Mord- und Liebesthema. Das passt. Denn Liebe und Tod stehen in Branaghs Interpretation in enger Verbindung. Und das ist grundsätzlich ein interessanter konzeptioneller Ausgangspunkt, dessen Morbidität in den antiken altägyptischen Monumenten einen faszinierenden Widerhall findet. Doch die Musik bekommt zu wenig Raum und bleibt daneben zu introvertiert, als dass dieser spannende konzeptuelle Gedanke den Film prägen und auf eine andere Ebene heben könnte.

Eine bessere Figur macht Doyles Arbeit abseits der Bilder: Hier sticht die thematische Konzeption deutlicher hervor, werden die subtilen Feinheiten in der Instrumentierung und der motivischen Gestaltung hörbar. Und da zeigt sich, dass die Komposition über einige Höhepunkte jenseits des sonoren Chores von Abu Simbel und dem bereits genannten The Pyramids verfügt: Wenn das Liebesthema in The Newly Weds reizvoll aufblüht, Emma Mackey ihren mysteriösen Auftritt zum sirenenhaften She is back hat oder sich die Streicher im elegischen Immortal Belongings sehnsuchtsvoll aufschwingen, dann setzt Doyle prägnante Akzente. Und mit dem lyrischen Schluss-Trio bestehend aus Perhaps/The Cost of Love/Death on the Nile beweist er einmal mehr sein Talent für einschmeichelnde Melodik. Doch leider gibt es davor auch viel statisches Suspense-Scoring zu hören, bei dem die Komposition auf der Stelle tritt. Ähnliches gilt für die Doyle-typischen Klavierstücke wie One last Cork oder Bourgeois Nightmare – ein klassizistisches Duo zwischen Violine und Piano – beide äußert reizvoll – aber ohne Bindung zur restlichen Musik. So richtig wollen die vielen Einzelteile in Tod auf dem Nil einfach nicht zusammenpassen. Ein glückliches Händchen hatten Kenneth Branagh und Patrick Doyle da ganz gewiss nicht. Dazu passen der Trubel von Corona-Pandemie und Missbrauchs-Vorwürfen um Hauptdarsteller Arnie Hammer, die dazu führten, dass Disney die Produktion erst mit zwei Jahren Verspätung in die Kinos brachte.

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