The Banshees of Inisherin – Carter Burwell: „Ein filmmusikalisches Mobile“

Wie viele der schrulligen Wohlfühl-Komödien, die von Zeit zu Zeit in den Programmkinos laufen, beginnt auch The Banshees of Inisherin mit einer skurrilen Prämisse: Auf einer pittoresken Insel vor dem irischen Festland in den 1920er Jahren kündigt Colm (Brendan Gleeson) seinem langjährigen, vielleicht etwas einfältigen Freund Pádraic (Colin Farrell) urplötzlich die Freundschaft auf, will fortan getrennte Wege gehen. Der versteht die Welt nicht mehr, fühlt sich vor den Kopf gestoßen und kann nicht akzeptieren, seinen besten Kumpel zu verlieren. Er bedrängt Colm bei jeder sich bietenden Gelegenheit, seinen Entschluss doch zu überdenken – was dank eines einzigen Pubs im Ort quasi täglich vorkommt. Und dabei zuzusehen, das hat etwas liebenswürdig Kauziges und man möchte als Zuschauer gerne glauben, dass die beiden nach Irrungen und Wirrungen am Ende wieder zueinander finden werden. Doch Martin McDonaghs Film hat anderes im Sinn: Colm meint es ernst. Er möchte im Herbst seines Lebens keine Zeit mehr mit unnützem Geschwätz verschwenden und sich fortan ausschließlich dem Komponieren und Musizieren widmen. Als er merkt, dass der gutmütige Pádraic nicht von ihm ablässt, droht er deshalb drastische Schritte an, sollte dieser ihn nicht endlich in Ruhe lassen. Es ist eine Ankündigung, die er schließlich in die Tat umsetzen wird. Mit diesem Schritt verabschiedet sich der Film endgültig von den Klischees einer gefälligen Tragikomödie und entpuppt sich als eigenwilliges Psychoduell, das mit zunehmender Laufzeit immer düstere Züge annimmt.

Der theatererfahrene McDonagh legt den Plot dabei als vielschichtige Allegorie an, in der Bezüge zum auf den Festland tobenden Bürgerkrieg erkennbar werden, sich aber auch ein Diskurs um die Entstehung von Gewalt und Gewaltbereitschaft oder das Verhältnis von Kunst zum Leben eröffnet. Die Handlung beschränkt sich auf nur wenige Handlungsorte und teilnehmende Figuren. Alles und jeder in diesem Mikrokosmos besitzt eine symbolische Funktion, wie zum Beispiel der opportunistische Dorf-Polizist, der sein Mitläufertum erst dann bereut, als es zu spät ist oder die Greisin, die die Rolle einer Seherin einnimmt. Und auch Colm und Pádraic lassen sich als Stellvertreter zweier gesellschaftlicher Klassen lesen, die sich unvereinbar gegenüber stehen. The Banshees of Inisherin erlaubt verschiedene Interpretationen und Sichtweisen, bleibt aber konkret genug, um nicht ins Wage oder Prätentiöse abzudriften. Das ist in seiner Ambition und Durchdachtheit in der gegenwärtigen Kinolandschaft zweifellos eine absolute Ausnahmeerscheinung und schon allein deswegen unbedingt sehenswert. Zugleich lohnt sich der Kinobesuch allein schon für das exzellente, völlig zu Recht in mehreren Kategorien für den Oscar nominierte Darsteller-Ensemble.

Doch das schwermütige Drama besitzt auch Schwächen: Vor allem der vordergründige Plot ergibt in seiner erschreckenden Eskalation nur wenig Sinn. Dass sich Colm selbst verstümmelt, erscheint angesichts seiner künstlerischen Lebenspläne völlig unverständlich. Ohnehin ist man als Zuschauer geneigt, mehr Mitleid mit dem hoffnungslos überforderten Pádraic zu empfinden als mit dem eigenbrötlerischen Intellektuellen, der nicht über genügend Weitblick verfügt, um seinem ehemaligen Kumpel konsequent aus dem Weg zu gehen oder ihm auf einfühlsame Weise seine Beweggründe darzulegen.

Der zweite Schwachpunkt von The Banshees of Inisherin betrifft die Filmmusik. Zwar erweist es sich als gute Entscheidung, auf der Tonspur jegliche Stereotype der irischen Folklore zu vermeiden. Doch die schlichte Musik, die Carter Burwell schließlich den Bildern beistellt, ist für einen Film mit einem so hohem allegorischen Gehalt in ihrer Unscheinbarkeit geradezu enttäuschend. Das liegt daran, dass sich der New Yorker im Grunde wenig für die im Drehbuch vorhandene Symbolik interessiert und kaum mehr tut, als die schwermütige Stimmung des Filmes nachzuzeichnen. Dafür setzt er vor allem auf eine eigenwillige Instrumentierung mit indonesischen Gamelan-Instrumenten (deren Klang dem eines Xylophons ähnelt) neben Harfe, Marimba, und Celesta, mit nur seltenen Einsätzen des Orchesters. Die so entstehenden Klanggebilde erinnern in ihren klirrenden Tönen an ein Wind-Mobile oder die einfachen Melodien einer Spieluhr, besitzen etwas seltsam Gleichmütiges. Natürlich schwingt da auch etwas Naiv-Märchenhaftes mit, das sich in erster Linie auf den einfältigen Charakter Pádraics und den entrückten wildromantischen Handlungsort bezieht.

Doch die Komposition besitzt durchaus abgründige Momente: Besonders geschickt illustriert Burwell beispielsweise im knarzig-düsteren Colm throws the Balance die fatale Sturheit Colms und seinen unfassbaren Akt der Selbstverstümmelung, der schließlich zum Kipppunkt der Handlung wird. Solche direkten Bezüge zur Filmhandlung bleiben ansonsten aber selten. Die meiste Zeit schwelgt die Musik in ihrer nonchalanten Melancholie und Indifferenz, die allein als Kulisse für die Eskalation der Handlung dient. Wer die ein oder andere Filmmusik von Carter Burwell gehört hat, der kennt diesen Vertonungsstil bereits. Man denke nur an seine Arbeiten für die Filme der Coen-Brüder oder vorangegangene Regie-Arbeiten von Martin McDonagh (wie Three Billboards Outside of Ebbing, Missouri), in denen die Filmmusik eine ganz ähnlich zurückhaltende Rolle einnimmt. Allerdings funktioniert dieser Ansatz in The Banshees of Inisherin längst nicht mehr so gut wie noch bei den Vorbildern. Nicht nur, weil er sich merklich abgenutzt hat, sondern vor allem, weil er der inhaltlichen Ambition des Drehbuchs nicht gewachsen ist. Wenn die Handlung in der zweiten Hälfte endgültig in Richtung Wahnsinn abgleitet, findet sich auf der Tonspur keine konzeptuelle Idee, die diese Entwicklung adäquat spiegeln würde. Das schadet dem Film zwar nicht. Dafür bildet Burwells Filmmusik einen zu stimmungsvollen Rahmen für den eigenwilligen Film. Und doch beschleicht einen das unangenehme Gefühl, dass hier viel mehr möglich gewesen wäre.

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