Wie man überzeugend von historischen Verwerfungen erzählen und gleichzeitig wohliges Arthouse-Kino mit Charme bieten kann, das hat Julian Fellowes seinerzeit mit der britischen Serie Downton Abbey um eine Adelsfamilie und ihre Angestellten erfolgreich vorgemacht. Gurindher Chadha (Kick it like Beckham) versucht in Der Stern von Indien (O-Titel: Viceroy’s House), mit ihrer Rekonstruktion der turbulenten Tage vor und nach der indischen Unabhängigkeit im August 1947, einen ganz ähnlichen Weg einzuschlagen. Da passt es gut, dass sie mit Hugh Bonneville einen der Hauptdarsteller von Downton Abbey für das Projekt gewinnen konnte. Bonneville spielt Louis Mountbatten, der als Vizekönig von Indien in den letzten Tagen der britischen Kolonialmacht eingesetzt wird, um die Übergabe der Regierungsverantwortung zu überwachen. Gleich die ersten Szenen verströmen dabei behagliches BBC-Flair: Da gibt es prunkvolles Ausstattungskino im Haus des Vizekönigs, dem späteren Präsidentenpalast Rashtrapati Bhavan, zu bewundern. Die Kamera fängt ein, wie geschäftige Regierungsbeamte und einfache Bedienstete in glänzenden Uniformen über die Gänge huschen. Mountbatten und seine Frau (Gilian Anderson) repräsentieren dabei bereits ein neues progressives Großbritannien, zeigen sich erstmals dem indischen Volk zugewandt. Begleitet werden die farbenprächtigen Hochglanzbilder von der gefühlvoll-optimistischen Musik des indischen Komponisten A. R. Rahman.
Ein bisschen fühlt man sich da schon wie in Downton Abbey , wo Serien-Folgen in ganz ähnlicher Form begannen. Und auch Hugh Bonneville mag seine Paraderolle als wohlmeinender Aristokrat hier nicht völlig abschütteln. Doch wer sich etwas in Geschichte auskennt oder Attenboroughs Gandhi-Verfilmung noch vor Augen hat, der weiß, dass die Kolonialzeit mit Massakern und Gräueltaten endete und auch die Unabhängigkeit Indiens mit dem Streit um ein unabhängiges Pakistan mit eskalierender Gewalt, Migration und Elend teuer erkauft war. Chadhas Film verschweigt diese dunklen Seiten nicht. Doch ein Verweis auf die unrühmliche britische Kolonialgeschichte findet allein auf Dialogebene statt. Die Mountbattens werden als Sympathieträger eingeführt, sodass die unmittelbare Vergangenheit bereits weit weg erscheint. Selbst die aufkeimenden Gräueltaten zwischen Hindus und Muslimen im Streit um die Grenzlegung im neuen Staat zeigt der Film nur in Aufnahmen, die Archiv-Material nachempfunden sind – ein Filter, der den Bildern jegliche Härte nimmt. Der Stern von Indien konzentriert sich lieber auf eine triviale Liebesgeschichte zwischen zwei Bediensteten, er ist Hindu – sie Muslima, um die Tragik der Spaltung des Landes und der Vertreibung von Millionen Menschen zu spiegeln. Stärker gerät dagegen das letzte Filmdrittel, wenn das wahre Machtkalkül der Briten (jenseits der Mountbattens) stärker hervortritt und die Folgen von Vertreibung und Flucht in beeindruckenden Szenen deutlich werden.
Doch so recht mag die Balance zwischen verfilmter Historie und Wohlfühlkino nicht gelingen. So sehr der Geschichtsabriss auch fasziniert, so sehr wird er durch die eindimensionale Figurenzeichnung und den Kitsch der zentralen Romanze verwässert. Die Musik von A.R. Rahman, langjähriger Bollywood-Komponist, der für Slumdog Millionaire 2009 den Oscar gewonnen hat, wird leider ebenfalls von Klischees bestimmt: Mit dem Einsatz von Sitar, Tablas und Bansuri-Flöten erzeugt er zwar ein gefälliges Indien-Kolorit. Doch das verleiht dem Film mehr den Habitus eines romantischen Filmmärchens, anstatt das komplexe politische Spannungsfeld der Handlung abzubilden. Dies zeigt sich auch, wenn es um die großen nationalen Umbrüche geht: Da schwelgt die Musik im elegischen Pathos wie im feierlichen „The Birth of two Nations“ oder dem feudalen „Jinnah Meets Mountbatten“. John Lunns Downton Abbey-Musik ist da stilistisch nie fern. Das ist hier aber nicht unproblematisch, weil diese Vertonungs-Klischees vor allem die bestehenden Machtverhältnisse affirmieren, anstatt sie infrage zu stellen.
Wenn man sich von dieser grundsätzlichen Kritik lösen kann, erscheint Rahmans Musik trotz der zum Teil fragwürdigen Stereotype in vielen Momenten durchaus reizvoll: Das sehnsuchtsvolle Liebesthema („Two Broken Hearts“, „Limerence“) schmachtet herzergreifend. Das konzertante Schlussstück „The Cost of Freedom“ gehört mit seinen delikaten Cello-Soli zu den Highlights der Musik und insbesondere das melancholische „Displacement“ kündet mit seiner Vokalise besonders anrührend von den historischen Verwerfungen. Das in diesem Stück zu hörende Thema für Flucht und Vertreibung ist ohnehin ein besonders starker melodischer Einfall, mit dem es Rahman dann zumindest doch für einen Moment gelingt, die Filmhandlung in einen größeren humanistischen Kontext einzubetten. Leider geht der Komposition dieses feinsinnige Gespür ansonsten viel zu häufig ab. Ein ums andere Mal überschreiten die schwelgerischen Harmonien auch die Grenze zum Kitsch, baden zu sehr im Melodram der großen Gefühlsmomente. Da merkt man Rahman überdeutlich seine langjährige Vergangenheit im Bollywood-Kino an. Zu lieblich, zu einschmeichelnd präsentiert sich seine Musik, um dem historischen Kontext der Geschichte gerecht zu werden. Das ist natürlich auch ein grundlegendes Problem von Gurindher Chadhas Film. Die Regisseurin verarbeitet hier sehr frei ihre eigene Familiengeschichte, wie Texttafeln im Abspann nicht ohne Pathos verdeutlichen. Doch ein bisschen wirkt es dabei so, als sei ihr in ihrem Enthusiasmus die emotionale Distanz verloren gegangen.