Avatar – The Way of Water, Simon Franglen: „Ab ins Wasser“

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Eines muss man James Cameron mit seiner Avatar-Fortsetzung lassen: Er hat viele Menschen aus den Wohnzimmern zurück ins Kino gelockt. Sein Dreistünder Avatar – The Way of Water knackt einen Zuschauer-Rekord nach dem anderen. Kein Wunder: Es ist ein Film, der auf die große Leinwand gehört und nur dort in 3D seine volle audiovisuelle Wirkung entfaltet. Und wer diese Wirkung erleben will, muss dafür ins Kino gehen. Wie im ersten Film von 2009 geht es auch in der Fortsetzung in erster Linie um einen immersiven Weltenbau, der Pandora als filmischen Erlebnisraum etabliert, in den der Zuschauer eintauchen und sich verlieren soll. Der in dreizehn Jahren erzielte technische Fortschritt beeindruckt in seiner digitalen Virtuosität: Wie bruchlos und natürlich die Schauspieler mit der völlig virtuell erzeugten Umgebung interagieren, elegant unter Wasser gleiten, auf Fantasie-Geschöpfen reiten und rasante Stunts vollführen, das gab es in dieser hochauflösenden Perfektion bislang noch nicht im Kino zu sehen. Möglich wurde dies durch eigens für die Dreharbeiten hergestellte Kameras, die erstmals den Einsatz des bekannten Motion-Capture-Verfahrens unter Wasser erlaubten. Die Schauspieler wurden dabei ohne Sauerstoff-Flasche in einem Wassertank gefilmt, um möglichst realistische Bewegungsabläufe beim Tauchen zu bekommen. Doch nicht nur das: Dank digitaler Verjüngung spielt die 72-jährige Sigourney Weaver den Teenager Kiri, eine der zentralen neuen Figuren des zweiten Teils – ein Umstand, der beim Sehen nicht einmal auffällt.

Technisch gesehen verschiebt Avatar – The Way of Water also die Grenzen des machbaren – weniger in Bezug auf einzelne bahnbrechende Szenen als in Sinne einer ganzheitlichen Kino-Erfahrung, die dem Zuschauer mit digitalem Fotorealismus Pandora als scheinbar reale Welt präsentiert. Doch wie im ersten Teil gibt es eine erstaunliche Diskrepanz zwischen dem quasi dreidimensionalen Erfahrbarmachen dieser kunterbunten Utopie mit ihrer fluoreszierenden Flora & Fauna und ihren wundersamen Fantasiegeschöpfen gegenüber der geringen inhaltlichen Tiefe, mit der das geschieht. Dafür, wie die blauen Na’vi wirklich leben und die Frage, warum das für den Zuschauer jenseits einer naiv vorgetragenen Öko-Botschaft eigentlich relevant sein soll, interessiert sich das Drehbuch nur wenig. Die Handlung wird allein vom wiederkehrenden Kampf zwischen rachsüchtigen Soldaten und naturverbundenen Na’vi bestimmt: Ein Klon des im ersten Teil gestorbenen Colonel Miles Quaritch (Stephen Lang) will Rache an Sully (Sam Worthington), der auf Pandora mit Neytiri (Zoe Saldana) inzwischen eine Familie gegründet hat. Mit erbarmungsloser Härte verfolgt er die vor ihm fliehenden Na’vi, die bei den Metkayina, einem Inselvolk, Unterschlupf gefunden haben.

Dieses einfache Motiv von Flucht und Verfolgung erinnert bisweilen an die Dramaturgie eines Videospiels, das unterbrochen von ruhigen Zwischensequenzen, Actionszene an Actionszene reiht. Innerhalb eines solchen Rahmens überrascht es nicht, dass die größte Neuerung der Fortsetzung nicht die Handlung sondern den Handlungsort betrifft: Der Zuschauer bekommt mit der Unterwasserwelt und den Atollen, die von den Metkayina bewohnt werden, einfach einen neuen Themenpark zum bestaunen geboten. Zwar gibt es kleine Episoden, in denen der Film Themen rund um Entwurzelung, Flucht und Integration aufgreift. Doch diese werden enttäuschend trivial abgehandelt. In letzter Konsequenz reduziert das Drehbuch diese Konflikte zum Hohelied auf die Bedeutung des Zusammenhalts der Familie gegen die Bedrohung von außen. Diese schlichte Botschaft ist – wenn man so will – der kleinste gemeinsame Nenner, um ein möglichst breites Publikum zu erreichen. Klar sind solche Zugeständnisse bei einem derart hohen Budget zur Risikominimierung notwendig und daher auch nachvollziehbar. Und doch wirkt es so, als wäre die Handlung für Cameron nur eine lästige Pflichterfüllung gewesen, um sich ganz der Entwicklung der bahnbrechenden digitalen Effekte widmen zu können. Der Erfolg gibt ihm zwar letztendlich recht und zumindest in technischer Hinsicht ist Avatar – Way of Water tatsächlich ein zukunftsweisender Meilenstein. Das Gesamtpaket bleibt jenseits der atemberaubenden Oberflächenreize aber vieles schuldig, weil über lange drei Stunden – hat man sich einmal an den Bildern satt gesehen – nur wenig Substanz übrig bleibt, um den gigantischen Aufwand zu rechtfertigen.

Von diesen Problemen ist auch die Filmmusik von Simon Franglen betroffen, der die schwere Aufgabe hatte, in die Fußstapfen des viel zu früh verstorbenen James Horner zu treten, der 2009 noch Komponist beim ersten Teil gewesen war. Die allererste Funktion, die der Musik der Fortsetzung zufällt, ist naturgemäß, die Erinnerung an den ersten Avatar nach dreizehn Jahren zurückzubringen. Das geht nur, in dem sich die Musik stilistisch nicht allzu weit von der des ersten Films entfernt. Entsprechend ist die Klangsprache des ersten Avatar gleich mit den ersten Takten der Filmmusik sofort wieder präsent: Das große Orchester, die von asiatischer und südamerikanischer Folklore inspirierten Chorgesänge und Vokalisen, das ganze Arsenal an Percussion- und Blas-Instrumenten, die zwischen fröhlichem Exotismus und dem Imitieren von Naturgeräuschen Pandora seine eigentümliche New Age-Atmosphäre geben. Für größtmögliche Konsistenz zum Vorgängerfilm verwendet Franglen sogar kleine Referenzen zu Horner: Er zitiert nicht nur dessen Hauptthemen, sondern bedient sich bei manchem berüchtigten Manierismus in der Orchestrierung wie dem Einsatz der Shakuhachi-Flöte im „Knife Fight“ (dem besten Action-Stück der Musik) oder der Verwendung des Gefahren-Motivs in den Stücken „Eclipse“ und „World upside down“.

Aber Franglen hat auch ein eigenes neues Thema am Start: eine wunderschöne Streichermelodie („Leaving Home“), die als Familien-Thema zum Ankerpunkt der intimen Momente wird. Doch der Schwerpunkt der Komposition liegt eindeutig beim Erkunden der unterschiedlichen Welten Pandoras: Es gibt betörende Stücke, in denen Franglen ein tolles Gespür für die von Cameron beabsichtigte Immersion entwickelt. Das fröhlich-entspannte „Happiness is easy“, das elegische „Hometree“ oder das euphorische „The Tulkun Return“ zeigen die Musik von ihrer besten Seite. Doch in Avatar – Way of Water ist es stets ein schmaler Grat zwischen faszinierendem akustischen Weltenbau und einer süßlich-klebrigen Klangexotik, die mitunter ins Esoterische abzudriften droht. Teilweise war das schon in Horners überraschend gut gealterter Musik zum ersten Film ein Problem. Bei Franglen fällt es noch stärker ins Gewicht, weil es ihm viel schwerer fällt, im Kleinen wie im Großen schlüssige Dramaturgien zu finden, um die Spannung aufrechtzuerhalten. 192 Minuten sind eine lange Zeit für einen nahezu pausenlosen Musik-Einsatz. Und so geht seiner Komposition hier und da im Detail dann doch die Luft aus. In den großen Action-Szenen weichen die detailreichen Klangbilder und Themen-Einsätze mitunter einer eher grobschlächtigen Tonsprache mit stampfendem Schlagwerk und banalen Streicher-Ostinati – gelegentlich nur gesteigert vom Chor mit seinem martialischen Stakkato-Gesang. Aber auch mancher emotionale Moment gerät dem Komponisten eine Spur zu rührselig wie im stark auf die Tränendrüse drückenden „From Darkness to Light“.

Verwundern kann das nicht. Denn die inhaltliche Banalität und oberflächliche Emotionalität lässt auf der Tonspur nur wenig anderes zu, als die Handlung allein mit Stereotypen abzuarbeiten. Ähnlich wie Bear McCreary in Die Ringe der Macht versucht Franglen deshalb, sein Publikum mit Bombast und Kitsch zu überwältigen. Das funktioniert durchaus. Doch manchmal übertreibt er es damit. In solchen „larger than life“-Momenten, in denen es von allem zu viel ist, kippt die Kino-Illusion ins zu Kalkulierte, wird das kommerzielle Konstrukt hinter der schönen Fassade spürbar. Das ist gar nicht so sehr die Schuld Franglens, als den engen kreativen Rahmenbedingungen einer gigantischen Filmproduktion geschuldet, die auf Nummer sicher gehen muss, um das notwendige Einspielergebnis nicht zu gefährden. Und auch wenn die Filmmusik nicht restlos überzeugt, lässt sich mit ihren Höhepunkten spielend eine äußerst unterhaltsame Playlist füllen. Diese sollte man aber vorzugsweise aus der erweiterten Filmmusik-Fassung extrahieren, da einige der besten Stücke wie das bereits erwähnte „Leaving Home“ in der Album-Version fehlen, während letztere dagegen exklusiv den gelungenen Filmsong „Nothing is lost“ von The Weeknd enthält. So komprimiert auf die besten Stücke wird trotz des gelegentlichen Hangs zum Kitsch deutlich, wie viel Potenzial Franglens Filmmusik besitzt – leider aber auch, wie sehr sich dieses Potenzial den kommerziellen Notwendigkeiten unterordnen muss. Und damit geht es der Musik wie dem Film selbst, der in seinem Nebeneinander von atemberaubendem Oberflächenglanz, furiosen Action-Sequenzen und trivialer Handlung in gleichem Maße begeistert wie enttäuscht.

James Cameron hat nämlich mit den beiden Avatar-Filmen das Kunststück vollbracht, ein Event-Kino geschaffen zu haben, in dem das audiovisuelle Erlebnis die erzählte Geschichte so sehr in den Hintergrund drängt, dass diese letztlich keine große Rolle mehr spielt. Im Grunde ist das Kino als Jahrmarkt-Attraktion wie in den Anfängen der Filmgeschichte, als die Brüdern Lumière 1895/96 in einem Pariser Café ihr Publikum mit den Bildern eines heranrollenden Zuges schockten (auch wenn die kolportierte Legende der vor Angst flüchtenden Zuschauer wohl eher einem zeitgenössischen Werbegag zuzuschreiben ist). Bereits vor dem Kinostart von The Way of Water stellte sich die Frage, ob die Fortsetzung noch einmal in der Lage sein würde, ein vergleichbar singuläres Kinoerlebnis zu bieten, wie es Avatar 2009 vermochte. Diese Frage lässt sich mittlerweile mit einem eindeutigen Ja beantworten. Die unweigerlich kommenden Fortsetzungen werden damit aber keineswegs zum Selbstläufer, weil sie nur so lange funktionieren werden, wie Cameron in der Lage ist, die technischen Grenzen weiter zu verschieben. Und ob das der Fall sein wird, bleibt abzuwarten. Auf den überraschend großen Erfolg des zweiten Teils hat der Titanic-Regisseur kürzlich mit den Worten reagiert: „Wir haben ein Franchise begonnen“. Das klingt freilich erst einmal weniger nach technischer Innovation, als nach dem Ausschlachten einer Cash Cow.

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