Munich – John Williams

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Gedanken zum Film

Wie festgefahren der Nahostkonflikt wirklich ist, zeigen symptomatisch die Reaktionen auf Steven Spielbergs Dokudrama Munich. In dem umstrittenen Spielfilm erzählt der Filmemacher vom Anschlag islamischer Terroristen auf israelische Sportler bei den Olympischen Spielen von 1972 und der darauf folgenden Racheaktion, in der Mitglieder des Mossad inoffiziell bis in die späten 80er Jahre die Drahtzieher des Anschlags verfolgt haben. Zweifellos ein heißes Eisen, das Spielberg da angefasst hat. Verblüffend, wenngleich nicht unbedingt überraschend, wurde das Werk in Israel und Palästina aufgenommen: Kurioserweise warfen nämlich beide Seiten Spielberg Einseitigkeit und Tatsachenfälschung vor. Vielleicht sind aber genau diese Vorwürfe das größte Lob für den ambitionierten und beklemmenden, aber ohne Zweifel auch mit Schwächen behafteten Film – da sie zeigen, wie wenig dieser bereit ist, sich der einen oder anderen Seite anzubiedern.

Spielberg thematisiert die Sinnlosigkeit des Teufelskreises aus Gewalt und Gegengewalt, der im Nahen Osten seit Jahrzehnten tobt und ein friedliches Miteinander unmöglich macht. Um sein Anliegen vorzubringen, entfernt er sich dafür ein gutes Stück von der belegten Historie, deklariert seinen Film vorneweg als fiktive Abhandlung über das Attentat von München. Dabei befindet sich seine Inszenierung viel zu nahe an den realen Geschehnissen, um der Frage nach der Authentizität aus dem Weg gehen zu können – zweifellos der erste berechtigte Anlass für Kritik. Zum zweiten greift Spielberg für seinen Film auf die Mittel des modernen Actionkinos zurück. Die ausgiebige Darstellung der Planung und Ausführung der verschiedenen Vergeltungsschläge nutzt er zu geradezu klassisch konstruierten Spannungsmomenten, in denen Scheitern und Gelingen der Mission, aber auch das Leben Unschuldiger oftmals am seidenen Faden hängen. Die Auswirkungen der Vergeltungsanschläge zeigt der Film freilich in einem expliziten Realismus, der die Erinnerungen an Kriegsfilme der jüngeren Vergangenheit wie Black Hawk Down (2001) oder Spielbergs eigenem Soldaten James Ryan (1998) wachruft. Wie diese Filme krankt Munich schließlich am Missverhältnis zwischen der ausgesprochen realistischen Gewaltdarstellung und der Hollywood-typischen Vereinfachung bei der Schilderung der politischen Hintergründe. Womöglich weiß Spielberg, dass ein Film wie dieser nur eine Anregung sein kann, sich mit der Thematik eingehender zu befassen, die Auseinandersetzung mit der Historie aber keinesfalls ersetzen kann. Wenngleich diese Einschätzung zutrifft, sind es jedoch gerade die Mechanismen des massenkompatiblen Unterhaltungskinos, die die Filme des Starregisseurs immer wieder angreifbar machen.

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Seine Stärken beweist Munich hingegen in der konsequenten Schilderung der fatalen Kettenreaktion, die der Anschlag auslöst. Dazu gehört der Tod Unschuldiger ebenso wie die psychischen Auswirkungen für die Rächer, die von Paranoia und Selbstzweifel bis hin zum Suizid reicht. Diese persönliche Perspektive berührt nachhaltig, weil sie den Menschen hinter den politischen Schachzügen sichtbar werden lässt und damit den absurden Wahnsinn der Gewaltspirale eindringlich vor Augen führt. Diese pazifistische Grundeinstellung, die auch die unversöhnliche Engstirnigkeit beider Seiten anklagt, war vermutlich der wahre Stein des Anstoßes für viele Kritiker, die sich eine deutlichere Position zugunsten der einen oder anderen Seite gewünscht hätten. Eine derart billige Lösung bietet Spielberg aber nicht. Ob seine Version der Ereignisse nun glaubwürdig ist oder nicht, ob er zu sehr mit den Methoden des Mainstream-Kinos arbeitet, das ist unter diesem Blickwinkel sogar von zweitrangiger Bedeutung. Dem Regisseur geht es hier – so utopisch es auch erscheinen mag – um die Vision von Aussöhnung und Frieden in Israel. Dass viele Kritiker diese Zielsetzung verkannt haben und unter dem Vorwand übertriebener Einwände der notwendigen Auseinandersetzung mit dem Kern des Filmes aus dem Weg gehen, wirft einen traurigen Blick auf die Blindheit beider Seiten. Schade nur, dass Spielberg es ihnen unnötigerweise so leicht macht, seinen Film zu kritisieren.

CD-Kritik zur Filmmusik

Mit Munich legte John Williams seine vierte und letzte Filmmusik in 2005 vor. Es war nach War of the Worlds die zweite Zusammenarbeit mit Steven Spielberg in diesem Jahr. Das weckt unwillkürlich Erinnerungen an die Kombination Jurassic Park/Schindlers Liste anno 1993. Dem spektakulären Sommer-Blockbuster folgte damals das ungleich anspruchsvollere Werk im Winter. Doch ganz so ist es dieses Mal nicht. War of the Worlds war zwar ein lautes Effektgewitter in guter Hollywood-Tradition. Doch der Science-Fiction-Reißer war viel zu düster, um eine Abenteuermusik mit markanten Themen im Stile eines Jurassic Park zu gestatten. Und Munich ist wiederum ein viel zu gespaltenes Werk, um Parallelen zum epischen Erzählkino von Schindlers Liste nahezulegen.

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Während die Komposition einerseits mit feierlichen Adagios und trauernden Klagegesängen des schrecklichen Attentats von 1972 gedenkt (deren Bilder im Film immer wieder parallel montiert zu den Racheaktionen zu sehen sind), setzen herbe, eng mit den Bildern verzahnte, Spannungsuntermalungen einen düsteren Kontrapunkt. Diese harten Kontraste spiegeln beide Gesichter des Filmes, erschweren aber zugleich die Rezeption der Musik auf CD. Da hilft es, sich zunächst an den melodischen Teilen festzuhalten: Lisbeth Scotts das Attentat betrauernde Vokalise in Munich und das elegische Thema für Avner bilden deren Basis, werden raffiniert durch die unterschiedlichen Instrumentgruppen (von Streichern Cello, Klavier bis hin zu Akkordeon und Gitarre) getragen. Vor allem das Avner-Thema gehört dabei zu den wunderbaren melodischen Einfällen, wie sie Williams scheinbar mühelos aus dem Ärmel schüttelt. Besonders schön und vollmundig wird es in Prayer for Peace von den Streichern dargeboten. Ein weiterer Höhepunkt ist das Arrangement der israelischen Nationalhymne (die übrigens auf demselben Volkslied wie Smetanas berühmte Moldau basiert), das Williams in den eigenen Stil überträgt und damit bruchlos in die Komposition eingliedert.

Ganz anders freilich die Spannungsvertonungen: Sie hat Williams sparsam und schlank instrumentiert und behutsam synthetisch verstärkt. Gelegentlich sind sie dezent mit ethnischen Einflüssen aus dem Nahen Osten gefärbt. Doch davon abgesehen zieht die kalt wirkende Klangsprache eine scharfe Trennlinie zu den melodischen Teilen. Herzschlagartig pulsierende Rhythmen (zum Teil elektronisch), dissonante Orchestereffekte und brodelnde Klangschichten erlauben dem Hörer kaum markante motivische Anknüpfungspunkte. Nur ganz selten einmal erklingt quasi als fernes Echo verfremdet das Munich-Thema – vielleicht eine subtile musikalische Erinnerung an den Ursprung der unseligen Vendetta. Williams arbeitet hauptsächlich mit kurzen rhythmischen Motiven, denen er durch stakkatoartige Repetitionen und geschickte Variationen in der Instrumentierung ein Gefühl lähmender Intensität abgewinnt. Leider sind diese Stücke von wechselhafter Güte. Gelingt Williams zum Teil ein raffiniertes Spiel mit präzise konstruierten Rhythmusvariationen, brodelt die Musik in anderen Momenten wiederum monoton und unentschieden vor sich hin.

Zweifellos fehlt der Musik ein durchgängiger Spannungsbogen, der die heterogenen Teile nahtlos miteinander verbinden könnte. Daraus resultiert zwangsläufig der wechselhafte Eindruck, den die Vertonung hinterlässt. Darin liegt aber auch eine Stärke, da die eigentümliche, filmbedingte Konstruktion die gängige Erwartungshaltung an eine neue Williams-Musik konterkariert. So verwundert es kaum, dass um die Qualität von München viele kontroverse Diskussionen geführt wurden. Tatsächlich ist die Komposition kaum eine der besten Arbeiten des Altmeisters der letzten Jahre, sicher aber eine der interessantesten und vielschichtigsten.