Kohlhiesels Töchter – Diego Ramos Rodríguez: „Widerspenstige Filmmusik“

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„Liebt einer eine Maid von Herzen, ertrag‘ er willig auch die Schmerzen“. So lautet ein Zwischentitel aus Ernst Lubitschs Kohlhiesels Töchter von 1920. Schmerzen muss Xaver (Ernst Jannings) in dem Stummfilm so einige ertragen. In einem Dorf im tiefsten Bayern verliebt er sich in die charmante, lebensfrohe Gretel und hält beim Vater Kohlhiesel um die Hand der Tochter an. Doch der stellt eine folgenschwere Bedingung: Erst muss seine ältere Tochter Liesel verheiratet sein, bevor Xaver Gretel heiraten darf. Doch die ist für ihr schroff-burschikoses Verhalten im Dorf berüchtigt und gilt als unvermittelbarer Dorftrampel. So beschließt Xaver auf Anraten seines Freundes Sepp, der selbst ein Auge auf Gretel geworfen hat, zunächst die derbe Liesel zu heiraten, im festen Glauben, dass die Ehe nur von kurzer Dauer sein wird. Nach der schnellen Scheidung, so sein Plan, will er dann seine Gretel ehelichen. Doch man ahnt es schnell: In diesem turbulenten Lustspiel kommt natürlich alles anders. Einige peinvolle Fußtritte und Schläge später ist die widerspenstige Liesel überraschend gezähmt und gar nicht mehr so abweisend wie noch zu Beginn.

Mit Kohlhiesels Töchter gelang Ernst Lubitsch 1920 ein erster großer Publikumserfolg in der noch jungen Weimarer Republik. Ein besonderer Clou der Komödie ist, dass UFA-Star Henny Porten hier in einer Doppelrolle sowohl Liesel als auch Gretel verkörpert und zeigt, welchen Unterschied in der Ausstrahlung, Kleidung und Wesen eines Menschen machen können. Doch abgesehen von diesem reizvollen Kniff – so ehrlich muss man sein – ist Lubitschs Film nicht besonders gut gealtert. Zu grobschlächtig dafür der Humor, zu banal die Variation auf Shakespeares Der widerspenstigen Zähmung, die sich hier im tiefsten Bayern des 19. Jahrhunderts entfaltet. Der intelligente, feinsinnige Humor des Regisseurs aus späteren Filmen – den cleveres Marketing zum „Lubitsch Touch“ verklärte – zeigt sich hier bestenfalls nur in Ansätzen. Filmhistorisch ist die Begegnung umso interessanter: 2023 hat die Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung die Komödie in 4K restaurieren lassen. Da die Originalnegative als verloren gelten, dienten drei erhaltene Kopien – eine aus dem dänischen Filminstitut und zwei aus dem Bundesarchiv – als Grundlage. Das Resultat, das im Februar 2024 auf der Berlinale seine Premiere feierte, ist bemerkenswert und zeigt den Film mit einer Klarheit und Tiefenschärfe, die in Anbetracht des über hundert Jahre alten Quellmaterials mehr als begeistert.

Da durch das Zusammenführen der drei Schnittfassungen eine neue Version entstand (Lauflänge: knapp 63 Minuten), war auch eine Neuvertonung vonnöten. Für die historische Filmmusik von 1920 hatte Giuseppe Becce, damals Chefdirigent des späteren UFA-Orchesters und Kinokapellmeister, ein Potpourri beliebter Melodien aus Volksmusik und Operette zusammengestellt. Nachdem der ursprünglich für die Neuvertonung vorgesehene Leopold Hurt krankheitsbedingt ausgefallen war, wurde der gebürtige Spanier Diego Ramos Rodríguez engagiert, der mittlerweile seit vielen Jahren in Deutschland lebt und 2023 mit seinem Kinodebüt bei Die Theorie von allem auf sich aufmerksam machte. Auf den ersten Blick eine überraschende Wahl für einen urdeutschen Schwank, wie ihn Kohlhiesels Töchter bietet. Doch Ramos Rodríguez verarbeitet in seiner Musik für Salonorchester mit viel Verve Becces Themen zu einer heiter-tänzerischen Begleitung: Pointiert und gespickt mit Zitaten kombiniert er Walzer, Polkas und Ländlertänze zu einer Hommage an die goldene Ära des Stummfilms, die sich hauptsächlich an der historischen Aufführungspraxis orientiert.

Aus Sicht heutiger Seh- und Hörgewohnheiten mutet dieser Ansatz allerdings befremdlich an, da Ramos Rodríguez nur sehr lose am Bild entlang komponiert und die Dopplung des Bildgeschehens weitgehend vermeidet. Wie sehr das irritiert, zeigt beispielhaft eine frühe Szene in der Wirtschaft, zu der die Musik ihren lieblich tänzerischen Charakter selbst dann nicht verlässt, als Liesel ihre Gäste mit ausgesuchter Ruppigkeit bedient. Natürlich war das „Mickey Mousing“, wie es Max Steiner in der 30er-Jahren mit King Kong in den USA populär machte, 1920 noch nicht gebräuchlich. Und angesichts dessen erscheint es nur konsequent, dass Ramos Rodríguez ebenfalls auf solche Stilmittel verzichtet. Doch was für die Bewahrung des Filmerbes Sinn ergibt, versäumt es dabei leider, über die Musik ein anderes Spannungsverhältnis zum Lubitsch-Film aufzubauen oder ihn einem heutigen Filmpublikum neu zu erschließen. Die Frage, warum Kohlhiesels Töchter das deutsche Publikum 1920 so sehr verzückte, kann oder will die Musik ohnehin nicht beantworten. Sie verliert sich stattdessen in einer eklektischen Aneinanderreihung volkstümlicher Klischees, die zwar die Fähigkeiten des Komponisten belegt, aber ansonsten bedauerlicherweise nur wenig zum filmischen Erlebnis beizutragen vermag.

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