Die Suchenden – Les Cowboys

Es ist die typische Ikonographie des Western: Cowboyhüte, wortkarge Helden, eine Suchaktion weitab der Heimat, Schlägerei und Schusswechsel – dazu eine majestätische (wenngleich etwa gedämpfte) Americana-Melodie in der Filmmusik. Doch der französisch-belgische Spielfilm Les Cowboys spielt in unserer Zeit. Und die Thematik ist hochaktuell: Die 16-jährige Kelly rennt mit ihrem Freund, einem mutmaßlich radikalen Muslim, Mitte der 90er Jahre von zu Hause weg. Der Vater will sich nicht damit abfinden, dass sich sein Kind den Dschihadisten angeschlossen hat, und begibt sich auf eine jahrelange Odyssee, um die verlorene Tochter wieder zu finden. Längst erschüttern Terroranschläge rund um den Globus die Welt. Als er scheitert, führt sein inzwischen erwachsener Sohn die immer verzweifelter werdende Suche fort. Sein Weg führt ihn nach Nordafrika und in den nahen Osten, wo er schließlich selbst in Lebensgefahr gerät.

Die obsessive Suche nach der verlorenen Tochter, dass erinnert stark an Motive aus John Fords Der schwarze Falke. Doch während im Westernklassiker das Kind von Indianern entführt wird, gelten in Les Cowboys andere Vorzeichen: Kelly ist freiwillig gegangen und möchte auch nicht gefunden werden. Wie bei Ford stellt sich daher zwangsläufig die Frage nach dem Sinn der Suche. Würde das Mädchen – sofern ausfindig gemacht – wirklich mit zurückkommen? Ist sie nicht längst ein völlig anderer Mensch geworden, der alle Brücken abgebrochen hat? Für die Suchenden  im Neo-Western von Thomas Bidegain spielen solche Fragen keine Rolle. Sie rennen rastlos und mit blinder Wut einem Phantom hinterher, das sich nicht einfangen lässt.  Die Erschütterung in ihrer Familie erscheint zu groß, als dass sie jemals in ein normales Leben zurückkehren könnten.

Foto: Antoine Doyen

Thomas Bidegains Regiedebüt gelingt es auf eindrucksvolle Weise, weltpolitische Ereignisse im privaten Schicksal einer Familie zu spiegeln. Das schiere Unverständnis von Vater und Sohn gegenüber dem Islam, das brachiale Vorantreiben der Suche mit kaum verhohlenem Rassismus: Es schadet ihrem Anliegen mehr als dass es nützt. Und so ist Les Cowboys zu allererst auch die Geschichte einer Reise: die einer Familie, die erst lernen muss, sich einer fremden Kultur und Religion anzunähern, um Versöhnung und Ruhe zu finden. Und die einer Gesellschaft, die das Problem des Terrorismus erst dann lösen kann, wenn sie bereit ist, verstehen zu wollen. Die Kamera von Arnaud Potier findet dafür wunderschöne Scope-Bilder: Die heimelige Atmosphäre des Country-Festes, die fahlen Einstellungen heruntergekommener Siedlungen in  Europäischen Großstädten, in denen Migranten in erbärmlichen Zuständen hausen, öffnen sich im Verlauf der Handlung zu den großartigen Naturpanoramen Nordafrikas bzw. des nahen Ostens. In den klassischen Western geht es stets um das Erreichen von Gerechtigkeit. Wie schwer diese aber tatsächlich zu finden ist und worin diese letztendlich liegt, davon erzählt Les Cowboys besonders eindringlich.


Les Cowboys: Frankreich/Belgien 2015, Regie: Thomas Bidegain (Wettbewerb)

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