Herbststimmung in Hamburg: Die Figuren in Sandra Nettelbergs Was uns nicht umbringt eint der regelmĂ€Ăige Gang zum Psychiater: In wöchentlichen Sitzungen schĂŒtten sie vor dem ergrauten Max ihr LebensunglĂŒck aus. Doch der hat selbst ganz eigene Probleme, hadert mit der Einsamkeit nach seiner Scheidung und scheint seinen Patienten deshalb keine groĂe Hilfe zu sein. Eine Paraderolle fĂŒr August Zirner. Dabei ist die Figur des Therapeuten nicht ganz neu fĂŒr ihn: Er spielte die eigenwillige Rolle bereits 2001 in Bella Martha. Und weil er sich damals als wahrer Szenendieb erwiesen hat, versprach ihm die Regisseurin seinerzeit einen eigenen Film. Der ist nun nach langen siebzehn Jahren da und erzĂ€hlt bittersĂŒĂ ĂŒber die Sorgen, Nöte und Hoffnungen von 20 GroĂstĂ€dtern in der Mitte ihres Lebens. Da ist der Pilot, der unter Flugangst leidet, die Bestatterin, die alle Menschen fĂŒr sterbenskrank hĂ€lt und die ordnungsfanatische Tierpflegerin Sunny, die zwanghaft im Zoo gleich mehrfach tĂ€glich die Pinguine durchzĂ€hlt. Oder Loretta, die Ex von Max, die sich wĂŒtende Wortgefechte mit der pubertierenden Tochter liefert, wĂ€hrend der schwule Mark tatenlos dabei zusehen muss, wie der geliebte Partner auf der Intensivstation um sein Leben kĂ€mpft.

Das erinnert im Ansatz alles ein wenig an das groĂe Vorbild Short Cuts (1993). Ăhnlich wie Robert Altman verschrĂ€nkt Nettelbergs Drehbuch die einzelnen Episoden lose miteinander und verdichtet die einzelnen ErzĂ€hlfĂ€den zu einem melancholischen Kaleidoskop unserer Gesellschaft. Doch im Unterschied zu Altman nimmt es die deutsche Regisseurin nicht ganz so radikal ernst mit der quasi-dokumentarischen Bestandsaufnahme menschlicher Befindlichkeiten. Sie gestattet den einzelnen Geschichten vielmehr eine versöhnliche Note und meint es am Ende fast immer gut mit den von Schicksal und Neurosen gebeutelten Charakteren. Und das offenbart bei aller Tragik dann doch eher mĂ€rchenhafte ZĂŒge denn tiefschĂŒrfenden Realismus.

Auch die Filmmusik von Volker Bertelmann (aka Hauschka) legt den Bildern auf der Tonebene einen behaglichen Mantel an. Verspielte Klaviermelodien und wehklagende Streicherharmonien fĂŒhlen sich geschickt in die Lebenswelten der Charaktere ein. Weil die Figuren in ihrer Unsicherheit die naheliegende Lösung fĂŒr ihre skurrilen Probleme meist nicht erkennen, entwickelt der Film in vielen Momenten komödiantische ZĂŒge. Und da kommen Hauschkas raffinierte KlangtĂŒfteleien gerade Recht. Erneut nutzt er jede Gelegenheit, sein Klavier mit GegenstĂ€nden wie Pappe oder TischtennisbĂ€llen zu prĂ€parieren. Das Flirrende, Spielerische der so verfremdeten KlĂ€nge passt gut zu den liebevoll, aber auch mit leiser Ironie ausgebreiteten IdentitĂ€tskrisen in Nettelbergs Film.
Es ist schon erstaunlich, wie mutig Bertelsmann hier mit ineinander flieĂenden Melodien die vielen HandlungsstrĂ€nge zusammenhĂ€lt und dem Film auf der Tonebene eine ĂŒberraschend markante IdentitĂ€t gibt, wie sie im deutschen Kino selten geworden ist. Diese fast durchgehende Ăsthetisierung besitzt allerdings auch eine Kehrseite: Die nonchalante „irgendwie wird schon alles wieder gut“-Haltung der Inszenierung macht es sich zu einfach. Sie bĂŒgelt die Untiefen der bestenfalls oberflĂ€chlich ausgetragenen Konflikte viel zu schnell weg. Und die Musik unterstĂŒtzt den Film dabei nach KrĂ€ften. So klangschön und hörenswert der Beitrag von Hauschka deshallb auch ist: Vielleicht hĂ€tte es doch eine prĂ€ziser psychologisierende Vertonung gebraucht, um der Handlung mehr Zwischentöne und AssoziationsrĂ€ume zu verleihen.