Tomb Raider – Tom Holkenborg – „Der Blick ins Studio“

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Auf der Internetseite der Musik-Software Cubase der Hamburger Firma Steinberg präsentiert sich Tom Holkenborg, vielen besser bekannt unter dem Synonym Junkie XL, als prominentes Aushängeschild.  Ganz unverblümt wird der Komponist auf der Eingangsseite zitiert: „Cubase hat sich in ein umfangreiches und makelloses Programm entwickelt und erlaubt mir das Erstellen traumhafter Templates, die alle meine Anforderungen für das Komponieren von Filmmusik erfüllen. Die Funktionen zum Arrangieren, Mischen und Editieren sind allen anderen Programmen da draußen überlegen.“ Angesichts solcher Lobeshymnen überrascht es wenig, dass Holkenborg in YouTube-Tutorials unermüdlich seine tägliche Arbeit mit Cubase erklärt und veranschaulicht. Das dient natürlich nicht zuletzt Werbezwecken und richtet sich vorrangig an ein technisch versiertes Zielpublikum. Doch ganz nebenbei gestattet Holkenborg so auch einen bemerkenswerten Blick über die Schulter auf seine Arbeitsweise und Gestaltungsprinzipien.

Geradezu exemplarisch erscheint in dieser Hinsicht das Beispiel Tomb Raider: Holkenborg begleitete den Kinostart mit vier langen Videos zur Entstehung der Musik. In selten gezeigter Tiefe zeigen sie, wie radikal sich der Arbeitsalltag der meisten Filmkomponisten in den letzten 10-15 Jahren verändert hat. Denn Holkenborg erzeugt seine Musik fast ausschließlich im heimischen Studio unter Einsatz von Cubase. Kern dieser sogenannten „Digital Audio Workstation“ (kurz: DAW) ist das Mischen, Manipulieren und Strukturieren einzelner Tonspuren. Mittels sogenannter Plug-Ins – ein weiterer wichtiger Teil des Leistungsspektrums – lassen sich externe Klangquellen einbinden. Dazu gehören Emulatoren aller gängigen Synthesizer-Modelle, aber auch analoger Instrumente, die dem Komponisten als üppiger Werkzeugkasten zur Verfügung stehen.

Dass in Tomb Raider noch ein richtiges Orchester spielt, wird dabei fast zur Nebensache. Denn diese Anteile werden zunächst „gemockt“ und erst später im Produktionsprozess durch echte Aufnahmen ersetzt. Die Vorteile dieser Vorgehensweise liegen auf der Hand: Einerseits kann Holkenborg am Computer schnell auf Änderungen im Filmschnitt reagieren, andererseits aber auch den Produzenten des Filmes frühzeitig einen Eindruck vom finalen Produkt geben. Ein Paradigmenwechsel. Denn das Verhältnis zwischen Orchester und Elektronik hat sich damit grundlegend gewandelt. Ergänzte der Synthesizer früher (z.B. in Jerry Goldsmiths Filmmusiken der 80er Jahre) als zusätzliche Stimme quasi das Orchester, wird das Orchester nun in Cubase zu einer Klangschicht unter potenziell vielen. Zwar wurden auch schon im analogen Tonstudio unterschiedliche Tonspuren zusammengemischt. Doch die Leichtigkeit und der Umfang, mit der dies dank leistungsstarker Rechner heute möglich ist, hat die Produktion von Filmmusik revolutioniert.

Neben der geschilderten Vereinfachung des Arbeitsprozesses hat ein derartiges „Komponieren am Computer“ aber auch Auswirkungen auf die Ästhetik der Filmmusik. Sicher sagt der Einsatz einer Software wie Cubase erst einmal wenig über die Qualität der entstehenden Komposition aus. Dennoch fällt nicht nur bei Holkenborg der bevorzugte Einsatz von Bass-Rhythmen als musikalisches Fundament auf. Und das liegt daran, dass in der Regel ein digitales Metronom als initialer Taktgeber dient, der je nach Bedarf und Anforderungen der zu vertonenden Szene beschleunigt oder verlangsamt, moduliert und mit anderen Tonspuren gemischt werden kann. Auch wenn es im Einzelfall immer noch knifflig sein mag, lässt sich ein solcher rhythmus-basierter Cue am Rechner viel leichter kürzen oder erweitern als eine klassische Partitur, deren Struktur viel weitreichender geändert werden müsste. Kein Wunder also, dass auch Produzenten, die gerne bis zur letzten Sekunde Änderungen am Filmschnitt einfordern, eine solche Arbeitsweise zu schätzen wissen und diesen Vorteil schon bei der Auswahl des Komponisten berücksichtigen.

Dass sich Holkenborg das Leben aber nicht nur einfach macht, dafür zeugt seine erstaunliche Klangtüftelei – die, wie auch schon die Filmdokumentation Score im vergangenen Jahr gezeigt hat, bei der gegenwärtigen Generation von Filmkomponisten einen hohen Stellenwert einnimmt. Stets befindet sich der Niederländer auf der Suche nach speziellen Klängen, die er mit den zahllosen Cubase-Plugins erzeugt und einbindet. So verwundert es auch kaum, dass er bei Tomb Raider in Personalunion für Musik und Sound Design verantwortlich zeichnete. Wer genau hinhört, wird ein wahres Füllhorn unterschiedlicher elektronisch erzeugter Geräusche und Klänge entdecken. Der Sound des Dschungels auf der mystischen Pazifikinsel Yamatai stammt hier ebenso vollständig aus dem Computer wie die energetischen Rhythmen, die die über Stock und Stein springende Lara Croft voranpeitschen.

Keine Frage, hinter der Vertonung von Tomb Raider steckt harte Arbeit. Dennoch scheint bei allem Aufwand auch etwas verloren gegangen zu sein: Der Einsatz von kleineren Besetzungen oder die Verwendung unterschiedlicher Stile und Formen, etwa ein Scherzo oder ein kraftvoller Marsch, wie sie seinerzeit John Williams mehrfach Indiana Jones auf seinen Abenteuern beiseite stellte, gehören offenbar gar nicht erst in Holkenborgs Repertoire. Und das scheint durchaus so beabsichtigt, folgerichtiges Ergebnis einer völlig anderen filmmusikalischen Vorgehensweise. Dafür musste Holkenborg von Liebhabern klassischer Kinosinfonik schon oft heftige Kritik einstecken. Nicht ganz zu Unrecht. Denn seinen Vertonungen haftet trotz ihres hohen Detailgrades eine seltsame Künstlichkeit und Uniformität an. Und das gilt auch für die Musik zu Tomb Raider, die weder ein besonderes Charisma ausstrahlt, noch auf andere Weise den Film transzendiert.

Und dennoch wäre allzu große Polemik fehl am Platze. Holkenborg arbeitet genauso professionell wie zeitgemäß. Und im speziellen Fall von Tomb Raider wissen die melodischen Einfälle durchaus zu glänzen: Zwei Leitmotive stechen hervor: Eines für Lara Croft und eines für die Beziehung zu ihrem verschollenen Vater. Beide Themen sind rhythmisch und in der Tonart so einfach gestaltet, dass sie sich bruchlos in das Baukasten- und Schichtenprinzip von Cubase einpassen und zugleich gut variieren lassen. Besonders auffällig geschieht das beim Thema für Lara Croft, welches als Klaviermelodie die anfangs noch etwas unsichere Heldin begleitet, im Finale aber zu einer triumphalen Fanfare heranwächst.

Man mag von Holkenborg halten, was man möchte. Aber im Zusammenspiel mit den Bildern funktioniert die Musik erstaunlich gut. Vielleicht liegt das daran, dass der Ursprung von Tomb Raider ein Videospiel der 90er Jahre ist und elektronische Klänge da vielleicht ohnehin naheliegen. Darüber hinaus muss man dem Komponisten aber auch zugestehen, dass es ihm mit seinen Leitthemen überzeugend gelingt, der filmisch geerdeten Titelheldin eine menschliche Note zu verleihen. Natürlich verhandelt die Musik Handlung und Figuren zu keinem Zeitpunkt besonders tiefgründig. Aber das ist nicht weiter schlimm. Denn am Ende des Tages handelt es sich schließlich um Tomb Raider und keine ambitionierte Literaturverfilmung. Alles in Ordnung also in der „schönen neuen Welt“ der am Computer erzeugten Filmmusiken? Wohl kaum. Man muss nur mit den Indiana Jones-Vertonungen von John Williams oder Jerry Goldsmiths King Solomon’s Mines vergleichen, um zu erkennen, dass diese orchestralen Filmmusiken eine Ausdrucksfähigkeit und Bandbreite besitzen, die Holkenborg in seinen Arbeiten bislang nicht annähernd erreicht. Bei allem Respekt für eine andere Ästhetik und ein gewandeltes Produktionsumfeld erscheint es leider so, dass bei ihm die Technik viel zu sehr die Kreativität lenkt.  Und eigentlich sollte es im Idealfall doch umgekehrt sein.

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